G7-Gipfel in BayernScholz begrüßt die Welt – Biden prescht mit Programmpunkt vor
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Die G7-Nationen treffen sich unter höchsten Schutzvorkehrungen
Der US-Präsident fliegt im unbeleuchteten Hubschrauber ein – aus Sicherheitsgründen
Olaf Scholz will Klimawandel zum Thema machen – doch das ist nur eines von vielen Themen
Schloss Elmau – Olaf Scholz startet mit einer Klopfprobe. Es ist der erste Tag des G7-Gipfels auf Schloss Elmau. Der Bundeskanzler ist der Gastgeber, Deutschland hat die Präsidentschaft. Gleich kommt US-Präsident Joe Biden zum Händeschütteln.
Scholz steht im „Summit“-Pavillon des Luxushotels, hinter ihm prangt das Wettersteingebirge und zwischen ihm und den Bergen ist eine durchsichtige Scheibe. Er pocht mit dem Handrücken dagegen. Panzerglas. Es hält Beschuss und Sprengauswirkungen stand. Im übertragenen Sinne muss das der Politik in Elmau auch gelingen.
Es wirkt wie eine Verlegenheitsgeste, denn wäre jetzt nicht alles tausendprozentig vorbereitet, wäre ohnehin alles zu spät. Das ganze Gelände ist abgeriegelt, 18.000 Polizistinnen und Polizisten schützen das dreitägige Treffen der sieben wirtschaftsstarken westlichen Demokratien.
Bayern hat damit Erfahrung. 2015 ging hier beim G7-Gipfel unter deutscher Präsidentschaft alles glatt, während der G20-Gipfel in Hamburg 2017 in die Binsen ging. Scholz, damals Erster Bürgermeister der Hansestadt, muss jetzt auf Nummer sicher gehen.
Stundenlange Straßensperre für „The Beast“
Joe Biden war in der Nacht auf Schloss Elmau eingetroffen. Die Hauptstraße im nahegelegenen Garmisch-Partenkirchen war um Mitternacht für Stunden gesperrt worden, damit seine Kolonne mit „The Beast“ - der schusssicheren Limousine des Präsidenten - durchrauschen konnte. Hunderte Menschen, die nicht in ihre Wohnungen kamen, säumten geduldig die Straße, vereinzelt wurde gejubelt. Biden selbst war jedoch mit dem Hubschrauber geflogen. Unbeleuchtet. Aus Sicherheitsgründen.
Am Vormittag dann wartet der Kanzler darauf, dass Biden um die Ecke biegt. Es dauert zwei Minuten bis der 79-Jährige erscheint. Aber auch zwei Minuten können sehr lang werden. Der Kanzler schreitet hin und her, grüßt nur durch Kopfnicken, faltet die Hände, schaut sich das atemberaubende Alpenpanorama an und sagt sogar zwei Worte: „Schön hier.“
Doch seine Aufregung erscheint größer als sein Augenschmaus. Kein Wunder, wenn von einem Gipfel in Zeiten eines russischen Angriffskrieges mitten in Europa so viel abhängt wie von diesem. Scholz will im G7-Verbund größtmögliche Hilfe für die Ukraine und Härte gegen Moskau organisieren. Auf jedes Wort, jedes Kommuniqué wird es ankommen, um dem Aggressor Wladimir Putin zuzusetzen.
Mehrere Krisen: Krieg, Hunger, Klimawandel, Energiepreise
Und dieser Krieg ist nicht die einzige Krise. Er löst in afrikanischen Staaten neue Hungerkatastrophen aus, weil die Ukraine kein Getreide mehr liefern kann. Der Kampf gegen den Klimawandel gerät ins Stocken, weil im Bemühen um Unabhängigkeit von russischem Öl und Gas wie in Deutschland zum Entsetzen der Klimaschützer wieder verstärkt auf fossile Energien gesetzt wird. Und der Zusammenhalt mit Demokratien wie Indien und Südafrika, die keinen Ärger mit Putin wollen, ist ungewiss.
Scholz ist erst ein gutes halbes Jahr im Amt, es mangelt ihm nicht an Selbstbewusstsein, aber vielleicht wird ihm gerade in diesem Moment im „Summit“-Pavillon die ganze Dimension noch einmal klar.
Der Bundeskanzler hat in den vergangenen Wochen viele Attacken verbaler Art aushalten müssen. Putin habe nur gewartet, bis Scholz´ Vorgängerin Angela Merkel weg sei, der neue Kanzler lasse die Führung und den Einfluss vermissen, den Merkel nach 16 Amtsjahren für Deutschland verkörpert habe. Zu zögerlich, zu zaudernd sei er gewesen, weil seine Regierung so lange gebraucht habe, bis es der Ukraine schwere Waffen zur Verteidigung zusicherte.
Scholz blieb ruhig, suchte immer wieder das Gespräch mit den Verbündeten, telefonierte auch mit dem Kriegsherrn Putin, drängte auf den EU-Beitrittsstatus für die Ukraine, schlug einen Marshall-Plan zum Wiederaufbau des Landes vor. Und er veröffentlichte eine Liste der Waffen, die Deutschland liefert. So heikel er das findet, weil er Putin lieber nicht alle Details auf dem Tablett servieren würde.
Joe Biden findet nette Worte für Olaf Scholz
Aber hier gab er dem Druck der Opposition - und aus den eigenen Reihen der Ampel-Koalition nach. Seht her, Deutschland ist mitnichten ein Zauderer. Die Waffenliste ist lang. Panzerhaubitzen, Flugabwehrpanzer, Raketenabwehrsystem, Aufklärung, Ausrüstung. Scholz weiß selbst, dass die Ukraine den Kampf um die Freiheit auch für andere Demokratien kämpft, wenn nicht für ganz Europa. Aber er sorgt sich auch um Deutschland, das er nicht in den Krieg hineinziehen will. Nicht nur weite Teile seiner SPD finden das genau richtig, sondern laut Umfragen auch die meisten Bürgerinnen und Bürger.
Joe Biden tut im „Summit“-Pavillon vor laufenden Kameras alles dafür, dass Scholz als Mann der Führung in Europa - und in Deutschland - wahrgenommen wird. Er wolle ihm ein Kompliment zu seiner Kanzlerschaft machen, sagt Biden, und zu seiner Rolle, wie er mit Konflikt des russischen Kriegs gegen die Ukraine umgehe.
Der Körpersprache nach zu urteilen, hat der mächtige Mann aus Washington, der mit übereinandergeschlagenen Beinen und zurückgelehnt in seinem Sessel sitzt, die Autorität, den Deutschen zu loben. Scholz, der leise spricht, beugt sich ein Stück vor, als wolle er sich nur vom US-Präsidenten und nicht von den zuhörenden Medien vernehmen lassen. Es sei gut, dass der Westen zusammengeblieben sei – das habe Putin nicht erwartet, sagt der Kanzler. Biden attestiert: „Das ist zu keinem geringen Teil Dein Verdienst, ernsthaft. Danke, Danke.“ Scholz habe einen „großartigen Job“ gemacht.
Biden muss ein Trump-Comeback fürchten
Das alles übertüncht, dass Biden selbst Lob und Anerkennung und die Unterstützung der anderen bräuchte. Im Kreis der G7 mit Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien Japan und Kanada sind es ausgerechnet die USA, deren Demokratie seit der Amtszeit von Donald Trump schweren Schaden erlitten hat. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser Albtraum wiederkehrt. Trump, der sich nach seiner verlorenen Wahl 2021 mit einem gewalttätigen Umsturz an der Macht halten wollte, arbeitet mit gleichgesinnten Republikanern an einem Comeback.
Biden ist insofern wahrscheinlich viel verletzlicher als Scholz. Auch der US-Präsident muss Stärke und Führung zeigen. Das mag erklären, warum er noch vor Gipfel-Beginn eine Entscheidung vorwegnimmt, die wohl erst zum Abschluss am Dienstag verkündet werden sollte. Die G7 seien für ein Importverbot für russisches Gold, so sollten die Sanktionen gegen Moskau verschärft werden. Damit würden Russland Dutzende Milliarden Dollar aus diesem wichtigen Exportgut wegbrechen. Gold gilt als nach Energie als das zweitwichtigste Exportgut Russlands. Scholz hätte das vermutlich selbst gern mitgeteilt.
Aber er kann sich zurücknehmen. Im Gegensetz zum bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), der im vorigen Jahr erfolglos versucht hatte, Kanzlerkandidat zu werden. In einem Tweet begrüßt er die Polit-Elite. „Die Welt zu Gast in Bayern“, schreibt er. Aber er zeigt auf dem Bild nur sechs Köpfe. Alle G7-Staats- und Regierungschefs - außer den Bundeskanzler. Söder hat seine Schmach aus dem Vorjahr offensichtlich immer noch nicht verwunden.
An diesem Montagmorgen wird der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zum G7-Gipfel zugeschaltet. Er wird nicht müde werden, erneut mehr Militärhilfe zu erbitten, auch wenn er sich nach gut vier Monaten Krieg, wenig überraschend, unendlich müde anhört. Sein Land befinde sich in einer moralisch und emotional schwierigen Phase des Krieges, sagt er am Wochenende. Für die G7 muss es eine Warnung sein. Und für die Nato, die zu ihrem Gipfel von Dienstag bis Donnerstag in Madrid zusammenkommt, ebenso.
Scholz gibt am Sonntag schon nach der ersten Arbeitssitzung eine Erklärung ab. Für ihre Beratungen nutzen sie den verglasten „Yoga-Pavillon“ in dem Luxushotel. Wo sonst Entspannungsübungen wie der „Sonnengruß“ angeboten werden, beraten die G7 über die sich düster entwickelnden Weltwirtschaftsklage. Die Sonne bemüht Scholz trotzdem.
Es herrsche in der internationalen gegenwärtigen Lage „nicht eitel Sonnenschein“, sagt er. Putins brutaler Krieg, die Rohstoffknappheit, der Klimawandel, der Hunger, die hohe Inflation. Allerdings könne man an diesem Tag in Elmau sagen: „Hier ist gutes Wetter.“ Das gelte auch für den Gipfel. Es werde ein Signal der Geschlossenheit und der Entschlossenheit geben. Die USA und Deutschland und die G7 trügen gemeinsam Verantwortung. Was sie eint? „Der Blick auf die Welt, der Glaube an Demokratien und den Rechtsstaat“, sagt Scholz. Es ist heiß, er hat die Krawatte abgelegt. Der Bundeskanzler wirkt gelöst.