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Mit Link zum VideoDarüber diskutierten die Bundestagskandidaten im Studio93 in Erftstadt

Lesezeit 4 Minuten
Vier Männer und eine Frau sitzen in einem Studio.

Gut gelaunt nach getaner Diskussion: Moderator Pavlos Papapostolou (v.l.), Detlef Seif (CDU), Markus Herbrand (FDP), Andrea Kanonenberg (SPD) und Christian Schubert (Bündnis 90/Die Grünen).

Wahlentscheidend waren in Köttingen die Themen Schuldenbremse, Wirtschaft, grüne Transformation und Migration.

„Es ist Aufgabe der Wähler ihre Kandidaten zu kennen und nicht Aufgabe der Kandidaten sich erst vorzustellen.“ So radikal forderte die österreichische Politrock-Gruppe Schmetterlinge 1976 in ihrer Proletenpassion einen mündigen Wähler.

Eine gute Gelegenheit, die Direktkandidaten des Wahlkreises Rhein-Erft-Kreis II (Erftstadt, Wesseling, Brühl, Kreis Euskirchen) kennenzulernen, bot die Podiumsdiskussion im Studio93 in Köttingen, die gleichzeitig live gestreamt wurde und weiterhin auf der Homepage aufzurufen ist. In dieser konnte man einen Eindruck von den Kandidaten gewinnen, der über das Parteiprogrammatische hinausgeht.

Sind es zum Beispiel nur Worthülsen, die jemand von sich gibt, oder liegt dem eine auf breiter fachlicher Basis getroffene Einschätzung zugrunde? Ist der Kandidat ein guter Zuhörer und geht entsprechend respektvoll mit seinen politischen Wettbewerbern um? Scheint er durchsetzungsstark zu sein? Eine nicht unwichtige Eigenschaft im politischen Betrieb? Letztlich münden solche Fragen in der entscheidenden: Möchte ich als Wähler von diesem Kandidaten im Bundestag repräsentiert werden?

Erftstadt: Junges Redaktionsteam hat Veranstaltung gründlich vorbereitet

Ein junges Redaktionsteam, bestehend aus Robert Rosemann, David Neugebauer, Yannik Pries und dem Moderator des Abends, Pavlos Papapostolou, alle zwischen Anfang und Mitte 20, hatte die Veranstaltung gründlich vorbereitet. Gewünscht war von ihnen ein lebendiges Gespräch zwischen den Direktkandidaten, weshalb sie sich im Vorfeld entschieden hatten, die Gruppe mit vier von ihnen kleinzuhalten.

Geladen wurden Detlef Seif (CDU), Andrea Kanonenberg (SPD), Christian Schubert (Bündnis 90/Die Grünen) und Markus Herbrand (FDP), deren Parteien im Wahlkreis Rhein-Erft-Kreis II bei der vergangenen Bundestagswahl die meisten Stimmen bekommen hatten.

Einzig Rüdiger Lucassen von der AfD wurde trotz Erfüllung dieses Kriteriums nicht eingeladen. Das Redaktionsteam befürchtete von ihm rassistische und antidemokratische Aussagen sowie sachlich falsche Behauptungen, die sich in einer Live-Diskussion über einen Faktencheck nicht direkt korrigieren ließen, wie Papapostolou begründete. Lucassen wurde aber genauso wie Stefan Söhngen von der Linken ein Video-Interview angeboten, das die Podiumsdiskussion auf der Internetseite ergänzen soll.

Schuldenbremse, Wirtschaft, grüne Transformation und Migration

Als wahlentscheidend hatte das Team vier Themen ausgemacht: Schuldenbremse, Wirtschaft, grüne Transformation und Migration. Jeder der vier Kandidaten hatte nur 30 Sekunden Zeit für ein Eingangsstatement und dann ging es direkt in die Diskussion der Themen, die Moderator Pavlos Papapostolou mit seinen Einstiegsfragen oft auf die Auswirkungen im Lokalen herunterbrach. Zum Beispiel, wo das Geld für ein neues Schwimmbad in Erftstadt herkommen könnte oder was die Chemieindustrie in Wesseling an politischer Unterstützung benötigt.

In der Diskussion zeigte sich, dass die vier Direktkandidaten in der Problembeschreibung oft gar nicht weit auseinanderliegen, aber in den Lösungsvorschlägen. Zum Beispiel in Bezug auf die Schuldenbremse: Man war sich einig darüber, dass umfassende Investitionen in die Infrastruktur notwendig sind, aber während Kanonenberg und Schubert für eine Reform der Schuldenbremse argumentierten, begründeten Seif und Herbrand, warum sie sie beibehalten wollen. Sie möchten die notwendigen Mittel durch eine andere Prioritätensetzung im Haushalt und politische Maßnahmen zum Ankurbeln der Wirtschaft gewinnen.

Stichwort Migration. Einig war man sich darin, dass wir in Deutschland Zuwanderung durch fehlende Fachkräfte brauchen, auch, dass nicht bleiben kann, wer sich nicht an die hiesigen Regeln hält oder keinen Schutzstatus zugesprochen bekommt. Aber wie das zu erreichen ist, darüber gingen die Meinungen auseinander.

Detlef Seif zum Beispiel befürwortete Asylverfahren in Drittstaaten und Grenzkontrollen, was zu deutlichem Murren unter den etwa 40 Zuschauern führte. Markus Herbrand forderte von der nächsten Regierung, sich für eine Reform des Dublin-Abkommens einzusetzen. Andrea Kanonenberg mahnte, dass derjenige, der zu uns kommt, weil er Schutz braucht, diesen auch weiterhin bekommen müsse. Außerdem forderte sie mehr Unterstützung für die Integration und Aufarbeitung oft traumatischer Fluchterfahrungen.

Und Christian Schubert kritisierte, dass die CDU in der Migrationsdebatte ihre Leitlinien von Humanität und Ordnung aufgebe, was Seif direkt bestritt. Schubert erinnerte daran, dass es um Menschen gehe, die zu uns nicht „aus Jux und Tollerei“ kämen, und wies darauf hin, dass bereits Großbritannien und Italien einige hundert Millionen Euro bei dem Versuch in den Sand gesetzt hätten, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern.

So ging es über gut eine Stunde in einer respektvollen und sachkundigen Diskussion durch die vier Themen. Interessierte können die Diskussion hier nachschauen.