Rhein-Sieg-Kreis – Nach der Hochwasserkatastrophe sind Menschen – insbesondere aus dem linksrheinischen Rhein-Sieg-Kreis – vorübergehend auch in Siegburg und Hennef untergekommen. Wir haben mit zwei Familien aus Rheinbach und Swisttal gesprochen.
Silvia Groneberg-Brand und Martin Brand aus Rheinbach-Oberdrees
„Sie werden evakuiert, alle raus! Wir treffen uns an der Mehrzweckhalle.“ Die Aufforderung der Feuerwehr kam mitten in der Nacht. Silvia Groneberg-Brand (47) und Martin Brand (57) wateten im Finsteren los durchs kalte, kniehohe Wasser, das nach Heizöl stank, die Taschenlampe in der Hand, Hund Eddi auf dem Arm.
Mit Barbara Schaefer (74), Claudia Barber (57), deren Sohn Lukas (19) und Malou, einem weiteren Hund, bilden die Eheleute seit fünf Tagen eine Schicksalsgemeinschaft. Sie gehören zu den rund 1600 Menschen, die Oberdrees verlassen mussten. Das Dorf in Rheinbach war wegen der nahen Steinbachtalsperre in höchster Gefahr.
Am Montag sitzen die fünf nebst Vierbeinern im Siegburger Kranz-Parkhotel beieinander. „Einmal am Tisch, dann auf Stühlen und einmal im Feldbett haben wir geschlafen.“ Groneberg-Brand erzählt von drei Übernachtungen in der Rheinbacher Stadthalle. Komfortabler sind sie seit dem Wochenende in Siegburg untergebracht.
120 Personen aus evakuierten Orten kommen im Siegburger Kranz-Parkhotel unter
Hotelier Bernd Kranz hatte sich bei der Dehoga und im Kreishaus erkundigt, wie man Flutopfern helfen könne, und stellt mit seinem Bruder Rüdiger Kranz unentgeltlich 100 Zimmer zur Verfügung. Insgesamt 120 Personen aus evakuierten Ortschaften seien in den vergangenen Tagen im Hotel untergekommen, berichtet der 52-Jährige.
Mit wenig Personal – wegen der Pandemie ist das Haus zurzeit kaum belegt – werden die Gäste betreut, die zum Teil mit Hunden und Katzen kamen. Die Bäckerei Oehmigen aus Sankt Augustin stiftet Brot und Brötchen fürs Frühstück, im Sion im S-Carré, in der „Kasserolle“, im Restaurant Casbah und in der „Latino Lounge“ wurden den Geflüchteten ebenfalls gratis Speisen aufgetischt.
Auto in der Flut verloren
„Toll, einfach super!“ Das Quintett aus Oberdrees weiß die Unterstützung in Siegburg sehr zu schätzen. „Die waren alle super dankbar“, bestätigt Bernd Kranz und erzählt von einem Mann, „der hat kein Geld und kann sich noch nicht einmal ausweisen“. Auch da versuchte er zu helfen. Bürgermeister Stefan Rosemann sei schon dagewesen. Geregelt sei, dass die Gäste, die mit dem eigenen Auto gekommen seien, keine Parkgebühren zahlen müssten, „die Stadt kennt die Kennzeichen“.
Martin Brand konnte seinen Jeep retten, Silvia Groneberg-Brands roter Peugeot 208 ging dagegen in der Wassermasse unter, die sich durch Oberdrees wälzte. Anfangs hatte das Ehepaar noch versucht, das Grundstück mit Brettern und gefüllten Säcken abzuschotten – vergeblich. „Was wir rausgeschleppt haben, ist dreifach wieder reingekommen“, schildert sie und zeigt, was sie wenig später mit ihrem Smartphone gefilmt hat: Die Oberdreeser Straße ist zum Flussbett geworden, eine grüne Mülltonne und eine Warnbake treiben vorbei, dann zwei Pkw.
Rückkehr ins überflutete Haus
Auf 1,50 Meter schätzt Martin Brand, Berufsfeuermann bei der Evonik, den Wasserstand. Soweit wie möglich hatte das Paar, das „zum Glück“ gegen Elementarschäden versichert ist, das Nötigste und Gegenstände von Wert in der Wohnung hochgestellt. „Wir fahren heute nach Hause“, sagt er. „Wir haben einen Gaskocher, und ich dusche auch kalt“, fügt sie an.
Claudia Barber hingegen bleibt noch in Siegburg: „Ich will erst zurück, wenn wieder Strom da ist.“ Für die Laborassistentin ist es Glück im Unglück, dass ihr Arbeitgeber ihr viel Zeit lässt und sogar angeboten hat, Kosten zu übernehmen. Die Seniorin in der Runde verarbeitet den Schicksalsschlag mit bewundernswerter Fassung. „Ich bin ein positiver Mensch“, sagt Barbara Schaefer, lacht und knuddelt den kleinen Eddi.
Jutta Schöneshofer und Gregor Stein aus Swisttal-Essig
„Da bekommt man erst ein Gefühl dafür, wie sich die Flüchtlinge gefühlt haben, als sie mutterseelenallein in den Notunterkünften strandeten.“ Jutta Schöneshöfer und ihr Mann Gregor Stein haben das Wochenende in der Sportschule Hennef verbracht, „fürsorglich bemuttert“, wie die 56-Jährige betont. Freiwillig waren sie indes nicht an der Sieg. Ihr Haus in Swisttal-Essig, im Tal unterhalb der Steinbachtalsperre, mussten sie in der Nacht zum Freitag von einer Minute auf die andere verlassen.
Als es am Mittwoch „wie aus Eimern schüttete“, hatte sich der Orbach unweit des Doppelhauses, der in den vergangenen Jahren im Sommer sonst immer ausgetrocknet war, in einen reißenden Fluss verwandelt. Aus Abflussrohren stiegen Abwässer, Regen und Fäkalien in den Keller. Zeit, noch etwas zu retten, hatte das Paar nicht. Am Ende stand das Wasser 1,80 Meter über dem Kellerboden. „Wir hatten noch Glück“, erzählt Gregor Stein, „bei Nachbarn war auch das Wohnzimmer überflutet“.
Am Donnerstag habe sich die Wasserlage entspannt. Stattdessen rief die Feuerwehr angesichts der Lage an der Talsperre die Dorfbewohner dazu auf, in die oberen Stockwerke zu gehen. Gleichzeitig machten Gerüchte die Runde, der Damm sei bereits gebrochen. „Wir sind abends todmüde ins Bett gefallen“, erinnert sich der 54-Jährige.
Um 1 Uhr nachts dann hämmerte die Feuerwehr an der Haustür. „Schnellstens das Haus verlassen“, hieß es nur. Im Dunkeln raffte das Paar das Wichtigste zusammen, setzte sich ins Auto und fuhr zur zentralen Sammelstelle in Heimerzheim. Zu gern hätten sie Gregor Steins Tochter im Nachbarort Odendorf noch abgeholt. „Aber da war kein Durchkommen“, überall Blaulicht, Polizei, Feuerwehr, Hubschrauber in der Luft.
Das Angebot der Sportschule Hennef dankend angenommen
Den Rest der Nacht verbrachte das Paar auf Feldbetten in einer Schule. „Schlafen konnten wir nicht“, erinnert sich Jutta Schöneshöfer. Als morgens das Angebot kam, in der Sportschule Hennef unterzukommen, war sie mit ihrem Mann sofort dafür. „Einige haben wohl nicht gedacht, dass das länger dauern könnte“, meint sie.
In der Sportschule Hennef trafen die Essiger Bewohner aus Nachbarorten. Mit Menschen, die sie bisher nur vor Sehen kannten, sind sie nun per Du. Von der Tochter Gregor Steins hörten sie am Freitagabend, dass sie bei ihrer Mutter in Sicherheit sei. Statt mit den anderen nur um die ungewisse Zukunft zu kreisen, „sind wir immer mal wieder ein Stück gelaufen, um auf andere Gedanken zu kommen“.
Wie das zu Hause aussieht, ist unklar
Was sie erwartete, als sie am Montagabend zurück nach Essig kommen, wussten Jutta Schöneshöfer und Gregor Stein nachmittags noch nicht. Eigentlich wollten sie in der zweiten Julihälfte ihren Urlaub im frisch renovierten Heim genießen. „Jetzt geht das erst mal weiter“, meint der 54-Jährige.
Von Hennef aus haben sie sich eine Unterkunft in der Nähe von Essig organisiert. Von dort wollen sie ihr Haus besuchen und aufräumen. „Wir müssen den Gestank rausbekommen, den Regen und Abwässer hinterlassen haben.“ Die Heizung muss repariert, die Elektroinstallation instandgesetzt werden. Freunde haben ihre Hilfe zugesagt und eine Waschmaschine organisiert. Und der Arbeiter-Samariter-Bund Troisdorf, bei dem der Sohn arbeitet, hat auch Unterstützung zugesagt.
Neben dem Leben im eigenen Haus müssen Jutta Schöneshöfer und Gregor Stein auch organisieren, wie sie demnächst ihre Arbeitsstätten in Köln und Bonn erreichen. „Ich hoffe außerdem, dass die Versprechen unserer Spitzenpolitiker auch Substanz haben“, meint Stein. Eine Elementarversicherung haben sie nämlich nicht. Sie hätten sich sicher gefühlt.