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Neue Waffenstärke der UkraineRussland-Experte warnt vor Atomschlag bei Rückeroberung der Krim

Lesezeit 8 Minuten
Ein Leopard 2 Panzer feuert einen explodierenden Schuss ab

Politikwissenschaftler Gerhard Mangott warnt im Interview vor einem möglichen Nuklearszenario. (Symbolbild)

Kiew jubelt, Russland spricht von einem „desaströsen Plan“: Scholz hat die Lieferung von Leopard-Panzern freigegeben. Ist Deutschland jetzt Kriegspartei?

Seit Mittwoch steht fest: Deutschland wird die Ukraine mit 14 Leopard-2-Panzern aus Bundeswehrbeständen unterstützen. Gleichzeitig erteilte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auch anderen Staaten die Freigabe, deutsche Kampfpanzer desselben Typs der Ukraine zu liefern. Die Reaktion aus Moskau ließ nicht lange auf sich warten.

Kremlsprecher Dmitri Peskow sprach nach der Verkündung noch von einem „desaströsen Plan“. Einen Tag später sind die Aussagen deutlich schärfer: „In Moskau betrachten wir dies als eine direkte Beteiligung am Konflikt“, sagte er am Donnerstag.

Hat Scholz damit eine rote Linie überschritten? Wird Deutschland zur Kriegspartei? Und welchen Nutzen hat der Leopard-Panzer für die Ukrainer? Darüber hat das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit dem Politikwissenschaftler und Professor für internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck, Gerhard Mangott, gesprochen. Der Russland-Experte sieht die militärische Offensivkraft der Ukraine nun deutlich gestärkt. Gleichzeitig warnt er jedoch vor einem nuklearen Krim-Szenario.

Experte schätzt Gefahr der Eskalation nach Panzerlieferung gering ein

Herr Mangott, hat Bundeskanzler Scholz mit seiner Leopard-2-Einwilligung zur Unterstützung der Ukraine nun eine rote Linie überschritten?

Russland hat schon bei der Lieferung anderer militärischer Güter immer wieder von roten Linien gesprochen, aber letztlich folgte nach der Lieferung keine wirkliche direkte militärische Eskalation. Auch jetzt spricht man wieder von einer roten Linie. Der Botschafter Russlands in Berlin sagt, es sei äußerst gefährlich, was Deutschland hier tue. Aber ich glaube auch diesmal nicht, dass es durch diese Lieferungen vonseiten Russlands eine militärische Eskalation geben wird.

Auch Drittstaaten dürfen nun Leopard-Panzer an die Ukraine liefern: Welche Rolle können diese im ukrainischen Verteidigungs- und Rückeroberungskampf spielen? Haben sie das Potenzial, ein „Gamechanger“ im Krieg gegen Russland zu werden?

Wenn die Ukraine deutlich über 150 Kampfpanzer bekommt insgesamt, dann stärkt das enorm ihre Offensivfähigkeit. Ab 200 Kampfpanzern kann man schon von einem „Gamechanger“ in diesem Krieg sprechen.

Wir erwarten ja eine Offensive der Ukraine, entweder in der Provinz Luhansk oder in der Provinz Saporischschja mit dem Ziel, zum Asowschen Meer vorzustoßen und damit die besetzten russischen Gebiete in zwei Teile zu spalten und die Landbrücke zur Krim zu zerstören. Das wird durch die Lieferung solcher Kampfpanzer wahrscheinlicher. Es ist nicht garantiert, dass ein solcher Erfolg gelingt, aber Erfolg ist wahrscheinlicher.

Risiko einer vertikalen Eskalation mit Einsatz von Nuklearwaffen

Welche militärischen Gefahren gehen mit der Leopard-Freigabe einher?

Ich erwarte keine kurzfristige Eskalation. Es wird auch Monate dauern bis die Kampfpanzer im Kriegsgebiet eintreffen und noch ist offen in welcher Stückzahl. Aber man muss sagen: Die Regierungen, die jetzt Kampfpanzer liefern, verlieren in einer gewissen Weise die Kontrolle über das Eskalationsrisiko. Denn die große Frage ist: Wird die ukrainische Führung an ihren immer wieder geäußerten maximalistischen Kriegszielen festhalten? Konkret geht es ihnen dabei darum, Russland aus der gesamten Ukraine zu vertreiben, also auch von der Krim. Sollten die ukrainischen Streitkräfte eine Unterbrechung der Landbrücke erreichen, könnten sie auch versuchen, auf die Krim vorzudringen. Doch dann gibt es - meines Erachtens nach - ein sehr hohes Risiko einer sogenannten vertikalen Eskalation, also das Russland taktische Nuklearwaffen einsetzen wird.

Wie könnte ein solcher Nuklearschlag aussehen?

Also wenn es so weit kommt, dass sich die russische Führung für den Einsatz taktischer Nuklearwaffen entscheidet, dann denke ich, wird das in einer Eskalationsstufen-Abfolge geschehen. Zuerst würde es eine explizite Warnung mit dem Einsatz solcher Waffen geben, um eine ukrainische Offensive gegen die Krim zu stoppen. Dann vermutlich eine Explosion in der Luft über dem Schwarzen Meer, um der Drohung noch zusätzlichen Nachdruck zu verleihen. Und wenn auch das nicht reicht, dann den Einsatz von taktischen Nuklearwaffen auf ukrainischem Gebiet.

Rückkehr zur Situation vor dem Krieg, statt Rückeroberung der Krim

Welche Konsequenzen hätte das mit Blick auf den Westen?

Einen Angriff auf Nato-Gebiet wird es zwar nicht geben. Wenn aber Nuklearwaffen gezündet werden, ist es für beide Seiten nicht mehr möglich, die Eskalation zu kontrollieren. Denn die USA haben schon angekündigt, in einem solchen Fall massiv zurückzuschlagen. Und dann ist die große Frage: Was macht Russland? Auch wenn der Einsatz von Nuklearwaffen nur eine geringe Wahrscheinlichkeit hat, finde ich, dass man die maximalistischen Kriegsziele der Ukraine nicht unterstützen sollte, auch die Krim und Sewastopol zurückzuerobern. Stattdessen sollte man moderatere Kriegsziele unterstützen, nämlich die Rückkehr zur Situation vor dem Krieg.

Könnte es nun passieren, dass Russland versuchen wird, die Leopard-Lieferungen mit Interkontinentalraketen zu vernichten, ehe sie im Krieg eingesetzt werden können?

Nein, Interkontinentalraketen werden es nicht werden. Man muss aber sagen: Es ist erstaunlich, dass die russische Seite frühere Rüstungsgüterlieferungen wie etwa Panzerhaubitzen, Luftabwehrsysteme oder Flakpanzer nicht attackiert hat. Wenn Russland jetzt dazu schreiten würde, solche Verbindungslinien tatsächlich anzugreifen, dann nur auf ukrainischem Territorium und nicht in Polen, wo dieses Gerät ja als Aufmarschzone bereitgestellt wird. Ob Russland dazu militärisch in der Lage ist, anders als bisher? Da muss ich leider passen, weil ich kein Militärexperte bin. Aber es ist durchaus möglich. Angekündigt wurde es ja schon mehrfach, dass Russland diesmal tatsächlich diese Lieferkette angreifen wird.

Gewünschte Kampfflugzeuge könnte zu radikaler Wende führen

Die Rede ist nun von einer neuen Panzerallianz: Schon vor Deutschlands Leopard-Freigabe hatte Großbritannien angekündigt, seinen Kampfpanzer Challenger in die Ukraine zu liefern. Die USA wollen zudem Abrams-Kampfpanzer schicken, Frankreich erwägt die Unterstützung mit seinem Leclerc. Sind so viele verschiedene Kampfpanzertypen ein Vor- oder Nachteil für die Ukraine?

Das macht die Sache für die ukrainischen Streitkräfte wesentlich schwieriger und komplexer. Aber ich denke, die ukrainische Seite hat schon bei früheren Rüstungslieferungen gezeigt, dass sie mit unterschiedlichsten westlichen Systemen durchaus zügig und erfolgreich umgehen kann. Ich nehme an, das wird auch bei den Kampfpanzern passieren. Aber es ist sicherlich so, dass der Leopard 2 von der Wartung her besser geeignet ist für diesen Krieg als der Abrams-Panzer der USA. Aber das war eine politische Bedingung, die Kanzler Scholz für die Leopard-2-Einwilligung gestellt hat.

Von ukrainischer Seite zeigte man sich sehr erfreut über die Leopard-Meldung aus Deutschland. Es hat aber nur kurz gedauert, bis die nächste Forderung gestellt wurde – und zwar die Lieferung von Kampfjets. Wie realistisch ist das und welche Gefahren würden mit so einer Lieferung einhergehen?

Nun, wenn die Ukraine wie jetzt gewünscht Kampfflugzeuge etwa den F-16, den Tornado oder den Eurofighter und Kampfhubschrauber westlicher Staaten bekommen sollte, dann ist das eine radikale Wende in diesem Krieg mit höchstem Eskalationsrisiko. Deswegen glaube ich, dass man zumindest in den nächsten Monaten einer solchen ukrainischen Forderung nicht nähertreten wird. Bundeskanzler Scholz hat sich im Bundestag ja erneut festgelegt, dass keine Kampfflugzeuge geliefert werden. Hier wieder nachzugeben und von seiner ursprünglichen Position abzuweichen wäre wieder eine sehr hohe Hürde.

Das ist ein Krieg des Westens mit Russland, das ist ein Krieg Russlands mit dem Westen.
Gerhard Mangott, Russland-Experte

Konkret: Würde die Lieferung von Kampfflugzeugen also aus Ihrer Sicht auch den direkten Kriegseintritt der Nato bedeuten?

Völkerrechtlich sicherlich nicht. Das ist kein Kriegseintritt, selbst wenn solche Luftsysteme geliefert werden. Aber politisch ist natürlich schon zu konstatieren, dass sich der Westen im Krieg mit Russland bewegt und in einer besonderen Art und Weise am Krieg teilnimmt. Es kämpfen nicht die Armeen beider Seiten gegeneinander. Aber trotzdem ist es so, dass mit westlichen Waffensystemen natürlich politisch formuliert werden muss: Das ist ein Krieg des Westens mit Russland, das ist ein Krieg Russlands mit dem Westen. Das hat ja auch Außenministerin Baerbock so bestätigt.

Noch mal zurück zu den Gefahren eines Nuklearschlags: Würde ein solcher Angriff unter Putin passieren? Oder wäre dann schon eine andere russische Führung an der Macht?

Also wenn Russland taktische Nuklearwaffen einsetzen sollte, dann ist das noch unter der Autorität von Wladimir Putin. Das ist auch Teil der russischen Militärdoktrin, das Prinzip „eskalieren um zu deeskalieren“. Das bedeutet, droht Russland einen konventionellen Krieg zu verlieren, dann können taktische Nuklearwaffen eingesetzt werden, um die konventionelle Offensive der Gegenseite zu stoppen. Dafür muss aber die staatliche Existenz Russlands in Gefahr geraten. Moskau könnte aber durchaus argumentieren, dass durch einen Verlust der Krim - der für die politische Führung und die Bevölkerung in Russland verheerend wäre - tatsächlich dieser Fall eintritt und man deshalb Atomwaffen einsetzen könnte - nach dem eben genannten Prinzip „eskalieren um zu deeskalieren“.

Verlust der Krim würde vermutlich zu Sturz von Wladimir Putin führen

Sollte die Ukraine tatsächlich die Krim zurückerobern: Wäre das das Ende von Putin?

Ich glaube schon. Putin will und muss diesen Krieg gewinnen. Der Verlust der Krim wäre sehr wahrscheinlich ein Grund, ihn zu stürzen. Und es wäre auch für den Rest der politischen und militärischen Elite des Landes ein riesiges Desaster, wenn die Krim verloren ginge. Das wäre auch nicht zu argumentieren gegenüber der eigenen Bevölkerung. Man muss dazu sagen: Auch wenn Russland in der besetzten Krim schwere Menschenrechtsverletzungen begeht - vor allem an Krimtataren. Die Mehrheit der Bevölkerung auf der Krim will sicherlich bei Russland bleiben.

Angenommen, die Krim geht verloren, Putin wird gestürzt. Würden dann die Hardliner übernehmen oder hätte eine Regierung mit westlicher Orientierung Chancen?

Wenn Putin gestürzt wird, dann sicherlich durch das Geheimdienst- und Militär-Establishment. Und da ist der Großteil zum Teil noch radikaler als Putin. Das heißt: Eine versöhnlichere und nachgiebigere Haltung der russischen Führung wäre in keinem Fall zu erwarten. In dem Zuge ist eine Westorientierung, eine neue Anlehnung an den Westen, auch bei einem Sturz Putins völlig unwahrscheinlich. (rnd)