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Den Puls des Flusses fühlenErftverband geht dem Wasserstand auf den Grund

Lesezeit 4 Minuten

Norbert Koczy hat das Messgestänge in der kleinen Erft platziert. Er misst, wie schnell das Wasser strömt und wie viel es ist.

  1. Traumjob Flussgebietsbewirtschafter: Gary Stollewerk und Norbert Koczy vom Erftverband haben uns bei einem ganz normalen Arbeitstag mitgenommen.
  2. Ihre Aufgabe ist es, zu kontrollieren, was in den Gewässern vor sich geht – sogar mit eigens entwickelten Geräten.
  3. Eine besonders wichtige Rolle spielen die Beiden bei der Hochwasserwarnung.

Kerpen – Es sieht nach einem Traumjob aus. Mildes Sommerwetter, ein idyllischer Platz im Grünen an der Kleinen Erft bei Horrem. Gary Stollewerk und Norbert Koczy packen ihr Arbeitsgerät aus. Flussgebietsbewirtschaftung nennt sich die Abteilung des Erftverbandes, für die die beiden im Einsatz sind.

Auf Deutsch: Sie kontrollieren, was in den Gewässern vor sich geht. „Ich bereite das Messgestänge vor“, erklärt Stollewerk, als er einen langen Metallstab mit einem Gerät bestückt, das ein bisschen an einen kleinen Torpedo erinnert. Flügel nennt es der Fachmann, noch fachmännischer: hydrometrischer Messflügel.

Vertrauen ist gut, Kontrolle besser

Die Strömung versetzt das mit kleinen Schraubenflügeln besetzte Ende des Geräts in Drehung. An der Anzahl der Umdrehungen kann man die Fließgeschwindigkeit erkennen. Die Flügel werden regelmäßig geeicht.

Flügel nennen die Fachleute das Teil, das vom strömenden Wasser in Drehung versetzt wird.

Heute ist Koczy derjenige, der die Watstiefel anzieht und ins Wasser steigt. Normale Gummistiefel hätten es auch getan, das Wasser geht ihm bis knapp über den Knöchel. Um zu sehen, dass die Bäche und Flüsse seit zwei Jahren wenig Wasser führen, braucht man kein Fachmann zu sein. Wenn es höher als 50 Zentimeter stände, müsste er eine Schwimmweste tragen.

Ein eingespieltes Team, jeder Handgriff sitzt

Stollewerk hat sich auf die Stufen gesetzt, die zum Bachbett hinab führen, in der Hand ein gelbes Kästchen, auf dem Knie ein Klemmbrett mit einem Formular. Er und Koczy sind ein eingespieltes Team, jeder Handgriff sitzt, die Kommunikation ist knapp und für den Laien unverständlich. Koczy misst die Breite des Baches aus, bestimmt die Punkte, an denen er – jeweils in drei unterschiedlichen Tiefen – den Flügel einsetzt.

Alle Ergebnisse werden von Hand in Formulare eingetragen.

Stollewerk trägt die Daten auf seinem Formblatt ein. Mit jeder Umdrehung gibt der Flügel einen Impuls ans Zählgerät, hörbar als leises Klackern. Mal klackert es schnell, mal langsamer. Koczy erklärt, warum: „Der Fluss pulsiert.“ Was von oben wie sanftes, gleichmäßiges Dahinströmen wirkt, hat unter der Oberfläche einen eigenen Rhythmus, bestimmt durch die Konturen des Bachbetts. Am Rand und am Boden lässt die Reibung das Wasser langsamer fließen, es entstehen Verwirbelungen. Schon ein dicker Büschel Wasserpflanzen kann dafür sorgen, dass ein Messwert aus der Reihe tanzt.

Erklären als Kernkompetenz

Erklären gehört zur Kompetenz des Teams. Immer wieder bleiben Spaziergänger stehen, Radfahrer steigen ab, um zu fragen, was die beiden machen. Wenn sie draußen unterwegs sind, machen Koczy und Stollewerk ganz nebenbei auch Öffentlichkeitsarbeit für den Erftverband.

Gary Stollewerk bereitet das Gerät vor, das die Messergebnisse des Kollegen im Fluss anzeigt.

Am Pegel Horrem steht ein großer grauer Schrank, ähnlich einem Verteilerkasten. Eine Eigenentwicklung, wie Koczy betont. Hier laufen die Daten ein, die automatisch fortwährend am Pegel gemessen werden, von hier aus gehen sie an den Sitz des Erftverbandes in Bergheim.

„Ich kann mir keinen schöneren Beruf vorstellen.“

In Mödrath dagegen steht ein richtiges Pegelhaus. Und hier kann man gut erkennen, was es mit der E-förmigen Markierung auf den Pegellatten auf sich hat. Jeweils zwei E, eines richtig rum, eines in Spiegelschrift, entsprechen zehn Zentimeter Wasserstand. Ist die Pegellatte senkrecht angebracht, sind die beiden E auch tatsächlich zehn Zentimeter hoch, liegt die Latte schräg am Ufer, ist die Markierung auseinandergezogen.

Bei Mödrath kann man gut erkennen, dass an der Pegellatte je nach Neigung die Skala unterschiedlich groß ist. Dort kann bei Hochwasser ein Messegerät an einem Drahtseil in die Flussmitte gebracht werden.

Hier setzen die beiden Fachleute keinen Flügel ein, sondern ein Gerät, das mit einem elektromagnetischen Feld misst. Am Mödrather Pegelhaus gibt es eine Seilzuganlage, mit der bei Hochwasser das Messgerät in die Flussmitte gebracht werden kann. Denn die Erft ist nicht immer so still und friedlich, wie sie sich im Hochsommer gibt. Davon können die beiden ein Lied singen. Wie oft sie schon ins Wasser gefallen sind? Sie haben nicht mitgezählt. Ohnehin seien sie mehr bei schlechtem Wetter draußen als bei gutem. „Wir messen ja nicht um des Messens willen“, sagt Koczy . Sondern vor allem, um rechtzeitig vor Hochwasser warnen zu können.

Ständig überwacht

Die Bäche und Flüsse im Gebiet des Erftverbandes werden ständig überwacht, die Werte der Pegel elektronisch übermittelt. Nicht nur die Menge des durchströmenden Wassers wird festgehalten.

Auch Temperatur und Niederschlagsmenge werden ermittelt und fließen in die Berechnungen ein. Sie geben Aufschluss über klimatische Entwicklungen. Die Daten, die die Teams vor Ort in die Formulare eintragen, werden im Büro in den Computer übertragen. Daraus werden Modelle entwickelt, wie der Regen sich in den Bächen und Flüssen auswirkt und wie er abfließt.

Also rücken die Messteams des Erftverbandes aus, wenn Unwetter drohen oder es schon gießt wie aus Eimern. So viel zum Thema Traumjob. Und dennoch sagt Stollewerk: „Ich kann mir keinen schöneren Beruf vorstellen.“

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