- Friedlicher Dialog mit Wladimir Putin? Darauf haben allzu viele allzu lange gesetzt.
- Jetzt hat er mit der Anerkennung der Donbass-Republiken ein für allemal die Minsk-Verhandlungen in die Tonne getreten - und seine Panzer rollen lassen.
- In all dem liegt ein gefährlicher Anschlag auf Europa, kommentiert Matthias Koch.
Die Europäer haben alles versucht mit Wladimir Putin. Sie haben mit ihm an langen Tischen gesessen wie zuletzt Olaf Scholz. Sie haben mit ihm lange Telefongespräche geführt wie zuletzt Emmanuel Macron.Es hat alles nichts geholfen. Denn der russische Präsident ist, wie sich nun zeigt, für all diese Dinge schon nicht mehr erreichbar. Im Grunde möchte er auch nicht gestört werden durch aufregte westliche Politiker und ihr tagespolitisches Blabla. Denn er ist gerade dabei, etwas Historisches, aus seiner Sicht ganz Wunderbares zu erschaffen: ein neues Großrussland.>> Lesen Sie hier alle Entwicklungen in der Ukraine im Newsblog.
Wann, wenn nicht jetzt? Im Oktober wird er 70, er muss sich beeilen. Der Zeitpunkt ist günstig. Amerika ist gespalten wie nie, Westeuropa schwach, beide sind gefangen in einer nun schon zwei Jahre dauernden Corona-Nabelschau.
Herbeifantasierte historische Argumente
Zudem blickt Putin stolz auf einige nagelneue Waffen, von Luftabwehrsystemen bis zu Überschallraketen, die ihm im Augenblick gerade eine relativ große Schlagkraft geben. Diese Konstellation wird allenfalls ein paar Jahre anhalten, dann kommt mit künstlicher Intelligenz und Quantencomputern ein neuer Technologieschub, bei dem Russland vielleicht nicht mehr mithalten kann. Deshalb muss es jetzt gewagt werden und nicht irgendwann: Fakten schaffen mit russischen Waffen.
Karte: Das umkämpfte Gebiet in der Ostukraine
Zu Putins neuem Reich soll natürlich auch die Ukraine gehören. Am Montagabend betonte Putin erneut, die Ukraine sei eigentlich gar kein richtiges Land, sondern ein Gebilde, das von der Sowjetunion geschaffen wurde. Also darf er, der das traditionsreiche Russland verkörpert, getrost nach ukrainischen Territorien greifen und Panzer durch sie hindurch rollen lassen.
Westliche Hirne können da oft gar nicht wechseln. Aber der Mann im Kreml nimmt seine wichtigsten heute wirksamen Argumente nicht aus der Gegenwart, er fantasiert sie herbei mit Blick in die Geschichte. Dass er am Montag Kiew als „Mutter aller russischen Städte“ bezeichnete, ist ein furchtbares Warnsignal für die dort lebenden knapp drei Millionen Menschen. Denn was liegt für Russland näher, als die „Mutter“ endlich heimzuholen? Mehr als 160.000 Soldaten, mit großen Feldlazaretten und frisch herangeschafften Blutkonserven, stehen bereit, diesen Auftrag auszuführen.
Ein Denken, das frösteln lässt
Putins Machtstreben endet nicht im Donbass, wie viele jetzt hoffen werden. Es endet auch nicht an den Grenzen der Ukraine. Er wird selbstverständlich auch nach Belarus greifen, wo noch im Jahr 2020 eine mutige Freiheitsbewegung auf die Straße ging. Vielleicht fügt er seinem neuen Reich auch Kasachstan hinzu, warum nicht? Auch dort gibt es ja eine russische Minderheit, die natürlich bedroht ist und die Moskau dringend schützen muss.
Die Nato kann froh sein, wenn es ihr gelingt, wenigstens ein Übergreifen dieses Wahnsinns auf ihr eigenes Territorium, etwa im Baltikum, zu verhindern. Was wollen wir tun, wenn Putins Panzer irgendwann auch nach Estland, Lettland und Litauen rollen, selbstverständlich nur zum Schutz der dort lebenden Russen, als „peacekeeper“?
Die Linken müssen aufhören, Putin zu verklären
Wer alles zu Ende denkt, fröstelt. Dass Rechtsextreme Putin huldigen, ist logisch. Zumindest die Linken aber sollten endlich aufhören, ihn zu verklären und seine zynischen Maskeraden mitzumachen. Putin erhebt einen völkisch definierten und deshalb im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlosen Machtanspruch.
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Er plant die Ausdehnung der russischen Autokratie mit dem Ziel, auch jenseits ihres bisherigen Territoriums die Herrschaft des Rechts zu ersetzen durch das Recht des Stärkeren. Auf diese Art glaubt er, eine Demokratiebewegung, wie es sie in der Ukraine und in Belarus gegeben hat, rechtzeitig stoppen zu können, bevor sie womöglich auf Russland übergreift. Hier, nicht in der Nato-Osterweiterung von 1999 und 2004, liegt die Ursache seiner inneren Unruhe.
Putins Vorgehen ist ein gefährlicher Anschlag: auf die Freiheit, auf das Völkerrecht, auf Europa, auf das Leben, wie wir es bis zum heutigen 22.02.2022 kannten. Der Kontinent erlebt jetzt seine dunkelsten Stunden seit dem Zweiten Weltkrieg. (RND)