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Umspannwerk in SiegburgDie letzten Schrebergärten auf dem RWE-Gelände müssen weichen

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Siegburg – Die Boccia-Kugeln liegen still im Schatten der Hochspannungsmasten. Mispeln und Grünkohl warten auf die allerletzte Ernte nach dem nächsten Frost. Was aus den Goldfischen wird, „daran will ich gar nicht denken“, sagt Otto Roth. 34 Jahre lang puzzelte er auf seiner Parzelle in der RWE-Kleingartenanlage, bald wird das Kleinod dem Erdboden gleichgemacht. Das namensgebende Umspannwerk braucht Platz für eine Erweiterung (siehe „Gärtner-Flohmarkt“).

Gärtner-Flohmarkt

Weil in Folge der Energiewende immer mehr Strom transportiert wird, erweitert die RWE-Tochter Amprion das Siegburger Umspannwerk für knapp 30 Millionen Euro. Das komplette Netz soll von derzeit 220 000 Volt auf 380 000 Volt umgestellt werden, was die Transportkapazitäten erheblich vergrößert. Im kommenden Jahr beginnen die Bauarbeiten, die auf zwei Jahre angelegt sind. Amprion betreut als einer von vier Netzbetreibern bundesweit rund 11 000 Kilometer Stromleitungen.

Das Werk an der Lindenstraße im Stadtteil Zange versorgt die Kreisstadt und einen Umkreis von 50 Kilometern mit Strom. Es stammt aus den frühen 50er-Jahren. Die Kleingartenanlage entstand in den 60er-Jahren zwischen Umspannwerk und Wilhelmstraße.

2011 vereinbarte Amprion mit dem Siegburger Kleingärtner-Verein, dass freiwerdende Parzellen nicht wieder vergeben wurden. Hierfür zahlte das Unternehmen pro Garten 500 Euro Abstand. Diesen Betrag erhalten nun auch die letzten 28 Kleingärtner, die bis zum 31. März weichen müssen. Ursprünglich gab es hier rund 50 Parzellen.

Am morgigen Samstag, 4. November, von 12 bis 15 Uhr, veranstalten sie auf dem Platz vor der Anlage (Fußweg, Parkplätze

zwischen Henrich und Obi) einen Flohmarkt. Angeboten werden unter anderem Gartengeräte und Pflanzen, Generatoren und Sonnenkollektoren. (coh)

Wie im Schlaraffenland fühlte sich die Familie in der selbst geschaffenen Oase, fand Entspannung unter den Stromleitungen. Hier, am Rande des Gewerbegebiets Zange, zwischen Isolatoren und ICE-Strecke, konnten anfangs die beiden Töchter und später die Enkelkinder mit Freunden umgestört spielen und toben. Hier ranken sich Weinreben und Stangenbohnen, gedeihen Tomaten und Paprika im Gewächshaus. Hier pflanzten Otto Roth seine Frau Maria, beide 63, neben Feige und Kaki noch vor vier Jahren Obstbäumchen. Birne, Kirsche, Pfirsich, in diesem Jahr trugen sie zum ersten Mal Früchte.

Die zarten Stämme sollen mit umziehen, sie wollen neu anfangen in Hennef, „nur für die Enkel“, sagt Roth, vier und sieben Jahre alt. Sie vergossen bittere Tränen angesichts des Endes. Der neue Schrebergarten ist zwar mit rund 300 Quadratmeter nicht klein und hat einen Stromanschluss, kann aber den 550 Quadratmetern mit Brunnen, Pool, mit dem Teich in Form einer „8“ („ein Geschenk für meine Frau, sie hat an einem Achten Geburtstag“), mit Bocciabahn und verwinkelter Laube nicht das Wasser reichen.

Unersetzlich sind die Reben, Sorte Isabella. „Die stammen ursprünglich von meinem Großvater in Rumänien“, erklärt Roth. Eine robuste Sorte, die nicht gespritzt werden muss. Die Menge würde reichen, um 200 Liter Wein zu keltern. Doch die meisten der süßen, dunkelroten Weintrauben wanderten stets direkt von der Hand in den Mund, der Rest reichte nur für 30 Liter gehaltvollen Rebensaft.

Die Schrebergärtner veranstalten einen Flohmarkt.

Das Gewächshaus mit der Doppelverglasung hat der gelernte Maurer auf festem Fundament errichtet, durch ein Bewässerungssystem mit Zeitschaltuhr werden die Pflanzen darin versorgt, die Wassertanks an der rechten und linken Grundstücksgrenze hat Roth unterirdisch verbunden, Schlauchleitungen reichen bis in die letzte Ecke der Oase: So musste niemand Gießkannen schleppen. Und im selbst gemauerten Backofen buken Roths Brot und Pizza.

„Meine Tochter hat gesagt ,Immer arbeitet ihr, nie liegt ihr im Liegestuhl’“, schildert der leidenschaftliche Frickler. Der Abschied falle ihm sehr schwer, „jetzt, wo alles fertig ist“. Zumindest können er und seine Laubenpieper-Nachbarn die Bauten stehen lassen, die RWE-Tochter Amprion räumt den Rest. Otto Bayer biegt um die Ecke.

Vor vier Jahren musste der 68-Jährige sein Geviert gegenüber von Roth räumen, für die geplante Erweiterung des Umspannwerkes, fing 50 Meter weiter wieder an mit Graben, Säen, Pflanzen. Bayer deutet auf das Stück Wiese, am Zaun Schilder „Vorsicht Hochspannung – Lebensgefahr“: „Bis jetzt hat sich hier gar nichts getan.“ Bayer hört endgültig auf.