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An Rand des Ruins gebrachtBörsen-Guerilla kämpft gegen mächtige Hedgefonds

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Gamestop

Die außergewöhnlichen Kurskapriolen bei den Aktien des Videospiel-Händlers Gamestop und anderer Unternehmen gehen weiter.

Frankfurt – Dies wird von vielen Beobachtern Irrsinn genannt: Die Aktie von Gamestop hatte sich am Donnerstag fast halbiert. Im frühen New Yorker Handel legte sie am Freitagmorgen um fast 100 Prozent zu, war für 383 Dollar zu haben. Für Börsianer ist klar: Das hat nichts mehr mit nachvollziehbaren Bewertungen des Videospielehändlers zu tun – im August kostete ein Anteilschein noch vier Dollar. Vielmehr geht es um ein neues Phänomen, das nun auch US-Politikern große Sorgen macht. Eine Art Börsen-Guerilla kämpft gegen mächtige Hedgefonds und hat ihnen schon milliardenschwere Einbußen beigebracht.

Der künftige Vorsitzende des Bankenausschusses im US-Senat, Sherrod Brown, hat eine Anhörung „zum aktuellen Zustand des Aktienmarktes“ angekündigt. Die Börsenaufsicht SEC und der Kongress müssten dafür sorgen, dass die Wirtschaft für alle funktioniere – nicht nur für die Akteure an der Wall Street. Diese Leute scherten sich nur um die Regeln, wenn es ihnen weh tue. Auch die Vorsitzende des Finanzausschusses im Repräsentantenhaus, Maxine Waters, plant eine Anhörung. Andere wichtige Vertreter der Demokraten, wie Alexandria Ocasio-Cortez oder Elisabeth Warren, und auch republikanische Abgeordnete fordern ebenfalls Aufklärung.

Wetten auf fallende Kurse

Beim Toben an der New Yorker Börse stehen auf der einen Seite mächtige Hedgefonds, die für wohlhabende Anleger und gegen hohe Gebühren mit vielfach kritisierten Methoden hohe Renditen auf eingesetztes Kapital erwirtschaften. Auf der anderen Seite haben sich Kleinanleger über Internetforen zusammengetan, um den Hedgefonds Lektionen zu erteilen. Zu deren erprobten Praktiken gehören Wetten auf fallende Kurse, sogenannte Leerverkäufe: Der Hedgefonds-Manager „leiht“ sich eine Aktie. Nach einem bestimmten Zeitraum gibt er sie zu einem vereinbaren Preis wieder zurück. Da er auf fallende Kurse setzt, wartet bis er das Papier unterhalb des vereinbarten Rückgabe-Preises kaufen kann. Die Differenz ist sein Gewinn.

Gamestop oder auch die US-Kinokette AMC gehörten in den vergangenen Monaten zu den beliebten Zielen von Leerverkäufern. Aber Tausende von Privatanleger haben sich verabredet, dagegen zu halten. Indem sie ganz schlicht, Aktien von Gamestop oder AMC kaufen. Da es sich um kleine Unternehmen mit einer geringen Zahl von Anteilscheinen handelt, lassen sich die Kurse leicht bewegen. Das ist den Kleinanlegern mit ihren Börsen-Flashmobs in den vergangenen Tagen auch gelungen.

Elon Musk unterstützt die Guerilla

Der Effekt der massiven Kursanstiege für die Hedgefonds: Da Termine für die Rückgabe der Aktien nahten, mussten sie teuer einkaufen, die Wetten gingen nicht auf, sie mussten enorme Summen drauflegen. Unter anderem wurde der einst stattliche Hedgefonds Melvin Capital an den Rand des Ruins getrieben. Zwei andere Fonds mussten ihn mit einer Finanzspritze von rund 2,7 Milliarden Dollar retten. Ein prominenter Anhänger und Unterstützer der Börsenguerilla ist Elon Musk, Chef des Elektroautobauers Tesla. Er hasst Leerverkäufer, weil sie vor einiger Zeit auch sein Unternehmen mit Wetten auf fallende Kurse attackiert hatten.

Die Lage eskalierte am Donnerstag, als mehrere Online-Broker, über die die Kleinanleger ihre Deals abwickeln, den Handel mit Gamestop-Aktien und einer Reihe anderer Papiere massiv einschränkten. Die Nutzer durften nur noch kaufen, wenn sie im gleichen Maß verkaufen. Das ließ die Kurse einbrechen.

Massive Kritik kam aus der Community. Der Vorwurf: Marktmanipulation zu Gunsten von Hedgefonds. Im Fokus steht eine Startup-Plattform namens Robinhood, die wegen ihrer niedrigen Gebühren beliebt war. Robinhood-Chef Vlad Tenev begründete die Aktion damit, dass Nutzer und betroffene Firmen geschützt werden sollten. Zudem machte er geltend, dass Clearingstellen für den Aktienhandel größere finanzielle Sicherheiten von seinem Unternehmen verlangt hätten – den Experten für die Abwicklung der Deals waren die massiven Käufe von Gamestop- und anderen Aktien zu astronomischen Preisen nicht mehr geheuer. Während in der Community mächtig dafür geworben wurde, weiter zu machen, obwohl es hochriskant ist, die Papiere zu erwerben – aber es geht offenbar darum, Hedgefonds weiter in die Enge zu treiben.

Schließlich stellten die Geldgeber von Robinhood laut Finanznachrichtenagentur Bloomberg kurzfristig eine Milliarde Dollar zur Verfügung. Robinhood lockerte daraufhin Beschränkungen. Die Folge: der Gamestop-Kurs schoss wieder in die Höhe. Alles nur ein Spiel? Zahlreiche Analysten warnen, dass solche Kapriolen das Vertrauen in die Finanzmärkte erschüttern könnten und Investoren sich zurückziehen – Kurseinbrüche wären die Folge. Beobachter erwarten deshalb, dass nun eine Debatte über Regeländerungen für die Börsen kommen könnte.