Wann ist Mann ein Mann? Und leben wir noch in der Steinzeit? Schülerinnen und Schüler am Berufskolleg sprechen über Gewalt in Partnerschaften.
Auch Täter brauchen HilfeCarl-Reuther-Berufskolleg informiert über Partnerschaftsgewalt

Schülerinnen und Schüler des Carl-Reuther-Berufskollegs diskutieren über die Unterschiede der Geschlechter.
Copyright: Lilian von Storch
„Häusliche Gewalt ist kein Problem der Herkunft, der Kultur oder Ausbildung, sondern das ist ein Problem von uns Männern“, sagt der Sozialarbeiter und Erzieher Roland Hertel. Er selbst litt unter seinem gewalttätigen Vater. Die Aufklärung über häusliche Gewalt hat er sich zur Lebensaufgabe gemacht. Er arbeitete schon mit Tausenden Tätern und Betroffenen. An diesem Tag spricht er vor Schülerinnen und Schülern des Carl-Reuther-Berufskollegs in Hennef über Gewaltdynamiken in Paarbeziehungen.
Hennefer Berufskolleg möchte Schüler früh sensibilisieren
„Für mich war mit acht Jahren klar: Ich möchte nicht so werden wie mein Vater“, sagt Hertel. Es gebe aber zahlreiche Untersuchungen, dass Kinder, die häusliche Gewalt erlebt hätten, später mit erhöhter Wahrscheinlichkeit selbst gewalttätig würden. „Gewalt wird oft von Generation zu Generation weitergegeben“, bestätigt Katja Milde, Gleichstellungsbeauftragte des Rhein-Sieg-Kreises, „deswegen ist es so wichtig, das aufzubrechen, indem man die jungen Menschen schon früh sensibilisiert.“
Häusliche Gewalt ist kein Problem der Herkunft, der Kultur oder Ausbildung, sondern das ist ein Problem von uns Männern.

Roland Hertel hatte selbst einen gewalttätigen Vater und hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, über häusliche Gewalt aufzuklären.
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Nur etwa ein Sechstel der Schülerschaft sei weiblich, sagt Eva Zoske-Dernóczi, die das Projekt „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ am Berufskolleg leitet und als Schulpfarrerin Seelsorge für die jungen Leute leistet. Manche Zuhörende der heutigen Veranstaltung sind erst 16 Jahre alt, manche schon älter. „Das sind also genau die jungen Männer, die jetzt vielleicht ihre ersten Paarbeziehungen führen“, schätzt Zoske-Dernóczi.
In Hennef entbrennt Diskussion über Unterschiede der Geschlechter
Roland Hertel zeigt den Schülerinnen und Schülern zuerst einen Kurzfilm, der häusliche Gewalt in einer Familie thematisiert. Die Zuschauenden sind sichtlich berührt. Danach fragte Hertel: „Warum haben wir Männer das Bedürfnis, zu sagen, wir müssen größer sein als die Frauen?“
Gewalt wird oft von Generation zu Generation weitergegeben.
„Ich möchte Frauen schon gerne beschützen. Ich hab' aber nie den Gedanken gehabt, sie zu beherrschen“, wirft ein Schüler in den Raum. Eine Schülerin entgegnet: „Beschützen, aber wovor? Jemand, der sowas sagt, ist wahrscheinlich selbst genauso wie die Männer, vor denen er Frauen beschützen will.“ Roland Hertel nickt. „Frauen brauchen gar keinen männlichen Schutz, sondern eine Beziehung auf Augenhöhe. Warum denken das trotzdem so viele?“
Daraufhin beginnt eine Diskussion. „In der Tierwelt ist es ja auch so, dass die Männchen die Weibchen vor den anderen beschützen“, sagt ein Schüler. Eine Schülerin kontert: „Dieses männliche Verhalten hat nachweislich keinen biologischen Hintergrund, das ist gesellschaftlich eingetrichtert. Selbst in der Tierwelt gibt es dafür keine Beweise.“

Die Schülerinnen und Schüler schauen einen Kurzfilm, der häusliche Gewalt thematisiert, dann gehen sie in die Diskussion.
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Es geht zurück in die Steinzeit: „Aber wenn das dann so ist, warum sind dann die Männer früher jagen gegangen?“ An die 100 junge Männer applaudieren lautstark. „Neuere Untersuchungen zeigen, dass Männer und Frauen früher zusammen gejagt haben“, hält eine Schülerin dagegen.
Roland Hertel macht darauf aufmerksam, dass die heutige Gesellschaftsform keine Rolle mehr spielen solle, wer früher mal gejagt habe, aber dennoch keine Gleichberechtigung herrsche. Dass auch Männer von dieser Ungleichheit betroffen sind, indem sie bestimmten Männlichkeitsidealen entsprechen sollen, nach denen sie zum Beispiel keine Emotionen zeigen dürfen.
Das System belastet ja beide Geschlechter, die Männer in bestimmten Bereichen sogar mehr.
„Wer sagt denn, dass Männer nicht schwach sein dürfen?“, fragt Hertel. „Voll viele Frauen!“, ruft ein Schüler, und mehrere andere klatschen zustimmend. „Im Internet wird gesagt, wenn ein Mann seine Gefühle zeigt, dann ist es kein Mann“, sagt ein anderer Schüler. „Es wird immer wieder gesagt, dass Frauen doch Stärke an Männern sehen wollen“, sagt eine Schülerin daraufhin, „ich meine damit aber auch die Stärke, Emotionen zu zeigen.“
Ein Schüler weist darauf hin, dass auch Männer häufig Gewalt in Paarbeziehungen erlebten, das aber weniger ernst genommen werde. Männer nähmen solche Gewalt selbst nicht ernst genug, sagt dann eine Schülerin: „Wenn Männer das zur Sprache bringen würden, würden auch andere unterdrückte Männer sehen, dass sie auch darunter leiden.“
Alle Menschen in einem Zyklus von Gewalt brauchten Hilfe, zeigt Roland Hertel daraufhin - die Betroffenen, Beteiligte wie beispielsweise Kinder und die Gewaltausübenden. Selbst jahrelang erfahren in der Arbeit mit Tätern, zeigt er Möglichkeiten wie beispielsweise Männergruppen oder Einzeltherapien auf. „Ich habe mir als Kind nichts mehr gewünscht, als dass wir alle Hilfe bekommen“, sagt Hertel.
„Häusliche und sexualisierte Gewalt sind Themen, mit denen die meisten sich nicht freiwillig beschäftigen“, sagt Eva Zoske-Dernóczi. In der Präventionsarbeit sei es wichtig, Männer nicht allgemein als schlecht darzustellen: „Das patriarchale System belastet ja beide Geschlechter, die Männer in bestimmten Bereichen sogar mehr“, sagt die Schulpfarrerin, „Wer sitzt denn in den Gefängnissen? Wer sind denn die, die das Gesundheitssystem belasten, weil sie nie zur Vorsorge gehen?“
Das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist in 18 Sprachen Tag und Nacht unter 116 016 erreichbar.Das Hilfetelefon für von häuslicher und sexualisierter Gewalt betroffene Männer ist unter 0800 1239900 erreichbar.