Abendliche FührungenSiegburger Nachtwächter erzählt aus der Geschichte der Kreisstadt
Siegburg – Nicht alles, was von oben kommt, ist gut. Wer im Mittelalter grölend durch die Straßen zog, musste damit rechnen, den Inhalt eines Nachttopfes über den Kopf zu bekommen. Das erzählt Walter Siebold bei der Neuauflage der Nachtwächter-Führungen durch das Siegburger Zentrum.
Seit zehn Jahren ist der Ruheständler mit zwei weiteren Rentnern in gleicher Funktion auch in Köln und Bonn unterwegs. „Ich wurde schon im Mallorca-Urlaub als Kölner Nachtwächter erkannt“, berichtet der Diplom-Historiker und Museumsdirektor.
Nach der Corona-Pause zieht er nun auch wieder für Siegburg das mittelalterliche Gewand des Nachtwächters an und geleitet seine Zuhörer mit der Fackel in der Hand an zwei Freitagabenden im Monat durch die Innenstadt: „Die vielen kleinen Gassen bieten sich für dieses Konzept an“, sagt Siebold, der 15 Jahre in Siegburg gewohnt hat. Dabei kombiniert er die wichtigsten Ereignisse der Stadtgeschichte gekonnt mit allerlei Anekdoten.
Siegburg war im 19. Jahrhundert bei Bonner Studenten beliebt
Pflichtbewusst lässt er es sich nicht nehmen, auf seiner Tour jeweils die volle Stunde auszurufen und die verblüfften Partygänger zu gottgefälligem Handeln anzuhalten. Jedoch verschweigt er nicht, dass Siegburg im 19. Jahrhundert bei den Bonner Studenten beliebt war, weil dort „das Bier besser und die Mädchen hübscher“ gewesen seien.
Er führt am Mühlengraben entlang, wo einst nackt badende Knaben die Sittsamkeit der Anwohnerinnen gefährdeten. Ja, in Siegburg taten sich mitunter Abgründe auf, und Siebold referiert sie genüsslich.
Prompt erzählt er die Geschichte des ausgebufften Räubers „Fetzer“, als die Tour ausgerechnet vor dem Finanzamt Station macht. Offenbar hatten die Siegburger zu ihrer Geschichte lange ein eher unsentimentales Verhältnis. Die letzten Stadttore wurden zur preußischen Zeit geschleift, obwohl sie schon damals unter Denkmalschutz standen. Heute sind ihre Grundrisse in der Fußgängerzone nur noch zu erahnen.
Die Hexenprozesse sind ein kurzes dunkles Kapitel der Stadtgeschichte
Der Wissenschaftler, der ausgiebig zur Hexenverfolgung geforscht hat, erinnert auch an das ebenso kurze wie dunkle Kapitel der Siegburger Hexenprozesse. Damals reichte der Kater nach einer durchzechten Nacht, um der Nachbarin finstere Machenschaften mit dem Unaussprechlichen zu unterstellen.
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Ein Verdacht, der für die betroffenen Frauen Folter und einen grausamen Tod bedeutete und von dem die Verliese im Keller des heutigen Stadtmuseums Zeugnis ablegen. Ausführlich geht Siebold auch auf das einst reiche jüdische Leben ein, das sich viele Jahre um die Holzgasse entwickelt hatte, woran heute der Gedenkbrunnen erinnert.
Am Marktplatz bündelt sich seit jeher das städtische Leben in all seinen Facetten. Siebold bemerkt, dass das Kunstwerk vor dem Stadtmuseum mit dem Spitznamen „Popel-Brunnen“ leben muss und dass das imposante Kriegerdenkmal einst recht profan aus dem Katalog bestellt wurde. Auch die wieder verworfene Idee, dort Verkehrssünder öffentlich an den Pranger zu stellen, bleibt nicht unerwähnt.
Nach knapp zwei Stunden endet die Führung in einer Gaststätte: „Ich fand es hochinteressant und unterhaltsam“, sagt Markus Schneider, der dafür mit seiner Familie aus Gummersbach gekommen ist. Da hat sich der Nachtwächter schon sein wohlverdientes erstes Bier gegönnt.