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KatastrophenvorsorgeTHW-Experte im Interview: „Viele Menschen sind zu technikgläubig und sorglos“

Lesezeit 4 Minuten
Zu sehen ist ein Erdrutsch in Erftstadt-Blessem als Folge der Flutkatastrophe im Juli 2021.

Der Erftstädter Stadtteil Blessem war von der Flutkatastrophe im Juli 2021 stark betroffen. (Archivbild)

Hartwig Kaczmarek spricht darüber, wie sich Menschen im Rhein-Erft-Kreis auf kritische Situationen vorbereiten können.

Starkregen, Stürme oder Stromausfälle: Klimabedingte Notlagen und andere Notsituationen können theoretisch jederzeit eintreffen. Doch wie kann man sich als Privatperson darauf vorbereiten? Hartwig Kaczmarek war Jahrzehnte ehrenamtlich und hauptberuflich beim Technischen Hilfswerks (THW) tätig. Er bildete an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz in Bad Neuenahr-Ahrweiler Führungskräfte für den Katastrophenschutz aus.

Im Auftrag der Volkshochschulen in Erftstadt, Ahrweiler, Alfter/Bornheim und Voreifel hält der Weilerswister Vorträge über Katastrophenvorsorge und erarbeitet gemeinsam mit den Teilnehmern eine Vorsorgeliste. Eva-Maria Zumbé sprach mit ihm darüber, auf welche kritischen Situationen sich Menschen im Rhein-Erft-Kreis einstellen müssen und wie man sich darauf vorbereitet.

Herr Kaczmarek, welche kritischen Situationen könnten im Rhein-Erft-Kreis eintreten?

Hartwig Kaczmarek: Im Rhein-Erft-Kreis können viele kritische Situationen eintreten, auf die man sich nicht nur gedanklich vorbereiten sollte. Unfälle auf der Straße, der Schiene, Brände, Unwetter, Hochwasser, Überschwemmungen, Stürme, Hitzeperioden ...

Aber auch Situationen, die für uns weit entfernt scheinen. Unsere Region liegt zum Beispiel in einer Erdbebenzone zwischen den Niederlanden und dem Rhein-Mosel-Gebiet. Wer hätte schon mit den drastischen Folgen und Einschränkungen durch eine Epidemie wie Corona gerechnet? Oder die plötzlich erforderliche Beseitigung einer Weltkriegsbombe im April in Bliesheim? Denken Sie auch an den Traktor in Weilerswist, der den Mast einer Hochspannungsleitung umknickte, woraufhin in 4 benachbarten Kreisen von Erftstadt rund 65.000 Menschen längere Zeit ohne Strom waren.

Welche Auswirkungen hat ein längerfristiger Stromausfall für eine Privatperson?

Unsere Abhängigkeit von dieser Energie ist sehr stark. Ohne Strom funktioniert keine Heizung, keine Kühlung, keine Beleuchtung, kein Computer, Telefone und elektrische Schließsysteme versagen, es gibt keinen Treibstoff und kein Geld von der Bank. Lebensmittelläden, Apotheken und Arztpraxen schließen. Es gibt keine Kochmöglichkeiten mit Strom, längerfristig keine Wasser- und Abwasserversorgung, Betriebe stehen still, die Verkehrsinfrastruktur bricht zusammen. Altenheime, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser werden überlastet.

Wie kann man sich als Privathaushalt auf solch eine Situation vorbereiten?

Wir kennen es aus dem beruflichen Umfeld. Wenn ich mich mit einer Situation im Vorfeld auseinandergesetzt habe, trifft sie mich nicht unvorbereitet. Ich empfehle zum Beispiel eine Taschenlampe/ein Radio mit Handkurbel und Aufladevorrichtung für das Mobiltelefon, wieder aufladbare Batterien, Kerzen, Streichhölzer, ein elektrisches Feuerzeug, Campingkocher, Grill und eine Lebensmittelbevorratung für zehn Tage. Außerdem Bargeld, ein Vorrat an lebenswichtigen Medikamenten, wichtige Dokumente und Wertsachen zur Mitnahme zum Beispiel im Rucksack und ein zumindest zur Hälfte betanktes Fahrzeug. 

Zu sehen ist ein Mann mit grauen Haaren und Brille.

Hartwig Kaczmarek hält unter anderem im Auftrag der Volkshochschule in Erftstadt Vorträge über Katastrophenvorsorge.

Im Falle von Wassermangel oder einer Störung der Wasserversorgung, wie kann man sich dennoch mit ausreichend Wasser versorgen?

Zwei Liter Getränkevorrat pro Tag und Person für zehn Tage sollte der Mindestvorrat eines Haushaltes sein. Für Haustiere und zur Toilettenspülung ist ein Wassersammelbehälter auf der Terrasse, dem Balkon oder im Garten empfehlenswert.

Welche Lebensmittel sollte jeder Haushalt für den Katastrophenfall zu Hause haben, und was gehört in das Notfallgepäck?

Eine Bevorratung von lagerfähigen Lebensmitteln für rund zehn Tage ist zu empfehlen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) stellt auf seiner Internetseite dazu eine umfangreiche Aufstellung zur Verfügung, ebenso für das Notgepäck.

Welche Warnsysteme empfehlen Sie?

Ich empfehle die beiden Warn-Apps Nina und Katwarn. Sie sind kostenfrei aus dem Internet herunterzuladen und warnen je nach Einstellung örtlich oder überregional. Absender sind unter anderem Bundesbehörden, Leitstellen von Polizei und Feuerwehr, Deutscher Wetterdienst, Hochwasser- und Erdbebenzentralen.

Was ist Ihrer Erfahrung nach der häufigste Fehler, den Menschen bei der Krisenvorsorge machen, und wie kann man ihn vermeiden?

Ich denke, viele Menschen sind zu technikgläubig und sorglos. Angst ist nicht richtig, aber ein Eindenken in mögliche Notsituationen bereitet vor!

Erftstadt war von der Flutkatastrophe im Juli 2021 stark betroffen. Welche Orte sollten bei Hochwasser unbedingt vermieden werden?

Seit Freitag, 25. April, ist die neue Webseite der Hochwasser-App freigeschaltet und auch als mobile Version für das Smartphone verfügbar. Durch die Risikoerkennung kann schnell und einfach ermittelt werden, wie sicher das eigene Zuhause vor Überflutung, Starkregen oder Hochwasser ist.

Wichtig ist der Sicherheitsabstand zu möglichen Überflutungsgebieten und die Sichtung von Fluchtwegen. Keller können bei Überflutungsgefahr durch plötzliches Eindringen von Wasser oder der Verbindung von Elektroinstallationen und Wasser zu lebensgefährlichen Fallen werden.


Lebensmittel und Notgepäck

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) empfiehlt im Falle einer Katastrophe wie Hochwasser, Stromausfall oder Sturm einen Vorrat für zehn Tage an Getränken und Lebensmitteln für eine Person anzulegen. Er entspricht etwa 2200 Kalorien pro Tag.

Darunter sind pro Person unter anderem zwei Liter an Getränken pro Tag, vier Kilo Gemüse und Hülsenfrüchte, 2,5 Kilogramm Obst und Nüsse sowie 2,6 Kilo Milch und Milchprodukte.

In das Notgepäck neben Hausapotheke und Hygieneartikeln unter anderem ein batteriebetriebenes Radio und Reservebatterien, Verpflegung für zwei Tage in staubdichter Verpackung, Kleidung für ein paar Tage, darunter Wetterschutzbekleidung, Wasserflasche, Essgeschirr und -besteck, Dosenöffner und Taschenmesser. (eva)