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Flutkatastrophe in Rheinbach„Das Schlimmste ist die Ungewissheit“

Lesezeit 6 Minuten

Niederdreeser Bürger in der Turnhalle der Glasfachschule 

Rheinbach – „Das Schlimmste ist die Ungewissheit und das Fehlen jeglicher Informationen, wie es weitergehen soll“, sagt Holger Klöß, der Ortsvorsteher von Niederdrees, der ebenso wie alle anderen Einwohner von Niederdrees und Oberdrees wegen des drohenden Dammbruchs der Steinbachtalsperre am Donnerstag aus seinem Haus in Sicherheit gebracht wurde.

Zusammen mit 250 anderen Menschen aus den beiden Ortsteilen war er am Freitag in der Rheinbacher Stadthalle sowie in der benachbarten Gesamtschule untergebracht, wo der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Köln in Zusammenarbeit mit den Kölner Johannitern eine Betreuungsstation für 500 Personen aufgebaut haben. Die Stimmung ist angespannt, aber positiv, „die Leute nehmen die Situation notgedrungen mit Galgenhumor“, meinte Eva Konrath, die in Oberdrees wohnt.

Zu Spitzenzeiten am Donnerstagabend bevölkerten 800 Personen den Platz rund um die Stadthalle, was aber für die Einsatzkräfte kein Problem darstellte, wie Sven Grebe vom ASB versicherte. Er leitet die Betreuungsstelle, in der sich tagsüber 100 Helfer um die Belange der Evakuierten kümmern, neben 60 Leuten von ASB und Johannitern gehören auch 40 Soldaten der Tomburg-Kaserne zum Team.

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Die allermeisten der Evakuierten seien mittlerweile bei Verwandten und Bekannten untergekommen, dennoch mussten noch 250 Personen – überwiegend Familien mit Kindern und Senioren – versorgt werden. „Alles kein Problem, wir haben hier die Sache voll und ganz im Griff“, versichert Greve. Schließlich sei die Betreuungseinheit speziell für solche Situationen ausgebildet.

„Unsere Aufgabe ist es, die Unterkünfte sicherzustellen, Speisen und Getränke zu verteilen, Kleider und andere Dinge des täglichen Bedarfs abzugeben und nicht zuletzt ein offenes Ohr für die Sorgen der Betroffenen zu haben“, so Greve. Manchmal benötigen die Betroffenen aber auch „Erste Hilfe für die Seele“, denn mitunter würden auch schlimme Nachrichten überbracht.

Die Psychosoziale Notfallversorgung des ASB kümmere sich um die Verzweifelten. Im benachbarten Jugendwohnheim der Glasfachschule wurde zudem eine eigene Abteilung für die Evakuierten eingerichtet, die pflegebedürftig oder bettlägerig sind, „um die kümmern sich speziell ausgebildete Pflegekräfte fast im Verhältnis eins zu eins.“

Die Stadthalle und auch das Foyer dienen tagsüber als Aufenthaltsort und sind mit unzähligen Tischen und Stühlen ausgestattet. „Wir haben jede Menge Bücher und Gesellschaftsspiele verteilt, damit sich die Leute die Zeit vertreiben können“, sagt Grebe.

Auf dem Vorplatz spielen die Kinder Fußball, die Erwachsenen haben sich zu kleinen Grüppchen zusammengefunden, um über die Situation zu reden. Unter dem Vordach des Glaspavillons ist eine Raucherecke eingerichtet, die aber nur spärlich besucht ist.

Die Essensausgabe erfolgt in der Mensa der Gesamtschule, allerdings wird hier nicht gekocht, sondern im Johanniter-Stift in Meckenheim. „Die sind für solche Fälle ausgerüstet und können das viel besser.“

Dreimal am Tag werden dort zum Frühstück, Mittagessen und Abendessen jeweils 300 Portionen zubereitet. Eine Auswahl gibt es allerdings nicht, jeder bekommt das gleiche, „die einzige Wahl ist, ob man sein Gericht mit oder ohne Fleisch haben möchte.“ Dass dennoch der eine oder andere bemängelt, dass es zu Frühstückstoast keine Butter gebe, sei angesichts ihrer Situation absolut nachvollziehbar. Da klammere man sich an jedes kleine bisschen Normalität.

Wie lange der Betreuungsplatz noch gebraucht werde, war am Freitag nicht absehbar. „Aber wir bleiben so lange hier, wie wir gebraucht werden, es gibt keine zeitliche Begrenzung“, beruhigte Grebe auch Bürgermeister Ludger Banken und den Ersten Beigeordneten Raffael Knauber, die in der Stadthalle mit den Betroffenen sprachen.

Viele Informationen konnten sie auch nicht weitergeben. „Wir wissen selbst so gut wie nichts, denn wir sind völlig von der Außenwelt abgeschnitten, ohne Internet, Handynetze und Telefonnetz.“ In den Ortschaften stünden die Löschgruppenführer als Ansprechpartner zur Verfügung, außerdem werde die Stadt in Zusammenarbeit mit der Polizei Lautsprecherwagen herumschicken.

Knauber sieht die Wiederherstellung der Versorgungssysteme und der Kommunikationsnetze auch als eines der Hauptaufgaben für die nächsten Tage. Fürs erste habe man in jedem Ort Mülllagerplätze eingerichtet, die aber schon völlig überfüllt seien und nicht ausreichen. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln müsse ebenfalls gewährleistet sein, deshalb zeigten Banken und Knauber auch kein Verständnis dafür, dass ein Lebensmittelgroßhandel seine Pforten nicht, wie vereinbart, für die Einkäufer des ASB geöffnet habe und sie nach Auskunft von Grebe am Morgen vor verschlossenen Türen stehen ließ. „Das stellt uns schon vor Probleme“, so Grebe, denn weil man verschiedene Dinge wie Getränkekästen und Toilettenpapier palettenweise benötige, müsse man nun nach Alternativen Ausschau halten.

Aus den Klassenräumen der Gesamtschule hat das Betreuungsteam Schlafräume gemacht, in denen jeweils acht bis zehn Personen auf Feldbetten die Nacht verbringen können. Wolldecken hat die Justizvollzugsanstalt Rheinbach in großer Zahl zu Verfügung gestellt, über 200 noch ungenutzte Feldbetten stehen in den Turnhallen der Glasfachschule und der Gesamtschule noch in Reserve. Denn wann bezüglich der Steinbachtalsperre Entwarnung gegeben wird, war bis Redaktionsschluss noch nicht absehbar.

„Es wird alles wieder gut“, ist zumindest Holger Klöß optimistisch, aber er weiß auch: „Im Moment liegen die Nerven blank.“ Der Ortsvorsteher sieht sich in dieser Ausnahmesituation als Ansprechpartner und Trostspender für „seine“ Niederdreeser und bleibt auch deshalb freiwillig in der Stadthalle „bei meinen Leuten“. Die Menschen wollten dringend nach Hause und nachschauen, was dort los sei, denn es gebe nach wie vor keinerlei Informationen. Keiner wisse, wie es weitergeht, aber eins sei sicher: „Die Arbeit geht erst richtig los, wenn wir wieder zurück ins Dorf können.“

Ortsvorsteher Klöß kritisiert den Landrat

Ohnehin versteht Klöß es nicht, wieso Landrat Sebastian Schuster (CDU) nicht den Katastrophenfall ausgerufen habe, wie es in den Nachbarkreisen Euskirchen und Ahrweiler der Fall sei. „Was muss denn noch passieren?“ Denn das erleichtere den Schadenersatz doch sehr. Er hoffe dennoch auf unkomplizierte und unbürokratische Hilfe.

Immerhin habe die Evakuierung gut funktioniert, und auch die Betreuungsstelle in der Stadthalle sei bestens organisiert. Und trotz der angespannten Situation ist Klöß noch immer zu einem Scherz aufgelegt: „So viele Ober- und Niederdreeser haben noch nie so lange auf so engem Raum zusammengelebt, ohne sich in die Haare zu kriegen“, schmunzelte er und sieht die gemeinsame Evakuierungs-Erfahrung auch als Chance, dass die beiden Ortschaften noch enger zusammenwachsen.

Während die Wassermassen am Freitag langsam abliefen, rollt eine Welle der Hilfsbereitschaft. Das berichtete Landrat Schuster am Nachmittag. Im Kreishaus seien viele Angebote eingegangen, Opfer der Flut unterzubringen. Sachspenden seien ebenso wie finanzielle Hilfen angekündigt worden.

Mit Kreisbrandmeister und Einsatzleiter Dirk Engstenberg sowie Ingo Freier , Leiter des Katastrophenschutzes, zog Schuster eine Zwischenbilanz. In den linksrheinischen Kommunen Rheinbach und Swisttal hätten die Unwetter „die größten Schäden seit dem Zweiten Weltkrieg“ hinterlassen. Bis Freitag seien sieben Menschen ums Leben gekommen, eine Person werde noch vermisst. Viele Suchanfragen aus der Bevölkerung seien nicht mehr aktuell gewesen, als immer mehr Ortschaften wieder mit Strom und damit auch mit Telefon- und Hand-Verbindungen versorgt worden seien, erklärte Freier.