London – Chris Atkins, britischer Journalist und Dokumentarfilmer, verbrachte neun Monate in Wandsworth, dem Gefängnis im Süden Londons, in dem nun Boris Becker einsitzt. Seine Erfahrungen verarbeitete er in seinem Buch „A Bit of a Stretch: The Diary of a Prisoner“, zu Deutsch „Etwas übertrieben: Das Tagebuch eines Gefängnisinsassen“.Herr Atkins, Sie wurden 2015 wegen Steuerhinterziehung zu fünf Jahren Haft verurteilt und verbrachten mehrere Monate in Wandsworth. Wie war es dortChris Atkins: Es war wirklich ziemlich widerlich, als würde man eine Zeitreise in die Vergangenheit antreten. Es war eine schreckliche Erfahrung.
Weshalb?
Das Gefängnis ist extrem unterfinanziert. Dort sind Menschen mit Drogenproblemen untergebracht, Menschen mit psychischen Problemen, von denen man denkt, dass sie dort eigentlich nicht sein sollten.
Können Sie einen typischen Tagesablauf schildern?
Das werde ich häufiger gefragt. Und das ist etwas seltsam, denn es gab keinen typischen Tagesablauf. Vor allem am Anfang, nachdem man angekommen ist, verbringt man den ganzen Tag in der Zelle. Insbesondere im Sommer ist es dort dann sehr heiß. Das ist dann wirklich ekelhaft, auch weil es stinkt.
Das heißt, man kommt kaum raus?
Wenn man Glück hat, kommt man mal raus aus der Zelle, um etwas zu essen oder um sich ein wenig sportlich zu betätigen, um sich ein bisschen zu bewegen oder mal eine Dusche zu nehmen. Aber das war es, sonst passiert da nichts. Man sieht selten das Sonnenlicht. Als ich Wandsworth verlassen habe, war ich sehr weiß und fahl.
Wie sieht die Zelle denn aus?
Es ist eine sehr kleine Zelle, etwa neun Quadratmeter groß, ausgestattet für zwei Personen.
Was ist denn der Grund für diese Zustände, aus Ihrer Sicht?
Über die Jahre wurde das Budget für Gefängnisse in Großbritannien immer weiter gekürzt. Deshalb fehlt es dort einfach an allen Ecken und Enden.
Boris Becker hat sich ja auch über das schlechte Essen in Wandsworth beschwert. Können Sie das bestätigen?
Absolut. Das Budget umfasst zwei Pfund pro Tag, um einen Erwachsenen zu verköstigen. Das ist einfach nicht genug.
Kommt es zu Gewalt?
Ich habe viel Gewalt gesehen, aber war ihr nie selbst ausgesetzt. Es gibt viele Straßengangs in London. Und diese Auseinandersetzungen, die Rivalitäten zwischen diesen Gruppen gehen in die britischen Gefängnisse über. Aber da ich kein Mitglied einer Bande bin, wurde ich nie in solche Konflikte verwickelt.
Also wird Boris Becker Ihrer Meinung nach ebenfalls keiner Gewalt ausgesetzt sein?
Einer der wenigen Vorteile davon, den ganzen Tag in der Zelle zu sitzen, ist, dass man keine anderen Gefängnisinsassen trifft. Solange also nicht ausgerechnet sein Zellennachbar gewalttätig ist, wird er sicher sein. Ein Aufenthalt in Wandsworth ist eine große psychische Herausforderung, aber man sieht sich nicht mit Hunderten gewaltsamen Gefängnisinsassen konfrontiert.
Atkins: Becker wird nicht lange dort sein
Gewöhnt man sich daran, unter solchen Umständen zu leben?
Für jemanden wie Boris Becker, der es gewohnt ist, ein komfortables, privilegiertes Leben zu führen, ist das zunächst sicher ein massiver Schock. Nach ein paar Monaten passt man sich jedoch an. Und nach sechs Monaten fühlt man sich dort zuhause. Aber Boris Becker wird nicht lange dort sein. Ich denke, er wird in zwei, drei Wochen in eine andere Einrichtung kommen. Er hat ja keine lange Strafe und ist auch nicht gefährlich, deshalb wird er dann in ein offenes Gefängnis verlegt werden.
Wie sind denn die Zustände in einem offenen Gefängnis?
Ich gehe davon aus, dass Becker in ein offenes Gefängnis namens Ford kommt, es liegt in West Sussex, unten an der Küste Großbritanniens. Dort ist es vergleichsweise komfortabler. Man kann sich frei bewegen. Manchmal kann man dann auch raus, zum Arbeiten, um zu studieren und um Zeit mit der Familie zu verbringen.
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Wie haben Sie die Zeit im Gefängnis denn psychisch überstanden?
Ich habe im Gefängnis Tagebuch geführt. Daraus entstand dann sogar ein Buch, das sich sehr gut verkauft hat. So konnte ich auf die Verhältnisse aufmerksam machen, über meine Erlebnisse sprechen. Das hat mir sehr geholfen.
Denken Sie also, dass Boris Becker den Gefängnisaufenthalt ebenfalls gut überstehen kann?
Ja, auch er kann etwas Gutes aus dieser Erfahrung machen, indem er darüber spricht. Schließlich schafft er schon jetzt mehr Aufmerksamkeit für die Verhältnisse in britischen Haftanstalten, als ich es je konnte. Darüber hinaus sieht man an ihm, dass Menschen, die im Gefängnis landen, oft keine schlechten Menschen sind. Es sind Menschen, die Fehler gemacht haben. Ich meine, schauen Sie sich Boris Becker an, er war ein großartiger Tennisspieler, ein guter Kommentator. Ich denke, solange er Verantwortung übernimmt und seine Situation annimmt, ist das nicht das Ende.