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„Das ist doch eine Schweinerei“Pflegebeauftragte Claudia Moll im Interview

Lesezeit 5 Minuten

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Claudia Moll ist seit Mitte Januar neue Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung. Die 53-jährige war von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für das Amt vorgeschlagen worden. Die examinierte Altenpflegerin ist seit 2017 im Bundestag.

Claudia Moll löst Andreas Westerfellhaus ab

Frau Moll, Sie lösen Andreas Westerfellhaus ab, einen erfahrenen und sehr anerkannten Pflegeexperten. Dessen Abberufung hat in der Branche für Irritation und teilweise auch für Empörung gesorgt hat. Ist das eine Belastung für das Amt?

Ich kann die Reaktionen ein Stück weit sogar nachvollziehen. Aber es ist das gute Recht eines neuen Ministers, das Amt mit einer Wunschkandidatin oder -kandidaten zu besetzen. Mich ehrt es, dass Karl Lauterbach mich vorgeschlagen hat. Das Amt gibt mir die Möglichkeit, mich mit noch mehr Nachdruck für die Pflege einzusetzen.

Erstmals wird das Amt mit einer examinierten Altenpflegerin besetzt. Wollen Sie andere Schwerpunkte setzen als Ihre Vorgänger?

Auch wenn ich aus der Altenpflege komme, als Pflegebevollmächtigte bin ich für alle da: für die Pflegekräfte, für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen, für Menschen mit Behinderungen. Da ist kein Bereich wichtiger als der andere. Und ich möchte in allen Bereichen spürbare Verbesserungen erzielen. Die Pflege wird das Riesenthema der kommenden Jahre.

Mehr Personal gegen schlechte Arbeitsbedingungen

In einem Thesenpapier zur Pflege haben Sie 2020 die für Sie zentrale Frage formuliert: „Wie schaffen wir es, dass sich mehr Menschen dazu entschließen, diesen Beruf zu ergreifen?“ Haben Sie eine Antwort?

Die Pflegebranche muss zunächst einmal aufhören, den eigenen Beruf schlecht zu reden. Natürlich ist Pflege ein stressiger Job. Oft ist es zu viel Arbeit für zu wenige Köpfe, da spreche ich aus eigener Erfahrung. Die Arbeit ist aber auch sehr erfüllend und verantwortungsvoll. Pflegekräfte sind gut ausgebildete, kompetente Fachkräfte in einem komplexen Arbeitsumfeld.

Wir sind doch nicht die Pipi-Schwenker. Deshalb müssen die Beschäftigten selbstbewusster sein. Seitdem ich in der Politik bin, ist es mir häufiger passiert, dass Gesprächspartner signalisiert haben: Was will diese kleine Altenpflegerin schon? Von solchen Spielchen darf man sich nicht von seinen Zielen ablenken lassen.

Die Arbeitsbedingungen sind tatsächlich alles andere als gut. Was muss sich ändern?

Der Schlüssel ist mehr Personal. Unser Problem sind aber nicht allein die Fachkräfte. Es fehlen insbesondere auch Pflegehelfer und Alltagsbegleiter. Derzeit ist zum Beispiel für 20 Bewohnerinnen und Bewohner nur eine Betreuungskraft vorgesehen. Der Schlüssel muss auf zehn zu eins erhöht werden. Und wir brauchen mehr Pflegehelfer.

Es kann doch nicht sein, dass Fachkräfte im ohnehin schlecht besetzten Spätdienst auch noch die Abendbrotstullen schmieren müssen. Da muss eine bessere Aufgabenverteilung möglich gemacht werden, indem die Personalbemessung flexibler wird und Fachkräfte entlastet werden.

4000 Euro Einstiegsgehalt wären in der Pflege angemessen

Auch die Bezahlung ist in der Altenpflege mies. Reicht die kurz vor der Wahl beschlossene Gesetzesänderung, die Pflegeeinrichtungen eine Tarifbindung vorschreibt?

Natürlich ist das gegenüber einem Branchentarifvertrag nur die zweitbeste Lösung. Aber wegen des Widerstands der kirchlichen und der privaten Arbeitgeber war nicht mehr zu erreichen. Wir müssen jedoch genau beobachten, was passiert, wenn die Regelung ab September scharf gestellt wird. Gefälligkeits-Tarifverträge sind nicht akzeptabel. Ob es nötig ist, später noch einmal einen neuen Anlauf für einen Branchentarifvertrag zu nehmen, müssen wir mit Arbeitsminister Hubertus Heil besprechen.

Was wäre denn ein guter Lohn für Pflegefachkräfte?

4000 Euro als Einstiegsgehalt wären angemessen. Aber es geht ja nicht nur um den Lohn, sondern zum Beispiel auch um den Urlaub. In der Pflegebranche wird zu oft nur der Mindesturlaub gewährt. Ganz ehrlich: Das ist doch eine Schweinerei. In anderen Branchen sind 30 Tage längst gang und gäbe – bei einer 5-Tage-Woche und für alle Arbeitnehmer im Betrieb. Auch das ist eine Frage, die eigentlich in Tarifverträgen geregelt gehört und es ist eine Schande, dass sich einige Arbeitgeber da nicht von alleine bewegen.

Auswirkungen auf die Beiträge der Versicherten

Alles, was die Pflege verteuert, erhöht die Beiträge der Versicherten oder den Eigenanteil der Heimbewohner. Der liegt schon im Schnitt bei 2179 Euro im Monat. Ist das noch akzeptabel?

In solchen Beträgen sind natürlich auch Unterkunft und Verpflegung dabei, aber das ist ganz klar für viele Pflegebedürftige einfach zu viel. Die in der vergangenen Wahlperiode beschlossene leichte Entlastung ist allenfalls in Reförmchen. Da müssen wir wie versprochen prüfen, ob wir eine stärkere Entlastung bei den Eigenanteilen brauchen.

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Wenn Pflegebedürftige auf Sozialhilfe angewiesen sind, müssen sie mit einem Taschengeld von kaum mehr als 100 Euro auskommen. Friseur, Fußpflege, Kosmetika, aber auch Arzneimittel, die die Krankenkasse nicht übernimmt, das alles muss davon bezahlt werden. Am Ende müssen sie darauf hoffen, dass jemand ihnen das gewohnte Duschgel spendiert. Ist das ein würdevolles Leben im Alter? Das mag trivial klingen, aber so etwas gehört doch gerade im Alter zur Lebensqualität einfach dazu.

Aktuelle Corona-Lage und PCR-Tests

Lassen Sie uns zur aktuellen Corona-Lage kommen. Die privaten Pflegeanbieter warnen vor einem Kollaps der Pflege, weil so viele Beschäftigte wegen der Branchen-Impfpflicht kündigen wollten. Ist die Sorge berechtigt?

Ich halte das für Panikmache. Die meisten Pflegekräfte sind geimpft. So wie ich meine Kolleginnen und Kollegen kenne, lassen sie weder die anderen Beschäftigten noch die Pflegebedürftigen im Stich. Sicher wird es den einen oder anderen geben, der jetzt sagt: Mir reicht´s. Aber die hätten vielleicht sowieso gekündigt. Klar ist aber, dass die Gesundheitsämter sehr genau prüfen müssen, ob es durch ein Tätigkeitsverbot von Impfunwilligen zu Personalproblemen kommt. Das muss immer eine Einzelfallentscheidung sein.

Minister Lauterbach will den Pflegebonus auf die Beschäftigten in der Kranken-Intensivpflege konzentrieren. Halten Sie das für gerecht?

Ich habe ein grundsätzliches Problem mit einem Bonus. Bei begrenzten Mitteln muss es eine Differenzierung geben, aber das ist immer ungerecht. Damit wird es immer Unzufriedene geben, weil man nicht alle Erwartungen erfüllen kann. Aber nun warten wir erstmal ab, bis der Vorschlag auf dem Tisch liegt. Ich bin zuversichtlich, dass wir diesmal eine gute Lösung finden.

Die PCR-Tests werden priorisiert, aber pflegende Angehörige sollen außen vor bleiben. Teilen Sie die Kritik daran?

Für mich ist ganz klar: Wir dürfen die pflegenden Angehörigen nicht vergessen und allein lassen. Die Tests sind da tatsächlich nur ein Teil der Frage. Nötig ist vor allem schnelle Unterstützung für den Fall, dass der pflegende Angehörige positiv getestet wird. Dann muss rasch eine Betreuung für den Pflegebedürftigen organisiert werden. Da braucht es viel Flexibilität und Einsatz von allen Beteiligten.