Umzug wegen Tagebau HambachSo hat sich Familie Franke in Manheim-neu eingelebt
- Wegen des Braunkohletagebaus Hambach musste Familie Franke 2012 die Zelte in Manheim-alt abbrechen und sich ein neues Leben aufbauen.
- Wir haben die Frankes seitdem begleitet und erfahren, wie es für sie war, in einen neuen Ort zu ziehen, den es vorher nicht gab.
- Mittlerweile gibt es Manheim-neu alles, was die Großfamilie zum Leben braucht.
- Doch vor allem die Anfeindungen von Aktivisten zu Beginn des Jahres haben ihre Spuren hinterlassen.
Rhein-Erft-Kreis – Hier soll das Feuerwehrhaus hin“, sagt Helmut Franke. Er deutet auf eine freie Fläche rechts neben der Straße. Das Unkraut steht kniehoch. Ein paar Margeriten nicken im Wind. Der Boden ist knochentrocken. Franke weist die Straße hinunter. „Und da drüben, am Marktplatz, kommt unsere Kirche hin.“ Mit einem 25 Meter hohen Glockenturm und Platz für bis zu 60 Besucherinnen und Besucher. „Könnte zu klein sein“, sagt Franke. „Bei der Planung der Kita haben sie sich ja auch schon vertan. Die musste bereits erweitert werden.“
Die Baukräne sind mittlerweile verschwunden
Keine Frage – Manheim-neu, das Umsiedlerdorf unweit von Kerpen, wächst. Mehr als 1200 Menschen leben bereits in dem 55 Hektar großen Örtchen, das vor sieben Jahren aus dem Boden gestampft wurde, als der Braunkohletagebau Hambach seinen Tribut forderte: Das mehr als 1000 Jahre alte Ursprungsdorf Manheim, im Abbaubereich des Tagebaus gelegen, soll – zumindest nach jetziger Planung – in den nächsten Jahren weggebaggert werden. Der Beschluss dazu stammt aus dem Jahr 1977. Seitdem wissen die Manheimer, dass ihr Dorf keine Zukunft hat. Im April 2012 begann die Umsiedlung ins acht Kilometer entfernte Manheim-neu.
Inzwischen ist aus der ehemaligen Brache inmitten von Wiesen und Feldern, auf denen die Mäuse tanzten, ein funktionierendes Dorf mit einer engagierten Bürgerschaft geworden. Ein Teil der Straßen ist asphaltiert und mit Bürgersteigen versehen. Die vielen Baukräne, die jahrelang das Ortsbild prägten, sind weitgehend verschwunden. Selbst die steinernen Wegkreuze aus Manheim-alt und das „Hillijehüsche“ haben inzwischen ihren Weg in das neue Dorf gefunden. Die kleine Marienkapelle aus dem 17. Jahrhundert wurde Stein für Stein abgetragen und originalgetreu in Manheim-neu wieder aufgebaut.
Die Umsiedlung schweißte die Einwohner zusammen
„Die Manheimer sind angekommen“, sagt Franke. Wovon unter anderem das lebhafte Vereinswesen im Ort zeuge. „Die Umsiedlung hat uns mehr denn je zusammengeschweißt. Jeder redet mit jedem, weil wir alle das Gleiche mitgemacht haben. Das war früher anders. Da sagte man höchstens mal »Hallo«, wenn man jemanden im Dorf traf. Heute bleibt man stehen.“ Ein wenig Stolz auf das Erreichte schwingt mit in seiner Stimme.
Das war vor zwei Jahren, als wir uns das letzte Mal trafen, noch anders. Von 2010 bis 2014 begleitete der „Kölner Stadt-Anzeiger“ die Umsiedlung des 75-Jährigen und seiner inzwischen elfköpfigen Familie in einer zwölfteiligen Serie. Auch später hielten wir Kontakt.
Jeden Sonntag trifft sich die Familie zum Frühstück
Seit bald fünf Jahren lebt Helmut Franke mit Ehefrau Elfriede, den Söhnen Jörg Liegl und Norman und deren Familien in Manheim-neu. In einem 480 Quadratmeter großen Mehrgenerationenhaus mit Garten und einem Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss. Hier trifft sich die Familie jeden Sonntag um neun Uhr zum gemeinsamen Frühstück. Das Haus verfügt über fünf unterschiedlich große Wohneinheiten, darunter zwei Apartments für die erwachsenen Enkel Marvin und Marie. Eingegroovt habe man sich in der neuen Heimat, darin sind sich alle einig. Vor allem habe man sich nach stressreichen, von Auseinandersetzungen und Abschiedsschmerz geprägten Jahren als Familie neu gefunden. Was zeitweise nicht ganz sicher schien.
„Mit dem alten Ort habe ich schon lange abgeschlossen“, sagt Norman Franke (36), dessen jüngste Tochter eine echte Neu-Manheimerin ist. Den Schlusspunkt habe im Mai 2019 die Entwidmung der Dorfkirche St. Albanus und Leonhardus gesetzt. Jetzt, wo der letzte Anlaufpunkt weggefallen sei, gebe es für die Manheimer keinen Grund mehr, den alten Ort zu besuchen. „Höchstens aus Neugierde. Aber selbst die ist kaum noch vorhanden.“ Somit könne endlich mit dem Bau der Kirche in Manheim-neu begonnen werden. Der Altar aus St. Albanus und Leonhardus, das Altarkreuz, einige der bunten Kirchenfenster und die Glocken sollen darin ihren Platz finden.
In Manheim-alt leben noch 106 Menschen
Nur noch 106 Menschen leben in dem einst 1700 Einwohner zählenden Manheim-alt: einige wenige Bauern und Alteingesessene, die auf ihre Umsiedlung warten. 15 Asylbewerber hatte die Stadt Kerpen bis Mitte August in drei Häusern einquartiert. Zugezogene auf Zeit, die noch eine Weile von den billigen Mieten in dem todgeweihten Ort profitierten. Ein Großteil der Häuser ist bereits dem Erdboden gleichgemacht, andere sind mit Brettern vernagelt. Auch Frankes Elternhaus in der Blumenstraße wurde vor mehr als einem Jahr „plattgemacht“. Worüber der 75-Jährige, der bis heute einmal in der Woche durch die verfallenden Straßen seines alten Dorfes streift, inzwischen „ohne Kloß im Hals“ reden kann.
Das könnte Sie auch interessieren:
„Das hier ist nicht mehr die Heimat, die sie einmal war. Dafür haben wir es heute viel größer und schöner.“ Das verwaiste Grundstück ist bereits von Gras und Unkraut überwuchert. Nur ein paar zerzauste Akazien markieren die Stelle, wo früher der Garten lag.
Von Braunkohlegegnern wurden sie beschimpft
Längst ist der geplante Abriss des Dorfes zu einem Politikum geworden. Und das nicht erst seit der Empfehlung der Kohlekommission der Bundesregierung, die im Januar 2019 verlauten ließ, dass der Erhalt des nahen Hambacher Forsts wünschenswert sei. Bereits 2018 waren mehrere Häuser zeitweise von Braunkohlegegnern besetzt. Was hunderte Manheimer als einen „Schlag ins Gesicht“ empfanden und mit einem Protestmarsch beantworteten. Auch während der Entwidmung der alten Pfarrkirche im Mai demonstrierten Klimaschützer, Fridays for Future-Anhänger und Forst-Besetzer gegen den Abriss des Dorfes.
„Wehrt Euch, wehrt Euch“ und „Verräter“, skandierten einige von ihnen, als die 400 Gläubigen nach dem Gottesdienst Reliquien und andere sakrale Gegenstände aus der Kirche trugen.
Unwürdig sei das damals alles gewesen, sagt Isa Liegl, die mehr als die Hälfte ihres Lebens in Manheim-alt verbrachte. „Wir haben dieses Kapitel abgehakt, und das ist uns bestimmt nicht leichtgefallen. Jetzt werden wir beschimpft, weil wir uns nicht für den Erhalt der Kirche einsetzen. Wir haben uns damals mit dem Beschluss zur Umsiedlung des Dorfes arrangiert, und das sollte man respektieren. Jetzt ist es zu spät, daran noch etwas zu ändern.“
Und wenn der alte Ort gar nicht weggebaggert würde? Wenn ein schneller Kohleausstieg, ein Abbaustopp den Erhalt des Dorfes in den Bereich des Möglichen rückten? „Dann gäbe es trotzdem kein Zurück“, sagt Norman Franke. „Für die meisten Manheimer ist die Umsiedlung abgeschlossen. Unsere neue Heimat ist hier. In Manheim-neu.“