Hennef – Eine Hochzeit nach 53 Jahren, da staunte selbst die Standesbeamtin im alten Hennefer Rathaus nicht schlecht. Doch dass die „Probezeit“ beim Ehepaar Dellory/Wloka so lange dauerte, hat nichts damit zu tun, dass einer der Partner zwischendurch kalte Füße bekommen hat. Geheiratet hätten die beiden gerne früher. Doch sie durften nicht. Herbert und Michael sind homosexuell.
„Niemals hätte ich geglaubt, dass die Heirat jemals möglich sein würde“, sagt der heute 85-jährige Michael Wloka. „Wir haben damit nicht gerechnet“, ergänzt Herbert Dellory (77). Schließlich wuchsen beide in einer Zeit auf, als Homosexualität in Deutschland strafbar war. Sich verstellen, sich verstecken, das war Alltag. „Das war ein richtiges Lügengewebe, da konnte man sich drin verfangen“, berichtet Dellory.
Liebe im Verborgenen
Als die beiden sich kennenlernten, im April 1964 in einer Kneipe in Solingen-Ohligs, „da haben wir uns angeguckt und beide geahnt, da tickt jemand so wie ich“, erzählt er. Ein langes, intensives Gespräch folgte und eine Verabredung für ein Wiedersehen. „Ohne Namen. Man konnte ja nicht vorsichtig genug sein.“ Aus der behutsamen Annäherung wurde bald mehr. „Er war so ein richtiger Kerl, Biertrinker, rauchte eine große brasilianische Zigarre. Michael war mein großer Beschützer“, schwärmt Dellory und schmunzelt: „Heute helfe ich ihm mit seinem Humpelbeinchen aus der Bahn, so ändern sich die Zeiten . . .“
Der erste gemeinsame Urlaub folgte – 1965 auf Mallorca – und die erste Zerreißprobe: Der Antrittsbesuch bei den Müttern. „Meine Mutter war natürlich nicht begeistert. Aber dann kam Michael, mit einem Biedermeiersträußchen. Und er war so gebildet und so höflich.“ Das Eis schmolz endgültig, als beide Mütter einander kennenlernten. „Sie waren sich auf Anhieb sympathisch“, sagt Dellory schmunzelnd, und zwar so sehr, dass beide Damen bald miteinander in Urlaub fuhren.
Die Nachbarschaft war eine andere Sache. „Michael musste ja immer an der anderen Haustür vorbei, wenn er mich besuchte.“ Die neugierigen Blicke fühlt Dellory heute noch. „Früher war das schrecklich, wenn man gefragt wurde. Was hätte ich denn antworten sollen?“ Den Freundschaftsring, den er 1972 mit Michael tauschte und der nun von der linken auf die rechte Hand wechselte, versteckte er jahrelang in der Hosentasche, wenn er zur Arbeit ging. „Ich hatte Angst, von den Kollegen danach gefragt zu werden.“ Solingen, beschreibt er, „war eine Provinz, man wurde bei der Polizei angeschwärzt“.
Eines Tages kam er dann tatsächlich, der gefürchtete Anruf: „Da ist jemand von der Polizei, der Sie sprechen möchte.“ Mit zitternden Knien sei er aufgestanden und aus dem Büro gegangen, erinnert sich der 77-Jährige. „Es war ein hohes Treppenhaus, da habe ich kurz überlegt, zu springen.“ Dabei wollte der Polizist nur etwas kaufen.
Diskriminiert oder gar angegriffen wurden sie jedoch nie, berichten beide. „Aber wir sind ja auch zurückhaltend. Händchen halten und küssen, das muss man doch nicht in der Öffentlichkeit machen“, findet Dellory. „Der CSD dient unserer Sache nicht, ich mag auch das Wort schwul nicht“, sagt Wloka. „Aber wir stehen zu unserer Partnerschaft.“
Der schönste Tag im Leben
Die haben sie gleich eintragen lassen, als es im Jahr 2001 möglich war. Romantisch, nein, das war die Unterschrift damals nicht. „Das war ein bürokratischer Akt“, sagt Dellory. „Für den Fall, dass einem von uns etwas passiert.“ Umso schöner war die Hochzeit: „Die Welle von Sympathie und Zuspruch, die wir erfahren haben, war überwältigend.“
Verboten und verfolgt
Gelebte Homosexualität war in der Bundesrepublik Deutschland nach Paragraf 175 des Strafgesetzbuches verboten. Am 10. Mai 1957 entschied das Bundesverfassungsgericht: „Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz.“
Mehr als 50.000 Männer wurden nach dem Paragraf 175 verurteilt, mehr als 100.000 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet, bis 1969 gleichgeschlechtlicher sexueller Verkehr legalisiert wurde. Voraussetzung: Die Partner mussten mindestens 21 Jahre alt sein. 1973 wurde die Altersgrenze auf 18 Jahre gesenkt.
Die Daten von Homosexuellen wurden jedoch weiter polizeilich verwaltet. „Rosa Listen“ wurden geführt. Das Handbuch der Kriminalistik sah noch 1978 die Führung von Homosexuellenkarteien als notwendige Maßnahme zur Wahrnehmung der polizeilichen Sicherungsaufgaben an.
Nach der Wiedervereinigung hob der Deutsche Bundestag den Paragrafen 175 auf. Im Februar 2001 schließlich wurde das Lebenspartnerschaftsgesetz verabschiedet, durch das gleichgeschlechtliche Partnerschaften staatlich anerkannt wurden.
Die Ehe für alle wurde am 30. Juni 2017 im Bundestag mit 393 Ja- zu 226 Nein-Stimmen verabschiedet, nachdem der Fraktionszwang für CDU und CSU für die Abstimmung aufgehoben worden war. Seit 1. Oktober 2017 dürfen in Deutschland gleichgeschlechtliche Ehen geschlossen werden. (seb)
Warum ihre Beziehung all die Jahre überdauert hat? „Man muss bereit sein, den Partner mit seinen Eigenheiten zu akzeptieren, auch mal zurückstecken“, so Dellory. „Und vor allem: reden, reden, reden. Beim Putzen quasseln wir so viel, dass ich manchmal nicht mehr weiß, ob ich in der Ecke schon war oder nicht.“
„Herrliche Jahre“ hätten sie gehabt, viele gemeinsame Reisen nach Mexiko, Kuba, Südafrika unternommen. Rad gefahren sind sie viel, auch an der Sieg, wo es ihnen so gut gefiel, dass sie 1994 nach Hennef zogen. Jetzt treten sie kürzer, die große Eigentumswohnung ist verkauft. Verreist wird nun nach Bad Wörishofen statt nach Bali. „Wir haben beide ein bisschen Krebs, aber wir helfen uns ja gegenseitig.“ Und komme mal eine dunkle Stunde in ihrem Leben, „dann denken wir an unsere Hochzeit zurück; das war der schönste Tag in unserem Leben“.