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Euthanasie-ErlassStolperstein erinnert an fast vergessenes Opfer des NS-Regimes in Hürth

Lesezeit 3 Minuten
Der Künstler Gunter Demnig lässt den Stolperstein in den Asphalt ein. Neben ihn ein Eimer mit Zement.

Der Name Gerhard Schwartz ist auf der Messingplatte des Stolpersteins eingestanzt, den der Künstler Gunter Demnig in Stotzheim verlegte.

Gerhard Schwartz wurde im März 1940 von den Nazis ermordet, weil er psychisch krank war. An sein Schicksal erinnert nun ein Stolperstein.

An ein fast vergessenes Opfer des Nationalsozialismus erinnert der Stolperstein, den der Künstler Gunter Demnig am Dienstag (4. Juni) vor dem Haus an der Rodderstraße 23 in Stotzheim in den Boden eingelassen hat. Gerhard Schwartz wurde im März 1940 wegen einer psychischen Erkrankung in einer Tötungsanstalt des NS-Regimes in Brandenburg mit Giftgas ermordet. Über das Schicksal des Euthanasie-Opfers war lange Zeit nichts bekannt.

Weltweit erinnern über 100.000 Stolpersteine in 31 Ländern an Opfer des Nazi-Regimes. In Hürth hat Demnig in den Jahren 2008 und 2009 bereits 32 Stolpersteine an den früheren Wohnadressen von Opfern des Nationalsozialismus verlegt. Auf der Messingoberfläche sind zur Erinnerung und Mahnung die Namen und Lebensdaten eingestanzt. Doch über Gerhard Schwartz habe es im Stadtarchiv keine Unterlagen gegeben, so Archivleiter Michael Cöln.

Nachfahren des Hürther NS-Opfers betrieben Familienforschung

Auch in seiner Familie sei über den Angehörigen wegen dessen „Erbkrankheit“ lange schamhaft geschwiegen worden, sagte Kristofer Herbers, Urgroßneffe von Gerhard Schwartz. Die Schwestern hätten das Schreiben mit der Todesnachricht seinerzeit vernichtet. Erst, als seine heute 85-jährige Großtante den Namen einmal erwähnt habe, habe sein Vater Familienforschung betrieben, in Archiven gesucht und den Anstoß für den Stolperstein gegeben. „Der Stein soll das Schweigen brechen“, hofft Herbers.

Stadtarchivar Cöln trug vor, was jetzt bekannt ist. Gerhard Schwartz wurde 1875 als erstes von sechs Kindern der Eheleute Heinrich Josef Schwartz und Maria Katharina Desery geboren und in St. Brictius getauft. Die Familie betrieb eine Landwirtschaft und später eine Gastwirtschaft in Stotzheim. Bis zu seinem 17. Lebensjahr lebte Gerhard Schwartz bei seinen Eltern und besuchte die katholische Volksschule.

Euthanasie-Erlass wurde dem psychisch kranken Hürther zum Verhängnis

Eine Schizophrenie, die sich in der Pubertät entwickelt hatte, wurde fälschlich als Demenz bezeichnet. Der Hürther Arzt Dr. Kürten ließ Schwartz in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Bonn unterbringen. 1899 wurde er in eine Heilanstalt im Kloster Ebernach in Cochem an der Mosel überstellt. Im August 1936 wurde er mit 70 weiteren Frauen und Männern in eine Heilanstalt in Bedburg-Hau verlegt.

Der Euthanasie-Erlass, den Adolf Hitler im Herbst 1939 unterzeichnete, wurde Schwartz zum Verhängnis. Die Leitungen von Krankenanstalten und psychiatrischen Kliniken wurden angewiesen, Patienten auf Meldebögen zu erfassen. Gutachter entschieden, ohne die Patienten gesehen zu haben, über deren Schicksal.

Stolperstein soll der Erinnerung und der Mahnung dienen

„Gerhard Schwartz hatte in Anbetracht der Kriterien dieses Meldebogens keine Chance“, so Stadtarchivar Cöln. „Im Alter von 64 Jahren, mit der Diagnose Schizophrenie, kaum arbeitsfähig und mehr als fünf Jahre in psychiatrischen Kliniken.“

Schwartz wurde am 8. März 1940 nach Brandenburg an der Havel deportiert. Alle 323 Männer und zwölf Frauen des Transports wurden noch am selben Tag ermordet, ihre Leichname verbrannt. Zwischen Januar und Oktober 1940 wurden dort etwa 9000 Menschen umgebracht. Heute befindet sich auf dem Gelände eine Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie-Morde.

„Es waren nicht nur die anderen. Es waren Menschen aus unserer Mitte, die ermordet wurden“, sagte Schwartz’ Urgroßneffe, der in München lebt. Der Stolperstein solle die Erinnerung an Gerhard Schwartz wachhalten und als Mahnung dienen. Denn heute sei wieder eine Rhetorik zu vernehmen, die Menschen nach ihrem „Wert“ beurteile.

„Auch psychisch kranke und behinderte Menschen aus Hürth wurden durch das Hitler-Regime ohne Skrupel ermordet“, so Bürgermeister Dirk Breuer. „Die Sichtbarmachung dieser Opfer ist ein wichtiger Teil der Aufarbeitung der Gräueltaten und unserer gemeinsamen Erinnerungskultur.“