Siegburg – Wer soll die Macht in Berlin bekommen, wer zieht ins Kanzleramt ein, Baerbock, Laschet oder Scholz? Eine schwierige Frage, die am 26. September beantwortet wird. Umso einfacher ist es, einen Wahlschein für die Briefwahl im Internet zu ordern.
Der Siegburger Jürgen Helser ging dazu einfach auf die Homepage der Kreisstadt, fand den entsprechenden Link – und wunderte sich: Für die Bestellung sind nur einfache persönliche Daten nötig, Name, Adresse, Geburtsjahr. Wahlbezirk und vor allem die Nummer des Wählers im Wählerverzeichnis sind keine Pflichtfelder, auch E-Mail und Telefonnummer nicht.
„Sie können das an jede beliebige Adresse schicken lassen“, folgert der Rechtsanwalt, und fürchtet, dass damit Schindluder getrieben werden könnte. Denn persönliche Angaben seien vielerorts hinterlegt bei Vereinen, in Arztpraxen, bei ehemaligen Ehegatten oder, wie in seinem Fall, in einer Anwaltskanzlei.
Helser machte die Probe aufs Exempel und ließ problemlos den Wahlschein eines Bekannten an seine Adresse kommen, natürlich in Absprache. Der andere erhielt eine Bestätigung an seine eigentliche Adresse und wurde informiert, dass die Unterlagen an eine abweichende Anschrift versendet worden seien. „Wie bei der Erteilung eines Wahl-/Abstimmungsscheins vorgesehen, ist hinter Ihrem Namen im Wählerverzeichnis ein Sperrvermerk eingetragen worden. Sie können jetzt nur unter Vorlage des Wahlscheins entweder per Brief oder in einem Wahlraum ihres Wahlkreises wählen“, heißt es in dem Schreiben. Helser: „Meines Erachtens nach ist das eine Sicherheitslücke.“
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Noch eines fiel Helser auf: Der Absender des Informationsschreibens an seinen Bekannten lautet „STV Siegburg“ und nennt zwar die richtige Adresse Nogenter Platz 10. Bei STV denke er aber zunächst an den Siegburger Turnverein. Wer so etwas im Briefkasten finde und nicht zuzuordnen wisse, könnte es schnell für Werbung halten und ungelesen wegwerfen.
Auf Schreiben der Stadt ist normalerweise eine Logo mit einer Andeutung der Michaelsberg-Silhouette und der Schriftzug Kreisstadt Siegburg zu sehen. Tatsächlich, das ergab eine Nachfrage der Redaktion in der Pressestelle der Kreisstadt, steht die Abkürzung für „Siegburger Stadtverwaltung“, wurde allerdings nicht aus dem Rathaus verschickt. „Das Schreiben wurde automatisch erstellt, ist hier aber nicht herausgegangen“, sagt Pressesprecher Jan Gerull.
Auf dem Wahlschein ist eine eidesstattliche Versicherung Pflicht
Man werde den Vorgang prüfen. Das Büro des Bundeswahlleiters teilt auf Anfrage der Redaktion mit, dass ein Missbrauch von Wahlunterlagen strafbar sei. „Briefwählerinnen und -wähler müssen auf dem Wahlschein eine Versicherung an Eides statt abgeben. Sie versichern, dass sie den Stimmzettel persönlich ausgefüllt haben.“
Die Abgabe einer falschen Versicherung an Eides statt sei ebenso strafbar wie das Ausfüllen eines fremden Stimmzettels. Ausgenommen sei davon nur jemand, der auf Wunsch der Wählerin oder des Wählers beim Ausfüllen des Stimmzettels helfe, wenn diese oder dieser körperlich dazu nicht in der Lage sei.
„Briefwahlunterlagen dürfen nur dann persönlich an eine andere Person als den Wahlberechtigten oder die Wahlberechtigte ausgehändigt werden, wenn diese eine schriftliche Vollmacht vorlegt“, heißt es weiter. Was allerdings bei dem Online-Verfahren mit Postzustellung, das Jürgen Helser nutzte, nicht der Fall war: Die Unterlagen fand er einfach in seinem Briefkasten, ohne dass ein Zusteller eine Vollmacht verlangt hätte.
Bundeswahlleiter sitzt in Wiesbaden
Der Bundeswahlleiter ist für die Organisation und Überwachung der Wahlen auf Bundesebene zuständig, außer den Bundestagswahlen also auch für die Wahlen zum Europäischen Parlament in Deutschland. Er und sein Stellvertreter werden auf unbestimmte Zeit vom Bundesinnenminister ernannt. Seit dem 1. November hat der Jurist und Präsident des Statistischen Bundesamts Georg Thiel das Amt inne. Behördensitz des Bundeswahlleiters ist Wiesbaden. (ah)
Eine Manipulation des gesamten Wahlergebnisses durch einen Missbrauch der Briefwahl sei durch die Vorkehrungen des Gesetzgebers ausgeschlossen, so sieht es das Büro des Bundeswahlleiters. Die Wahlscheine seien mit Nummern versehen, zu denen in den Kommunen ein Verzeichnis geführt werde. Darin finde sich auch der Name des Wahlberechtigten und die Nummer eines für ungültig erklärten Wahlscheins.
Am Wahltag würden die roten Wahlbriefe ab etwa 15 Uhr geöffnet und der Wahlschein auf Gültigkeit geprüft. Stelle der Wahlvorstand fest, dass ein ungültiger Wahlschein dabei sei, werde dieser „ausgesondert“. Die Briefwahl, seit 1957 angeboten, biete bis heute keine Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten „in einem Ausmaß, dass sie das Wahlergebnis beeinflussen könnten“. Das Bundesverfassungsgericht habe die Briefwahl mehrfach als verfassungskonform beurteilt.
Jürgen Helser, der als ehrenamtlicher Wahlhelfer schon an einigen Wahlen teilnahm, gibt sich damit nicht zufrieden. „Mich beruhigt das nicht. Wer böse Absichten hat, hat leichtes Spiel.“