Stabile EnergiepreiseLohmarer Bauer versorgt 30 Firmen mit Nahwärme aus Biogasanlage
Lohmar – Explodierende Gaspreise, rasant steigende Heizkosten? Im Gewerbegebiet Scheiderhöhe ist das kein großes Thema. Denn die Energiequelle der 30 Firmen liegt nebenan: auf dem Schöpcherhof. Hier machen Christoph und Birgit Lüpschen Biogas – aus Mist, Gülle und Speiseresten.
Als der Bauer mit dem Doktortitel in Agrarwissenschaft 2009 mit dem Bau der Anlage begann, schüttelten Kollegen den Kopf. Viel Risiko, ungewisser Ertrag. Die vier Millionen waren eine Zukunftsinvestition, „das bewahrheitet sich jetzt“, sagt der 55-Jährige.
Genug Strom für 5000 Haushalte
Als Visionär, als Weltverbesserer sieht sich Lüpschen nicht: „Es ging vor allem darum, den Betrieb besser aufzustellen, die Einkommenssituation in der Landwirtschaft war nicht gut und ist nicht gut.“ 200 Milchkühe hat der Hof am Dorfrand, 400 Tiere sind es insgesamt, mit Kälbchen und Färsen.
Sechs Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr, genug für 5000 Haushalte, produziert die Biokraft GmbH. Weithin sichtbar sind nur die Dächer der Gasspeicher, die an Zirkuszelte erinnern, die beiden Behälter stecken sechs Meter tief im Untergrund. Von den Fermenter-Becken, in denen die Bakterien die Biomasse zersetzen, ragen allein die Rührwerke und die Überdrucksicherungen aus dem Boden.
Nur wenige Anlagen im Kreis
Anwohnerproteste in Much
Biogasanlagen sind im Rhein-Sieg-Kreis zumeist nicht über das Planungsstadium hinausgekommen. Im Gewerbegebiet Bitzen, gemeinsam von Much und Seelscheid getragen, verhinderten Anwohnerproteste den Bau. Diese befürchteten zu viel Lkw-Verkehr. (coh)
Mit Mais und Gras
In Seelscheid betreibt Landwirt Georg Knecht eine kleinere Anlage, in der neben der eigenen Rindergülle zu 60 Prozent Mais und Grassilage vergären. Neben Strom wird im Blockheizkraftwerk Wärme erzeugt, die er im Ort vermarktet. (coh)
Proteste vom BUND
Die Rhein-Sieg-Abfallgesellschaft hielt noch 2015 die Erzeugung von Biogas für unwirtschaftlich. Künftig sollen mit dem Ökokraftstoff die Müllautos fahren. Hierzu muss das Biogas aus der Vergärungs- und Kompostierungsanlage in Sankt Augustin-Niederpleis aber aufbereitet werden. Die geplante Einspeisungsanlage stößt auf Kritik des Bundes für Umwelt- und Naturschutz: Die Technik störe die Amphibien, hieß es im Naturschutzbeirat des Kreises. (coh)
Der Riesen-Komposthaufen braucht regelmäßig Nachschub, 24 Mal am Tag ist Bakterien-Fütterung. „Mist und Gülle der Rinder sind ideal, um die Stämme zu impfen“, sagt Lüpschen, „mit Schweinemist funktioniert das schlecht.“ PH-Wert und andere Parameter werden alle zwei Stunden gemessen.
Untergemischt werden Speisereste aus Restaurants und aus der Lebensmittelherstellung, ein Bagger schaufelt gerade leere Reismilch-Tetrapaks in den Container: „Die haben wir ausgepresst.“ Die Naturstoffe, die sonst verbrannt worden wären, helfen so, die Energiewende zu befeuern.
Die Biogaserzeugung auf dem Schöpcherhof fällt rechtlich unter das Abfallgesetz, daher gelten strengere und teurere Vorschriften als für andere Anlagen, die mit Mais und Getreide betrieben werden, ärgert sich der Landwirt. „Die wurden damals auch noch sehr gefördert.“
Mit seinem Biogas, das beim Vergären entsteht, kann man nicht heizen, zu viel Methan, zu viel Schwefel. Die Aufbereitung wäre sehr teuer. Die Technik, vereinfacht beschrieben: Das Biogas treibt einen Gasmotor an, an den ein Generator angeflanscht ist, der Strom erzeugt, 800 Kilowatt in der Stunde. Der Strom betreibt die Anlage und wird auf dem Hof genutzt, der Überschuss fließt ins Netz.
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Mit der Abgaswärme des Motors – 900 kWh thermische Energie – wird Wasser erhitzt. Das braucht Lüpschen zum kleineren Teil zum „hygienisieren“ des Gärsubstrats, das ist nach einer Stunde bei 70 Grad Celsius keimfrei und fertig für den Acker: „Wir haben seit 2009 keinen mineralischen Dünger mehr genutzt.“
Das Gros der thermischen Energie aber heizt den Schöpcherhof und als Nahwärme die Kirche, das Gasthaus Scheiderhöhe und das Gewerbegebiet – das hat der Landwirt 2018 gekauft. Auf den Dächern liegt Photovoltaik, „die Firmen brauchen ja auch Strom“. Der Verpackungshersteller Overath GmbH kann dank der stabilen Energiepreise in Lohmar weiter produzieren, am zweiten Standort blieben die Maschinen oft stehen, so Udo Overath.
Autonomes Fütterungsfahrzeug
Sieben Lkw in der Woche steuern den Hof an, in der Corona-Zeit musste der Bauer neue Lieferanten suchen, die Restaurants hatten zu. Aktuell sorge der einbrechende Biomarkt für Materialmangel. Ein wichtiges Segment, denn seit vergangenem Jahr darf er seinen Dünger an Öko-Betriebe liefern.
Der Hof, den das Paar einst von Birgit Lüpschens Eltern übernahm, ist fast autark, auch dank des autonomen, elektrisch angetriebenen Fütterungsfahrzeugs. Der programmierte Wagen lädt Heu, Getreide, Trester und 14 weitere Bestandteile rund um die Uhr ein und rollt über den Hof zum Stall.
Aus der Politik bekam Lüpschen keine Unterstützung
Von den im Asphalt liegenden Steuerpunkten ist nichts zu sehen, nur der Gummiabrieb zeigt den Fahrweg. 10.000 Liter Diesel für den Traktor spart das – und Arbeitskraft. Acht Beschäftigte hat der Familienbetrieb, so der Landwirt, seine drei Kinder und zwei Schwiegerkinder packten mit an.
Warum gibt es nicht mehr Nachahmer? „Die Hürden waren sehr hoch, das wurde politisch nicht unterstützt, solche Projekte nehmen ja den Energiekonzernen etwas weg.“ Die Entwicklung sei verschlafen worden.
Es gebe aber gute Beispiele, wie in einem Eifelörtchen, das ein Kesselhaus mit Biogas und Holzpellets betreibt: „Damit wird das ganze Dorf versorgt.“