Stichwahl LandratFrank Rock und Dierk Timm vor großen Herausforderungen in Rhein-Erft
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Am 27. September ist Stichwahl im Rhein-Erft-Kreis
Frank Rock (CDU) und Dierk Timm (SPD) wollen Nachfolger von Michael Kreuzberg (CDU) werden
Im Gespräch betonen beide, dass sie eigene Akzente setzen wollen
Rhein-Erft-Kreis – Frank Rock (CDU) und Dierk Timm (SPD) gehen in die Stichwahl um die Nachfolge von Michael Kreuzberg (CDU) als Landrat des Kreises. Mit den Kandidaten sprachen Bernd Rupprecht und Dennis Vlaminck.
Über die Kreuzberg-Nachfolge
Beide Kandidaten betonen, dass sie eigene Akzente setzen wollen. Doch während Rock seinem Parteifreund Kreuzberg attestiert, „ein bestelltes Feld zu hinterlassen“, moniert sein Konkurrent Timm, dass Stillstand herrsche im Kreis: „In den vergangenen Jahren waren wir nicht Motor in der Region. Das hat mir gefehlt, das will ich ändern.“
Frank Rock
Seit 2017 ist Frank Rock Mitglied des Landtags. Der CDU-Politiker aus Hürth studierte Religion, Mathematik, Deutsch und Sport an der Uni Köln. Von 2006 bis zu seinem Einzug in den Landtag war der 50-Jährige Leiter einer Grundschule in Hürth-Efferen. Im Kreistag sind seine Arbeitsfelder Schule, Sport, Kultur und Sozialpolitik. Rock ist verheiratet und hat drei Kinder. (dv)
Mit Lob und Kritik würdigen sich beide Kandidaten. Sie loben die gute Atmosphäre im Wahlkampf, kein Angriff sei unter die Gürtellinie gegangen. Timm moniert, dass Rock im Kreis bisher keine großen Projekte vorangetrieben habe, und Rock vermisst von Timm klarere Aussagen. „Einige seiner Themen sind mir nicht transparent genug.“
Dierk Timm
Der 53-jährige SPD-Politiker Dierk Timm lebt mit seiner Familie in Pulheim. Seit fünf Jahren ist der Vater von zwei Kindern Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion, dem Kreistag gehörte er von 1994 bis 1999 und wieder seit 2009 an. Seit 2011 ist er stellvertretender Vorsitzender der SPD Rhein-Erft. Dem Kreisvorstand gehörte der Diplom-Kaufmann auch schon von 1990 bis 2007 an. (dv)
Über die Grünen
„Die Grünen haben den Klimawandel als Erste gesellschaftlich diskutiert und immer den Finger in die Wunde gelegt, davon profitieren sie heute“, sagt Timm. Andererseits böten sie bei vielen Themen keine Antwort, etwa zur wirtschaftlichen Entwicklung. „Grün und Schwarz haben es nicht geschafft, den Kreis klimaneutral zu gestalten.“
Auch Rock hält die Grünen für zu sehr fokussiert auf ein Thema. „Wir müssen in einer sich spaltenden Gesellschaft mehr zusammenführen. Diese Bereitschaft fehlt mir bei einigen Grünen.“ Auf Kreisebene allerdings hätten Schwarz und Grün verlässlich an guten Themen zusammengearbeitet. „Wir haben CDU-, FDP-, aber auch grüne Politik umgesetzt.“
Über den Kohleausstieg
Timm mahnt zur Eile bei der Schaffung neuer Jobs: „Ich gehe davon aus, dass wir aus wirtschaftlichen Gründen deutlich schneller als 2038 aus der Kohle aussteigen. Wir haben keine Zeit. Ende des Jahres schließen weitere Blöcke in Niederaußem.“ Derzeit gebe es im Kreis „keine arbeitsplatzwirksamen Projekte“. Der Kreis solle zur Modellregion für ökologischen und sozialen Wandel werden.
Rock macht sich Sorgen um das weitere Umfeld von RWE. „Die Mitarbeiter von RWE werden über Anpassungsgelder und Sozialpläne ganz gut versorgt“, sagt Rock. Aber für die jungen Menschen in den anhängenden Branchen müssten „in den nächsten null bis 15 Jahren Arbeitsplätze“ geschaffen werden. „Es ist gut, dass es kein abrupter Ausstieg ist, denn das würde soziale Verwerfungen schaffen.“ Aufgabe des Landrats werde es sein, Netzwerke schnell zu bilden, damit das Geld vom Bund zügig wirkt und Arbeitsplätze schafft. „Der Kreis ist stark genug, die Menschen nicht ins Bergfreie fallen zu lassen.“
Über den Hambacher Forst
Einig sind sich beide Kandidaten in ihrer Einschätzung der Waldbesetzer. „Die, die da in den Bäumen hängen, Menschen verletzen und Gefahren auf sich nehmen, sind für mich Vandalen und Gesetzlose, die sich an den Rahmen unserer Gesetze nicht halten“, sagt Rock. Die Besetzer sollten den Wald verlassen. „Dass RWE den Wald abgibt, etwa in eine Stiftung, ist dringend erforderlich, damit dort Ruhe einkehren kann.“ Die Angriffe auf RWE-Mitarbeiter und Polizisten seien nicht hinnehmbar. „Waldbesetzer sind keine Demonstranten. Was sie machen, ist Hausfriedensbruch.“
„Die, die Menschenleben gefährden, die Menschen angreifen, die mit Fäkalienbeuteln werfen, sind Straftäter“, sagt Timm. „Die müssen verfolgt werden.“ Timm will die weitere Tagebauplanung abwarten. „Dann kann man sehen, welche Flächen gemeinnützig genutzt werden können.“
Über den Kohlekonflikt
„Den Leuten von RWE kann man nach Jahrzehnten nicht sagen: »Du bist der Klimakiller«“, sagt Timm. „Diese Leute haben für den Wohlstand dieser Region gesorgt. Das darf man nicht verteufeln.“ Die Region brauche für die Zeit nach der Kohle auch ein Symbol, das an die Tagebau erinnere. „Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Braunkohlebagger als Museum des Landschaftsverbands Rheinland stehen bleibt.“
„Es ist sehr bedauerlich, dass wir nur noch Freund und Feind kennen und nicht mehr die Mitte“, sagt Rock. „Wir brauchen mehr Aufklärung, einen gesellschaftlichen Diskurs. Es ist für RWE-Leute kaum zu verstehen, dass in Polen oder China Kohlekraftwerke gebaut werden.“
Über Moria
Die Situation im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos beurteilen beide Politiker einmütig als „europäische Schande“, sie betonen aber auch, dass es eine europäische Lösung brauche. „Wenn Deutschland wieder vorangeht, ist das ein humanes und gutes Signal“, sagt Rock. Deutschland könne auch mehr als 400 Familien aufnehmen. „Ich würde mit den Bürgermeistern abwägen, wie viele Menschen wir aufnehmen können. Aber wir sollten die Anzahl nehmen, die verkraftbar ist, denn wir müssen Herrscher des Geschehens bleiben.“ Wichtig sei, dass mehrere Schiffe hinführen, „mit Hilfsmitteln und Zelten, um vor Ort schnellstmöglich die Situation zu verbessern.“
„Allein aus humanitären Gründen wäre ich als Landrat bereit, mit den Bürgermeistern zusammen 500 Flüchtlinge im Kreis aufnehmen“, sagt Timm. „Wir können die Verantwortung für die Menschen, die dort unter freiem Himmel schlafen, nicht abschieben an den Rand der EU.“
Über Corona
Die Auswirkungen der Pandemie analysieren Rock und Timm ganz unterschiedlich. Für Timm etwa habe sich in der Krise deutlich gezeigt, dass die Region in der Digitalisierung hinterherhinke. „Für mich als Landrat kann es nur das Ziel sein, dass wir schnelle Internetverbindungen mittels Glasfaser in jeden Haushalt bekommen. Da ist der Kreis leider schlafmützig unterwegs. Wir müssen Vorreiter bei der Digitalisierung werden.“ Und: Eine starke öffentliche Verwaltung werde gebraucht. „Wir müssen Städte und Kreis personell und finanziell stärken.“
Rock wiederum sieht viel Positives: „Unsere Strukturen haben gut in der Pandemie funktioniert. Dafür bewundern uns alle Länder.“ Als Landrat wolle er ein Krisenstabzentrum einrichten, „vielleicht sogar in Kooperation mit Rhein-Kreis Neuss oder Düren, um in solchen außergewöhnlichen Situationen schnell schlagkräftig zu sein“. Jetzt müsse man analysieren, was zu verbessern sei. „Wir wussten, dass wir in der Digitalisierung nicht gut sind. Corona hat da die Lupe angesetzt.“ Die Genehmigungsverfahren für den Glasfaserausbau etwa müssten deutlich beschleunigt werden.
Über den Wohnungsmarkt
Timm fordert eine eigene Wohnungsbaugesellschaft des Kreises und bemängelt, dass der Kreis alljährlich rund 100 Millionen Euro für die „Kosten der Unterkunft“ ausgibt, also Mietzuschüsse für Bedürftige. Der Kreis solle besser für bezahlbaren Wohnraum sorgen, anstatt Mieten zu bezahlen. „Wir sind der am stärksten wachsende Kreis.“
Rock lehnt eine kreiseigene Wohnungsbaugesellschaft rundweg ab. „Eine solche Gesellschaft, die keine eigenen Flächen hat, wird eine Nullnummer.“ Der Kreis könne allenfalls anregen, mehr Bauflächen für die drei bauwilligen kommunalen Wohnungsbaugesellschaften zu schaffen. Timms Hinweis auf die Mietzuschüsse des Kreises treffe nicht ins Ziel. „Wir zahlen die Wohnungen für Leute, die nicht arbeiten gehen – das heißt, die müssen wir in Arbeit bringen, damit sie ihre eigenen Wohnungen bezahlen können.“
Über eine Verkehrswende
Timm sieht den Kreis bei den S-Bahnen nach Bedburg und nach Pulheim auf der Zielgeraden. CDU und SPD hätten es in Berlin zusammen geschafft, auch die neuen Linien Richtung Jülich und Düsseldorf über Bedburg ins Strukturstärkungsgesetz reinzubekommen. „Aber wir brauchen im Busbereich endlich auch alternative Antriebe“, fordert Timm. „In Köln fahren Elektrobusse, im Kreis Euskirchen fahren Biogasbusse, im Rhein-Erft-Kreis fahren Dieselbusse – das ist für mich keine Verkehrswende.“ Und es müssten endlich pendlergerechte Radwege gebaut werden.
Rock sieht thematisch viele Überschneidungen bei Verkehrsfragen mit seinem Kontrahenten Timm. Er will das Thema des Busverkehrs von Köln in Richtung Kreis auf die Agenda setzen. „Da gibt es viele Busse, die am Grüngürtel Halt machen.“ Die Busflotte der Rhein-Erft-Verkehrsgesellschaft bewertet Rock anders als Timm. „Das ist in der Summe die sauberste Flotte, die in Deutschland fährt.“ Anders sei die Gründung einer kreiseigenen Verkehrsgesellschaft mit eigenem Busbetrieb kurzfristig nicht zu schaffen gewesen, nun müsse allerdings der Umstieg auf andere Antriebe angegangen werden.