Armin Laschet beginnt diesen Tag der Zäsur in seinem politischen Leben demonstrativ gelassen. Zufrieden wirkt der Parteichef, als er am Montagmorgen in der CDU-Zentrale in Berlin ankommt. Der Vortag mit der offiziellen Kampfansage von CSU-Chef Markus Söder im Ringen um die Kanzlerkandidatur hat seine berühmt-berüchtigte Leidensfähigkeit auf den Prüfstand gestellt. Aber der Vorabend hat ihm Sicherheit gegeben. Und Kraft, die nächste Hürde zu nehmen.
Es sind nur ein paar Stunden vergangen, seitdem sich Laschet im kleinen Kreis mit den fünf anderen christdemokratischen Ministerpräsidenten und seinem Tandem-Partner, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, in der hessischen Landesvertretung in der Hauptstadt getroffen hat. Der hessische Regierungschef und CDU-Vize Volker Bouffier analysierte dort, warum Laschet und nicht der unionsinterne Rivale aus Bayern Kanzlerkandidat werden müsse. Bouffiers Wort hat Gewicht in der CDU.
Allen Beteiligten in der Runde ist bewusst: Wenn Präsidium und Bundesvorstand ihrem Parteichef die klare Unterstützung verweigern, kann die CDU sich mal wieder einen neuen Vorsitzenden suchen - den dritten in den knapp drei Jahren seit dem Rückzug von Angela Merkel von diesem Amt. 18 Jahre hat sie diese Position davor inne gehabt.
Nicht nur die politischen Qualitäten zählen
Es mag nicht sehr schmeichelhaft für den 60-jährigen Nordrhein-Westfalen sein, dass das Wohl der Partei und nicht ausschließlich seine politischen Qualitäten für die Gefolgschaft zählen. Aber Hauptsache die eigenen Gremien wackeln nicht. Zur Sicherheit trommelt Laschet sie in Präsenz zusammen, eine Ausnahme nach monatelangen Videokonferenzen.
Laschet lässt seine Limousine einige Meter entfernt vom Eingang des Konrad-Adenauer-Hauses halten – genug Zeit, um sein Eintreffen zu filmen. Anders als am Vortag auf dem Weg zur Sitzung des Geschäftsführenden Fraktionsvorstands wählt er diesmal den Vordereingang. An den Mikrophonen zieht er aber wortlos vorüber. Reden sollen bis zur Pressekonferenz um kurz nach 14 Uhr andere.
Vize-CDU-Chefin Julia Klöckner zum Beispiel. Laschet regiere das bevölkerungsreichste Bundesland und könne gut integrieren. Die Bundeslandwirtschaftsministerin drängt fröhlich. „Da muss ein Knopf dran gemacht werden.“ Denn: „Wer nicht handelt, wird behandelt.“ Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans wird vor der für 9 Uhr angesetzten Präsidiumssitzung noch deutlicher: Es sei doch klar, dass sich dieses hohe Parteigremium hinter Laschet stellen werde.
Nur die Berliner marschieren an diesem Morgen in die andere Richtung. Söder sei der „zupackende, erfolgreiche Krisenmanager“, der das Land am besten führen könne, sagt der Vorsitzende der Hauptstadt-CDU, Kai Wegner. Sein Landesverband allerdings, seit Jahren beschäftigt mit innerparteilichen Streitereien und wie festgetackert in der Opposition, führt in der Partei eher eine Randexistenz.
Auf Parteitagen stellt er von 1001 Delegierten genau 32. Noch weniger, nämlich die Hälfte, hat der Verband in Hamburg. Dessen Vorsitzender Christopher Ploß gilt ebenfalls als Söder-Unterstützer. Wenn das alles ist an Gegenwind, pustet Laschet das weg.
Da schmerzt das CDU-Herz
Es dauert nicht lange, da kommen die ersten Botschaften aus dem Präsidium: „Einhellig“, „breit“, „eindeutig positiv“ sei der Zuspruch für Laschet. Mit ihm als Kanzlerkandidat solle die Union in den Bundestagswahlkampf ziehen. Mehrere Teilnehmer hätten darauf gepocht, dass die aktuellen Umfragen - sie sind schlecht für Laschet und gut für Söder - nicht entscheidend seien.
Dabei schmerzt das CDU-Herz, was das RTL/ntv-Trendbarometer gerade verbreitet hat: Auf die Frage des Meinungsforschungsinstituts Forsa, welche Person des öffentlichen Lebens Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin werden sollte, nannten 36 Prozent der Befragten Markus Söder, fünf Prozent den bei der CDU-Vorsitzendenwahl im Januar unterlegenen Friedrich Merz und drei Prozent Armin Laschet.
Bouffier sagt nach der Sitzung, das Präsidium habe deutlich gemacht, “dass wir ihn für außergewöhnlich geeignet halten“. Er müsse nun mit Söder gemeinsam den weiteren Weg besprechen, „wie wir das machen“. Schließlich sei das Meinungsbild in dem CDU-Präsidium noch kein Beschluss. Auch im anschließend tagenden CDU-Vorstand spricht sich nach RND-Informationen niemand für Söder aus.
Selbst Kai Wegner habe nur daran erinnert, dass Söder viele Fans an der Parteibasis habe - ohne allerdings ausdrücklich dessen Kandidatur zu fordern. Ein anderes Vorstandsmitglied berichtet später, die Stimmung an der Basis sei das komplette Gegenteil vom Meinungsbild in den Spitzengremien, aber es habe keiner nach der glücklos abgetretenen Annegret Kramp-Karrenbauer gleich den nächsten Vorsitzenden anzählen wollen.
Die Junge Union lässt ihre Haltung offen. Der Chef der Nachwuchsorganisation von CDU und CSU, Tilman Kuban, kann sich nicht für einen von beiden aussprechen ohne die Anhänger des Anderen in der eigenen Organisation zu düpieren. Aber er sagt im CDU-Vorstand nach RND-Informationen, über die Kanzlerkandidatur müsse in den nächsten zwei bis drei Tagen entschieden werden: „Armin braucht dafür heute ein starkes Verhandlungsmandat und ob er dann am Ende antritt oder es Markus Söder überlässt, entscheidet nur er ganz alleine.“
Gewagte Metapher in der CSU
Derweil reagieren Christsoziale auf die Botschaften von der CDU: Die CSU stehe „selbstverständlich geschlossen“ hinter Markus Söder, twittert etwa Landtagspräsidentin Ilse Aigner. „Er wäre ein hervorragender #Kanzlerkandidat. Mit ihm hätte die Union beste Chancen, stärkste Kraft in Deutschland zu bleiben & den nächsten Kanzler zu stellen.“
Der stellvertretende CSU-Generalsekretär Florian Hahn versucht es mit einer gewagten Metapher: „Nürnberger - die beste Wahl heute in der Bundestagskantine“, twittert er, garniert mit einem Foto der gleichnamigen kleinen Würstchen.
Die Begeisterung, für einen Kanzlerkandidaten Laschet Wahlkampf zu machen, wäre in der CSU unterdurchschnittlich, vermutet ein CSU-Politiker. In ihren Reihen gibt es aber auch die, die ihm Respekt zollen dafür, wie er sich gegen Merz durchgesetzt hat und wie er das große NRW regiere, und zwar mit sehr knapper Mehrheit und dennoch sehr stabil.
Auf Umfragewerte müsse man nicht so viel geben, heißt es auch auf dieser Seite. Als Beleg, dass diese eben keine Ergebnisse seien, wird als Beispiel Jens Spahn angeführt: Der habe vor kurzem noch als möglicher Kanzlerkandidat gegolten und sei jetzt nicht sehr gelitten.
In seiner Pressekonferenz sagt Laschet das selbst. Umfragen könnten sich in kürzester Zeit verändern. Und wenn sich Deutschland in großen Fragen von Umfragen hätte leiten lassen, hätte es keine Westintegration gegeben und auch keine Nachrüstung. Laschet geht hoch ran.
CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak begründet, warum die CDU-Gremien für Laschet seien. Bei der Kanzlerkandidatur gehe es um die Fähigkeit zu führen, zusammenzuführen und auch ein Team anzuführen. Es gehe um die Modernisierung des Landes und um die Integrationskraft für die Partei und für die gesamte Gesellschaft. All das verkörpere am besten Armin Laschet. Darin stecken einige Spitzen gegen Söder. Integrieren, Kompromisse schließen und sich daran halten - das sehen sie bei Söder schlecht ausgeprägt.
Laschet blickt nach vorn
Laschet nutzt den Auftritt im Konrad-Adenauer-Haus für einen programmatischen Aufschlag und den Blick nach vorn - für die Zeit nach der Pandemie. Die Finanzen müssten saniert, Ökologie und Ökonomie zusammengebracht, die Wirtschaft müsse wieder aufgebaut, der Klimawandel gestoppt, die kulturelle und die soziale Lage im Land gestärkt werden. Besser, schneller und effektiver müsse Deutschland werden. Er warnt vor der AfD und wirbt um die Stimmen von „Millionen Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte“. Und er erklärt wie selbstverständlich, dass sein Verständnis vom Amt des Bundeskanzlers europäisch sei.
Wann er sich mit Söder austauschen wolle? Noch am Montag, antwortet Laschet. Beziehungsweise sehr bald. Die Unions-Bundestagsfraktion, in der manche aus CDU und CSU noch diskutieren wollen, habe jedenfalls an diesem Dienstag mit der Corona-Pandemie genug anderes zu tun.
„Heute ist nicht der Tag der Entscheidung“
Das sieht die CSU anders. Sie schaltet sich am Nachmittag per Videokonferenz zusammen. Schnell plädiert sie für eine Verhandlungsdelegation: „Wir starten einen Prozess“, heißt es aus der CSU-Spitze. Wichtig sei auch die Diskussion an diesem Dienstag in der Bundestagsfraktion. „Heute ist nicht der Tag der Entscheidung“, sagt ein Führungsmitglied. Das deutet nicht auf einen baldigen Unionsfrieden hin.
Und der CSU-Fraktionschef im Landtag, Thomas Kreuzer, fordert eine Mitgliederbefragung. Wenn die CSU hier einschlägt, würde sich der Entscheidungsprozess wohl noch eine ganze Weile hinziehen.
Einige in der CSU analysieren die Lage unterdessen sehr kühl. Söder hätte Laschet als Kanzlerkandidat auch vorschlagen können, als er gemerkt habe, dass er sich nicht durchsetzen könne, sagt einer. Er gehört offenkundig nicht zum Söder-Fan-Lager. „Aber er hat den Kopf aus der Schlinge gezogen und der CDU die alleinige Verantwortung zugeschoben. Damit kann er sich jetzt als Opfer der Umstände darstellen. Das ist sehr raffiniert.“