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Mikroschadstoffe
Wie gefährlich Medikamente und Pestizide im Abwasser in der Region um Köln sind

Lesezeit 6 Minuten
Die Erft fließt in Bergheim durchs Grüne. Zwischendurch wirbeln Wasserpflanzen den Wasserfluss auf.

Die Erft zwischen den Bergheimer Ortsteilen Zieverich und Paffendorf fließt ruhig und idyllisch. Aber auch hier gibt es Schadstoffe im Wasser.

Schadstoffe können sich im Wasser anreichern und die Umwelt gefährden. NRW will die Anreicherung reduzieren. Was das für die Region bedeutet.

Schmerztabletten werden in die Toilette geworfen, weil sie das Haltbarkeitsdatum überschritten haben. Regen spült Pestizide von Pflanzen in den Boden oder den nächsten Bach. Industriechemikalien fließen ins Abwasser. Rückstände von Medikamenten, Pflanzenschutzmitteln oder chemischen Produkten gelangen auf vielfältige Weise tagtäglich in die Kanalisation und in unsere Fließgewässer. Welche Auswirkungen hat das und was bedeutet das für unser Wasser?

Die Anreicherung dieser sogenannten Mikroschadstoffe wird in Zukunft prognostisch gesehen eher zu- als abnehmen, sagt das NRW-Ministerium für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv). Durch den demografischen Wandel komme ein höherer Bedarf an Arzneimitteln auf die Gesellschaft zu. Dürreperioden als Teil des Klimawandels würden die Konzentration von Schadstoffen in Gewässern erhöhen. Und das kann gefährlich für Gesundheit und Umwelt sein.

Land NRW will Kläranlagen ausbauen – um Schadstoffe besser zu filtern

Das Lanuv hat analysiert, wie Mikroschadstoffe in Oberflächengewässer wie den Rhein und seine Nebenflüsse (zum Beispiel Erft und Sieg) gelangen. Das Ergebnis: Kläranlagen haben einen bedeutenden Anteil daran, denn Mikroschadstoffe werden nicht ausreichend herausgefiltert.

Schadstoffe aus Pflanzenschutzmitteln könnten zum Beispiel durch die Klärung gelangen und schon in geringen Konzentrationen große Auswirkungen auf den Stoffwechsel von Wasserpflanzen haben, erklärt eine Lanuv-Sprecherin dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Auch Arzneimittel können sich langfristig negativ auswirken – auch auf uns Menschen.

Ausbau von Kläranlagen ist bisher freiwillig

Müssen wir uns deswegen Sorgen über das Wasser machen, das aus Kläranlagen in die Gewässer fließt? Nein, nicht akut. Bislang sind die Werte der Schadstoffe laut Studienlage nicht direkt schädlich für uns. Das Vorhaben des Landes, die Werte zu reduzieren, ist eher präventiv. Fest steht allerdings, dass die Substanzen einen negativen Einfluss auf die Umwelt haben. Wird ihre Anreicherung nicht reduziert, werden sich solche Substanzen langfristig auch auf uns Menschen auswirken.

Um Mikroschadstoffe in Gewässern zu reduzieren, soll in Kläranlagen eine zusätzliche Reinigungsstufe zur Filterung eingerichtet werden – denn die meisten Anlagen seien bisher nicht dafür ausgelegt, Mikroschadstoffe herauszufiltern, so das Umweltministerium. Dieser Ausbau ist bisher freiwillig, könnte aber mit einer neuen EU-Richtlinie obligatorisch werden. Einige Anlagen in NRW befinden sich derzeit schon im Ausbau, für andere ist ein Ausbau geplant. Anhand von Daten haben wir analysiert, wie es um die Kläranlagen und Gewässer in der Region bestellt ist.

90 Prozent der Gewässer in NRW haben keinen „guten“ ökologischen Zustand

In ganz NRW befinden sich 90 Prozent der Gewässer nicht in einem „guten“ ökologischen Zustand, zeigen Lanuv-Messungen. Das liegt zum Teil an Mikroschadstoffen im Wasser. Bislang gibt es keine gesetzlichen Obergrenzen für die Konzentration bestimmter Mikroschadstoffe. Daher orientiert sich das Land für die Bewertung ihrer Anreicherung an bestimmten Marken. Werden diese überschritten, gilt diesen Substanzen besondere Aufmerksamkeit.

Dafür werden zurzeit sieben Leitparameter genutzt – unter anderem die Konzentration von Substanzen aus Arznei- und Korrosionsschutzmitteln. Bedingung: Die Substanzen müssen europaweit im Abwasser vorkommen und kontinuierlich in Kläranlagen gelangen. Sie müssen mit gängigen Methoden messbar sein und werden in der herkömmlichen Abwasserreinigung nur ungenügend abgebaut.

Konzentration von Arzneimittelrückständen fast überall in Region zu hoch

„Aufgrund dieser Eigenschaften lassen sich anhand der Leitsubstanzen Rückschlüsse auf die Reduzierungsrate anderer Mikroschadstoffe im Abwasser ziehen“, so die Lanuv-Sprecherin. Die neue EU-Kommunalabwasserrichtlinie könnte bewirken, dass noch mehr Leitsubstanzen ergänzt werden. Die EU-Richtlinie schlägt laut Lanuv dabei eine Liste mit zwölf Substanzen vor, die zurzeit in der Schweiz genutzt wird.

Nach Angaben von René Düppen, Bereichsleiter Abwassertechnik beim Erftverband, blieben im Überwachungszeitraum zwischen 2016 und 2018 sechs der sieben Leitparameter im Einzugsgebiet der Erft unter den Bewertungskriterien. Nur bei der Substanz Diclofenac (ein Wirkstoff gegen Schmerzen und Entzündungen) habe die Konzentration oberhalb des Orientierungswerts von 0,1 Mikrogramm pro Liter gelegen.

Die folgende Grafik zeigt, wie sich die Konzentration von Diclofenac in den Gewässern im Rhein-Erft-Kreis zwischen 2021 und 2024 entwickelt hat. Die Analyse zeigt: Bei 85 Prozent der Messungen im genannten Zeitraum lagen die Diclofenac-Werte in Rhein-Erft über dem Orientierungswert.

Diclofenac macht allerdings nicht nur in der Erft Probleme. Das Lanuv hat zwischen 2015 und 2018 Überblickmessungen vorgenommen und festgestellt, dass die Diclofenac-Werte in großen Teilen der Region um Köln die Orientierungsgrenze überschreiten. So waren laut Lanuv im Beurteilungszeitraum an 39 von 45 Messstellen in ganz NRW die Werte zu hoch. So lässt sich im Teileinzugsgebiet der Wupper (hierzu gehören unter anderem der Oberbergische Kreis und der Rheinisch-Bergische Kreis) nachweisen, dass die Diclofenac-Konzentration in 35,6 Prozent des dortigen Gewässernetzes zu hoch war.

Im Bereich Rheingraben Nord (der das Gebiet rund um Köln, Leverkusen, Bonn und den Rhein-Erft-Kreis umfasst) zeigten 33,1 Prozent des Gewässernetzes zu hohe Diclofenac-Werte und im Einzugsgebiet der Sieg (Bonn, Rhein-Sieg, Teile Rhein-Bergs und Oberbergs) 30,9 Prozent.

Kläranlagen in der Region: Zwei Anlagen in Rhein-Erft werden ausgebaut

Rund um Köln gibt es derzeit laut der vom Lanuv zur Verfügung gestellten Karte nur zwei kommunale Kläranlagen, bei denen die Mikroschadstoff-Filterung ausgebaut wird. Beide befinden sich im Rhein-Erft-Kreis – eine in Brühl, eine in Bergheim-Glessen. Zum Vergleich: In der gesamten Region um Rhein-Erft, Rhein-Sieg, Bonn, Rhein-Berg, Euskirchen, Oberberg und Leverkusen gibt es 108 kommunale Kläranlagen unterschiedlicher Größe.

Die Anlage in Bergheim sei ausgewählt worden, weil sie als sogenannte Membrananlage für das „vom Land geförderte Forschungs- und Entwicklungsprojekt“ geeignet sei, sagt René Düppen vom Erftverband. Dort werden Schadstoffe mit Aktivkohle gefiltert. Für dieses Verfahren habe es bis zum Testzeitraum in Deutschland an einer solchen Anlage noch keine Erfahrungen gegeben. Die Anlage ist vergleichsweise klein, sie hat eine Ausbaugröße von 9000 EW. (EW steht für „Einwohnerwert“. Er beschreibt die Anzahl der Menschen, die im Einzugsgebiet einer Kläranlage leben.)

Menschen stehen vor einer Kläranlage mit zwei großen Metall-Türmen.

Das Wasser an der Kläranlage in Bergheim-Glessen wird zusätzlich mit Aktivkohle gereinigt, bevor es in den Glessener Bach geleitet wird. (Archivbild)

Ansonsten will der Erftverband langfristig vor allem große Kläranlagen im Oberlauf für Mikroschadstoff-Filterung ausbauen, betont Düppen. So werde insgesamt eine „längere Fließgewässerstrecke entlastet“.

Wie nützlich das Verfahren ist, wird sich erst zeigen. Im Gebiet der Erft besteht nämlich noch eine Sondersituation. Laut René Düppen ergab eine Analyse, dass eine Reduzierung der Mikroschadstoffe auf die Wasserqualität der Erft, „keine hinreichende Verbesserung bewirkt, solange bergbaubedingte Belastungen in der Erft vorhanden sind.“ Aus diesem Grund beabsichtigt der Verband, zurzeit noch keine weiteren Anlagen auszubauen.

Neue EU-Richtlinie geplant: Mikroschadstoff-Reduzierung wird damit zur Pflicht

Auch laut der neuen EU-Kommunalabwasserrichtlinie sollen in Zukunft nicht grundsätzlich alle Kläranlagen in NRW für die Mikroschafstoff-Filterung ausgebaut werden. Wie die Lanuv-Sprecherin erklärt, sollen vorrangig Kläranlagen ausgebaut werden, die mehr als 150.000 Menschen versorgen. Auch geht es zunächst um Anlagen an belasteten Gewässern und in Trinkwassereinzugs- und Naturschutzgebieten.

Bei Anlagen, die weniger als 10.000 Menschen versorgen, sei ein Ausbau hingegen in der Regel nicht kosteneffizient. „In NRW gibt es 43 solcher Anlagen ab 150.000 Einwohnende. Davon sind derzeit vier ausgebaut, zwei in Bau und zwei in Planung“, so die Sprecherin.

Im NRW-Bewirtschaftungsplan der Wasserrahmenrichtlinie sei festgelegt, dass weitere 13 Kläranlagen ausgebaut werden. „Die übrigen 22 Kläranlagen ab 150.000 Einwohnende sind über die neue EU-Kommunalabwasserrichtlinie zum Ausbau verpflichtet.“ Die Richtlinie muss allerdings noch vom EU-Parlament verabschiedet werden (sie befindet sich derzeit in Überarbeitung) und dann in deutsches Recht umgesetzt werden. Dafür sind 30 Monate Zeit.