Eigentlich wären die Wahlkampfbedingungen für die Grünen – so zynisch es klingt – gerade optimal: Unwetter und überflutete Straßen in Deutschland, Hitzerekorde im sonst unterkühlten Kanada. Wetterextreme schaffen sichtbare und fühlbare Belege für den Klimawandel. Das Kernthema der Grünen hat sich eindrucksvoll selbst auf die Tagesordnung gesetzt. Es lässt sich nicht wegwischen, als Fantasterei und übertriebene Panikmache kleinreden oder als allzu düstere Zukunftsvision.
Aber die Grünen haben alles andere als einen Lauf: Sie sprechen nicht – oder nicht nur – vom Klima, sondern von Rufmord. Ein Medienwissenschaftler hat der Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock vorgeworfen, in ihrem neuen Buch abgeschrieben, ja Plagiate verwendet zu haben. Die CSU hat das dankbar aufgegriffen und damit die Debatte angeheizt.
Annalena Baerbock hatte einige Stellen korrigiert
Das Stichwort „Plagiat“ triggert Aufregung, von da ist es nicht weit zur Frage nach Glaubwürdigkeit und zum Betrugsvorwurf. Zuvor hatte Baerbock nach Berichten über ungenaue oder falsche Details ihren veröffentlichten Lebenslauf an einigen Stellen korrigiert.
Die Grünen haben ihre bisherige Coolness im Umgang mit Vorwürfen abgelegt. Man wolle sich auf Inhalte konzentrieren, hieß es bislang. Nun haben sie sich für den Gegenangriff entschieden, einen Anwalt eingeschaltet und ihre Mitglieder zu Solidaritätserklärungen aufgerufen. Einzelne Grünen-Abgeordnete verschärfen auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ihren Ton gegen die politische Konkurrenz bis an die Grenze der Fairness. Es zeigt, wie ernst die Grünen die Sache nehmen.
Zunächst einmal: Die Vorwürfe gegen Baerbock sind weit überzogen. Sie war an einigen Stellen nachlässig und hat damit die Angriffspunkte selbst geliefert. Aber ein Buch ist keine Doktorarbeit, die in Rede stehenden Stellen sind vor allem Auflistungen von Fakten. Für einen Skandal, für ein Absprechen von Integrität, Denk- oder Regierungsfähigkeit taugt das alles nicht.
Glaubwürdigkeit von Annalena Baerbock steht in Frage
Dennoch: Das alles steht nun im Raum und vor allem in den Perpetuum mobiles der sozialen Netzwerke, in denen so oft für Differenzierungen und einen zweiten Blick wenig Platz und Bereitschaft ist. Baerbocks Glaubwürdigkeit, ihr bisheriger großer Pluspunkt, steht in Frage.
Der Wahlkampf dauert allerdings noch fast drei Monate, Baerbock kann sich in dieser Zeit durchaus wieder aufrappeln. Anders als ihre Mitbewerber Armin Laschet von der Union und Olaf Scholz von der SPD schleppt sie keine fragwürdigen Entscheidungen aus langjähriger Regierungszeit mit sich herum.
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Nur auf weniger raue Zeiten kann Baerbock allerdings kaum hoffen. Weil sich kein amtierender Bundeskanzler, keine amtierende Bundeskanzlerin zur Wahl stellt, ist das Rennen so offen wie nie. Es geht es um viel für die Grünen. Aber eben auch für ihre Gegner.