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Botschafter Melnyk„Künstlich geschürte Panikmache in Deutschland ist übertrieben“

Lesezeit 9 Minuten
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Andrij Melnyk, bis Ende September noch ukrainischer Botschafter in Berlin.

  1. Nach Ansicht des bald ehemaligen ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk gibt es für Russlands Präsidenten Putin keine Deadline für ein Kriegsende.
  2. Deshalb sei es für die Ukraine überlebenswichtig, dass der Westen sie militärisch so stark mache, dass Moskau verhandeln müsse.
  3. Berlin gebe leider immer noch nicht alles, was möglich wäre, sagt der Diplomat, der Ende September nach Kiew zurückkehrt.

Berlin – Andrij Melnyk (46) war siebeneinhalb Jahre lang Botschafter der Ukraine in Deutschland und sorgte seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf sein Land dafür, dass im Berliner Politikbetrieb die Hilferufe Kiews wahrgenommen wurden. Der Jurist und verheiratete Vater von zwei Kindern forderte - manchmal recht undiplomatisch - die Lieferung schwerer Waffen, als das in Berlin noch undenkbar war oder kritisierte den Bundeskanzler dafür, dass der nicht nach Kiew fuhr. Für sein gelegentlich radikales verbales Vorgehen stand Melnyk auch in der Kritik. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) traf ihn zum Abschiedsinterview, bevor er im September nach Kiew wechselt.

Herr Melnyk, nach über sieben Jahren im diplomatischen Dienst für Ihr Land in Berlin, wurden Sie zurück nach Kiew beordert. Fällt Ihnen der Abschied schwer?

Ja, dieser Abschied fällt mir und meiner Familie tatsächlich sehr schwer, weil wir uns in Deutschland sehr wohl gefühlt, weil wir dieses Land geliebt, aber vor allem weil wir viele neue Freunde für die Ukraine gewonnen haben. Es war eine bewusste Entscheidung nach Berlin zu gehen, weil ich immer das Gefühl hatte, hier aufgrund meiner Erfahrungen viel für meine Heimat bewirken zu können. Und ich muss sagen, die Arbeit hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich habe während meiner Amtszeit hier einige sehr attraktive Angebote aus Kiew abgelehnt, nur weil der Job mir so wichtig und die Aufgabe sehr spannend war.

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Wann endet Ihre Mission und was werden Sie in Kiew machen?

Nach jetzigem Stand werde ich noch bis Ende September hier im Amt bleiben und dann ab Oktober nach Kiew wechseln. Es gibt den Vorschlag meines Außenministers Dmytro Kuleba, den Präsident Wolodymyr Selenskyj voll und ganz unterstützt, dass ich als sein Stellvertreter ins ukrainische Außenministerium wechseln soll. Für dieses Vertrauen bin ich ihnen sehr dankbar. Aber die Entscheidung trifft laut Verfassung unsere Regierung. Hier möchte ich daher nicht vorgreifen.

Sie haben einen neuen emotionalen Stil in den Berliner Politikbetrieb eingebracht und sind damit oft auch angeeckt. Tut Ihnen das heute leid?

Nein, ich bedauere nicht, dass ich so agieren musste, weil ich mich dazu gezwungen sah, um die größtmögliche Unterstützung für die Ukraine zu erreichen. Spätestens vor Beginn des brutalen russischen Vernichtungskrieges auf mein Heimatland, war mir klar, dass ich komplett anders auftreten musste, als das in diplomatischen Kreisen üblich ist, um deutsche Entscheidungsträger, aber auch die Gesellschaft aus der Lethargie wachzurütteln. Zwar haben wir Ukrainer den Kriegsausbruch kommen sehen, trotzdem war das auch für uns ein Riesenschock.

Ich hatte noch lauter und manchmal auch provokativer aufzutreten, um vor allem die militärische Hilfe für die Ukraine zu bewirken. Allerdings gab es auch weiterhin die leise Diplomatie, zum Beispiel als es um das hochmoderne Luftabwehrsystem IRIS-T ging. Das haben wir komplett hinter verschlossenen Türen sehr intensiv mit der Bundesregierung und dem deutschen Hersteller Diehl verhandelt und der Kanzler hat dankeswerterweise nach vier Monaten grünes Licht für die Lieferung der ersten Waffeneinheit gegeben. Ich hoffe sehr, dass elf weitere bald folgen.

„Deutschland tut nicht alles, was notwendig und möglich wäre“

Dennoch haben Sie immer wieder kritisiert, dass Deutschland nicht die richtigen Waffen liefert und nicht schnell genug.

Das stimmte ja auch und stimmt zum Teil bis heute noch. Es läuft jetzt zwar etwas besser. Zum Beispiel haben wir zehn Panzerhaubitzen 2000 und drei Mehrfachraketenwerfer MARS II bekommen, dafür sowie für Geparde und andere Waffensysteme sind wir dankbar. Nur: nach unserem Eindruck liefert Deutschland nach wie vor nicht alles, was notwendig und möglich wäre, ohne die Bundeswehr zu schwächen.

Wenn es zum Beispiel um Kampfpanzer des Typs Leopard geht, die wir direkt von der deutschen Industrie beziehen könnten, dann kommt von der Bundesregierung immer noch die gleiche Ausrede: „Wir wollen nicht die ersten sein“. Warum? Man will offenbar mit Rücksicht auf Russland nicht direkt Kampfpanzer an uns liefern, obwohl der Leopard 1 schon über 40 Jahre alt ist, sondern sucht Umwege über Ringtausch-Modelle, die dann komplett scheitern oder zumindest für Verstimmung bei Beteiligten sorgen.

Beim Ringtausch sollte Deutschland an Polen, Tschechien und Griechenland moderne westliche Panzer liefern, damit diese Länder alte T-72-Sowjetpanzer in die Ukraine abgeben. Was ist schiefgelaufen?

Verschiedenes. Die Polen haben uns gleich zu Kriegsbeginn auf eigene Initiative sehr viele sowjetische T-72 geliefert und sollten dafür wohl nur einige Leopard-2 bekommen, was sie als zu wenig empfanden. Wie wissen nicht, was da vereinbart worden war. Die Bundesregierung hat noch im Mai einen Ringtausch mit Griechenland vorgeschlagen, wonach sowjetische Schützenpanzer BMP-1 an die Ukraine geliefert werden sollten, die auf verschiedenen ägäischen Inseln verstreut sind und deren Zustand niemand kennt.

Deutschland wollte dafür deutsche Technik nach Griechenland abgeben, vor allem Marder, die die ukrainische Armee aber selbst dringend bräuchte. Passiert ist bislang überhaupt nichts. Aber wenn wir zum Beispiel Cherson von den Russen befreien wollen, um neue Massaker wie in Butscha zu verhindern, dann brauchen wir schon heute deutsche Kampfpanzer Leopard, gepanzerte Fahrzeuge Marder und Fuchs sowie sehr viel Munition. Das alles wäre sofort lieferbar, aber es wird in Berlin nach wie vor auf die Bremse getreten.

„Unsere Jungs haben gelernt, die Panzerhaubitze 2000 zu beherrschen“

Sie haben schon Ende Mai in einem RND-Interview gesagt, es habe den Anschein als spiele Deutschland bei Waffenlieferungen auf Zeit. Haben Sie diesen Eindruck immer noch?

Ja, man kann es nicht anders sagen. Wir erleben ein Art Blockade, die ich nicht verstehen kann. Am Anfang gab es das Argument, die Ukrainer können die deutsche Technik nicht bedienen. Aber innerhalb von drei Wochen haben unsere tüchtigen Jungs gelernt, die Panzerhaubitze 2000 zu beherrschen. Die deutschen Ausbilder waren erstaunt, dass die Ukrainer so gut sind und auch Englisch sprechen. Ich denke, das Ganze ist eine rein politische Entscheidung. Wahrscheinlich steckt dahinter der versteckte Wunsch, es sich mit Moskau nicht ganz zu verscherzen. Man will wohl Freiräume für die Nachkriegszeit behalten, um vielleicht auch wieder als Vermittler auftreten zu können. Darüber kann man nur spekulieren.

Im April hatte es viel Hickhack um eine Ukraine-Reise von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gegeben. Zunächst war er von Kiew ausgeladen, später dann doch wieder eingeladen worden. Dort gewesen ist er immer noch nicht. Wird es nun langsam Zeit?

Ich denke ja. Seiner Reise steht nichts im Wege, Präsident Selenskyj hat zwei Mal per Telefon seine Einladung ausgesprochen. Präsident Steinmeier hat Fehler in der Russland-Politik eingeräumt, was die ehemalige Bundeskanzlerin, Angela Merkel, bis heute nicht getan hat.

Der Bundespräsident könnte gerade jetzt eine wichtige Rolle spielen, indem er beruhigend auf die Bevölkerung einwirkt, dass Deutschland ein robuster Staat ist und nicht im Winter aus Mangel an russischem Gas in die Knie gehen wird. Diese künstlich geschürte Panikmache ist übertrieben. Wir würden uns auf jeden Fall sehr freuen, wenn Frank-Walter Steinmeier Kiew einen Besuch abstatten und damit auch ein Zeichen setzen würde.

„Ich war siebeneinhalb Jahre in Berlin – früher oder später ist der Wechsel fällig“

Hängt Ihre Abberufung aus Berlin mit Ihren Äußerungen in einem Interview über den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera zusammen?

Das weiß ich nicht, ehrlich gesagt. Ich möchte keine Vermutungen aufstellen. Was zählt, ist, dass sowohl Präsident Selenskyj, als auch mein Außenminister betont haben, es sei ein Routinevorgang. Und das ist es tatsächlich auch. Normalerweise werden Botschafter bei uns nach fünf Jahren abberufen, ich war jetzt schon siebeneinhalb Jahre in Berlin. Früher oder später ist der Wechsel für jeden Botschafter fällig.

Sie haben Bandera verteidigt und gesagt, er sei kein Massenmörder von Juden und Polen gewesen. In Polen und Israel hat das sehr große Wellen geschlagen.

Einige meine Äußerungen in diesem Kontext waren wohl ein Fehler, das muss ich so einräumen. Ich würde das heute anders formulieren. Bandera ist zwar eine sehr widersprüchliche historische Persönlichkeit, aber sie wird von über 70 Prozent der ukrainischen Bevölkerung positiv bewertet. Es gibt viele Denkmale für ihn, in Kiew wurde sogar eine Straße nach ihm benannt. Ich hoffe, dass vor allem die Historiker mit mehr Mut an dieses Thema herangehen und ein internationales Forschungsprojekt starten, um die Figur Bandera von verschiedenen Seiten unvoreingenommen zu beleuchten.

Es gibt da keine einfache Wahrheit, kein Schwarz-weiß. Für die Sowjetunion war er der Erzfeind, weil er für die ukrainische Unabhängigkeit gekämpft hat. Er wurde daher 1959 vom KGB in München ermordet und wird bis heute von der russische Propaganda benutzt, um zu behaupten, dass alle Ukrainer angeblich Neonazis sind. Das ist völliger Quatsch. Trotzdem tappen viele Deutsche bis heute in diese Kreml-Falle.

Im März 2015 haben Sie in München am Grab von Bandera Blumen niedergelegt. Musste das sein?

Schwer zu sagen. Ich war damals mit seinen Angehörigen an der Grabstelle, die im Laufe der Jahre immer wieder geschändet worden ist, zuletzt gerade wieder vor zwei Wochen. Aus menschlicher Sicht ist das nicht einfach zu beantworten, wenn man die Verwandten persönlich kennt …

Übrigens: In der Ukraine gibt es viele Gräber von Wehrmachtssoldaten und die deutsche Botschafterin legt am Volkstrauertag dort Kränze ab. Die Wehrmacht war auch beteiligt an Kriegsverbrechen in der Ukraine, nicht nur die SS. Die Ukraine war eines der größten Opfer der NS-Terrorherrschaft, wir haben mindestens acht Millionen Menschen verloren, einschließlich anderthalb Millionen ukrainische Juden im Holocaust, durch Kugeln wie in Babyn Jar. Man sollte bei der Aufarbeitung immer dieses größere Bild vor Augen haben.

Was müsste geschehen, damit es zu Verhandlungen mit Russland kommt?

Verhandlungen sind die einzige Möglichkeit, diesen Krieg zu beenden. Ich bin überzeugt, dass es dazu kommt. Aber dieser Moment ist deswegen noch nicht gekommen, weil Putin immer noch nicht gezwungen wurde, ehrlich und ernsthaft zu verhandeln. Die militärische Überlegenheit der Russen bleibt riesig, trotz der enormen Verluste. Putin glaubt genug Zeit zu haben, für ihn gibt es keine Deadline für diesen Krieg.

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Das einzige, was ihn bedrückt, sind die Sanktionen und die wirken leider nur mittelfristig. Deswegen ist es für die Ukraine überlebenswichtig, dass Deutschland und andere westliche Partner wirklich alles auf die militärische Karte setzen, um einen nachhaltigen Frieden erst zu ermöglichen. Nur wenn wir gemeinsam Putin auf dem Schlachtfeld in die Schranken weisen, wird er einlenken und diesen Vernichtungskrieg stoppen.