Verhungerter Häftling Klaus S.Justizministerium nennt bemerkenswerte Details zum Fall
Köln – Bevor der Rechtsausschuss im Landtag über die Details spricht, darüber, wie es denn passieren konnte, dass der Häftling Klaus S. sich in einer Gefängniszelle in der JVA Aachen zu Tode hungerte, möchte Justizminister Peter Biesenbach (CDU) selbst ein paar Worte sagen. Es sei „ein Tagesordnungspunkt, der wieder einmal ein menschliches Schicksal betrifft, das sich niemand wünscht, das sich niemand gewünscht hat.“
Er spricht ruhig, lässt sich nicht aus der Fassung bringen. Später, da dauert die von der Opposition beantragte Aktuelle Viertelstunde zu dem Fall bereits anderthalb Stunden, wird Biesenbach noch ergänzen: Als ihm zugetragen wurde, dass der „Kölner Stadt-Anzeiger“ an der Geschichte von Klaus S. dran sei, da habe auch er erstmals davon erfahren, dass man in seinem Verantwortungsbereich einen Häftling sich zu Tode hungern ließ. Seine erste Reaktion sei gewesen: „Das geht nicht! Es kann nicht sein, dass wir jemandem gestatten, im Gefängnis einfach so zu sterben, in unserer Obhut zu verhungern.“
In Folge sei eine intensive Diskussion in seinem Ministerium entstanden, darüber, ob man auch Untersuchungshäftlingen den Sterbewunsch gewähren muss. Mittlerweile halte es Biesenbach mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Februar des vergangenen Jahres, das jedem Menschen das Recht zubilligt, über seinen eigenen Tod zu entscheiden.
Der Minister und seine Mitarbeiter hatten sich offenbar intensiv auf diese Sitzung des Rechtsausschusses am Mittwoch vorbereitet, obwohl die Zeit knapp war. Erst am vergangenen Wochenende hatte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ über den angeblich selbstbestimmten Tod von Klaus S. berichtet. Umgehend hatten die Fraktion der Grünen und die der Sozialdemokraten Anträge auf eine vollumfängliche Aufklärung eingereicht. Noch bis in den Morgen vor der Sitzung ließ Biesenbach Informationen beschaffen – über einen Fall, den es so noch nie in der nordrhein-westfälischen Justizgeschichte gegeben hat.
Das könnte Sie auch interessieren:
Der Fall von Klaus S., einem Mann, der in der Corona-Pandemie zum Hypochonder wurde, die wahnhafte Vorstellung entwickelte, er würde erblinden und schließlich im Streit seine Frau erdrosselte. Der sich schon vor der Tat und auch direkt danach, im Beisein von Polizisten, suizidal äußerte und zunächst mit Verdacht auf eine Psychose in eine Psychiatrie zwangseingewiesen worden war. Der, kaum in der Haft angekommen, versuchte, sich die Pulsadern aufzuschneiden, nur wenige Tage danach mehrfach mit voller Wucht mit dem Kopf gegen seine Zellenwand rannte, um sich selbst das Genick zu brechen. Der erzählte, er sei vom Teufel besessen und die Polizei wolle ihm sein Vermögen stehlen. Bei dem ein Gerichtsgutachter eine „depressive Erkrankung“ feststellte. Und der schließlich am 3. November 2020 aufhörte zu essen. Die Behörden verzichteten auf Zwangsernährung, man ließ ihn gewähren, angeblich, weil er stets über einen freien Willen verfügt habe.
In der Sitzung verteidigte das Ministerium erneut das Vorgehen der JVA Aachen. Allerdings offenbarten die beiden Ministerialdirigenten, die Biesenbach ausführlich berichten ließ, neue, erstaunliche Details über die Haft und den Tod von Klaus S.
JVA-Mitarbeiter werfen Klaus S. „gespielte“ Suizidversuche vor
So hatte offenbar der zuständige Staatsanwalt sogar nach den ersten Suizidversuchen und wahnhaften Äußerungen von S. in einem Telefonat mit einer leitenden Beamtin der JVA von „Taktieren“ gesprochen. Dies deckt sich mit internen Unterlagen, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bekannt sind, und in denen JVA-Mitarbeiter von „gespielten“ Suizidversuchen sprechen, mit denen Klaus S. eine Schuldunfähigkeit habe imitieren wollen.
Zudem offenbarte das Ministerium einige Wissenslücken: Auch auf mehrfache Nachfrage, warum S. nach der Tat wegen akuter Suizidalität und Verdachts auf Psychose zwangseingewiesen, aber nicht einmal 24 Stunden später für „gewahrsamsfähig“ erklärt und in Untersuchungshaft gebracht wurde, verweigerte das Ministerium die Antwort.
Ebenfalls wurde im Ausschuss nicht deutlich, wie „engmaschig“ Klaus S. tatsächlich betreut wurde, nachdem er die Nahrungsaufnahme am 3. November 2020 zum ersten Mal eingestellt hatte. Wie häufig er vor seinem Tod psychiatrisch in Augenschein genommen worden ist, konnte das Justizministerium nicht sagen.
Lediglich teilte es mit, dass S. noch am 3. Dezember 2020 von einer Konsiliarpsychiaterin gesehen worden sei. Sie habe Gründe, die eine Zwangsernährung rechtfertigen würden, ausgeschlossen – gab aber die Anweisung, S. von nun an mindestens einmal wöchentlich psychiatrisch überprüfen zu lassen. Einen Tag darauf allerdings waren die Vitalwerte von Klaus S. schon so schlecht, dass er in das Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg (JVK) gebracht werden musste. Ein weiteres psychiatrisches Konsil habe laut Ministerium nicht mehr stattfinden können. Weil Klaus S. an dem geplanten Termin schon tot war.
Schwägerin von Klaus S. macht JVA Aachen schwere Vorwürfe
Ebenso passen musste das Ministerium auf die Frage, ob denn noch Angehörige versucht hätten, ihn in der JVA Aachen zu besuchen. Dazu lägen dem Ministerium keine Erkenntnisse vor. Man wisse nur, dass noch am 9. Dezember 2020 die Schwägerin mit einem Notar in das Krankenhaus nach Fröndenberg gereist sei, um sich die Immobilie des Inhaftierten überschreiben zu lassen. Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bestätigte die Frau die Angaben.
Gleichzeitig erhob sie schwere Vorwürfe gegen die JVA Aachen. S. habe eigens für ihre Person die Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. Ein telefonischer Kontakt zu den Medizinern aber sei ihr von Seiten der JVA-Leitung trotzdem verwehrt worden, sagt die pensionierte Ärztin, die weit entfernt in Süddeutschland lebt.
Man habe sie aufgefordert, ihre Anliegen schriftlich einzureichen. Am Telefon zeigte sich die Schwägerin aufgewühlt: „Für schriftliche Anfragen blieb doch gar keine Zeit mehr. Bis da eine Antwort gekommen wäre, wäre er schon tot gewesen.“
Ministerium ordnet Ermittlungen im Fall Klaus S. an
Mittlerweile hat das Ministerium die Staatsanwaltschaft Dortmund per Erlass angewiesen, ergänzende Informationen im Fall von Klaus S. nachzureichen. Die Behörde hatte die Ermittlungen bereits drei Wochen nach dem Tod von S. für abgeschlossen erklärt. Klaus S. war am 13. Dezember 2020 nach einem gut einwöchigen Aufenthalt im Krankenhaus in Fröndenberg verstorben. Es seien allerdings damals „nicht alle Aspekte ausreichend bedacht worden“, die aus Sicht des Ministeriums für die Ermittlungen nötig gewesen wären.
So habe die Dortmunder Staatsanwaltschaft lediglich die Leiche obduzieren lassen und mit einem Arzt des Justizvollzugskrankenhauses gesprochen sowie die Krankenakte von dort ausgewertet. Allerdings habe es die Staatsanwaltschaft versäumt, konkrete Details über den Haftverlauf, also die mehrfachen Suizidversuche, die geäußerten Wahnvorstellungen und die psychiatrische Begutachtung von S. als depressiv einzuholen.
„Das Ministerium hat sich bemüht, dennoch sind die Fragen bei weitem nicht zufriedenstellend beantwortet worden“, sagt Stefan Engstfeld, Sprecher für Rechtspolitik bei den Grünen, in einer Sitzungspause. Er ist sicher: Das wird nicht die letzte Sitzung zum Fall Klaus S. gewesen sein. Dann muss er zurück in den Plenarsaal, auch nach zwei Stunden tagen die Abgeordneten weiter über den Hungertod des Häftlings. Ab nun aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Noch am Abend wurde eine weitere Ausschusssitzung für den 2. Juli anberaumt.