Masken, Schulschließung, KontaktverboteWie wirksam waren Deutschlands Corona-Regeln?
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Wie wirksam waren Maskenpflicht, Schulschließungen und Ausgangssperren?
Dazu wird Ende dieser Woche ein Gutachten von Sachverständigen erwartet.
Ein eindeutiges, endgültiges Urteil ist davon aber nicht zu erwarten – so wie es sich die Politik wünscht. Wieso ist das so?
Berlin/Köln – Großes wird erwartet von der Kommission der Sachverständigen. Bundesregierung und Bundestag haben das Gremium mit 18 Fachleuten aus den Bereichen Jura, Medizin und Wissenschaft zusammengetrommelt, damit sie die Corona-Maßnahmen bewerten. Ende Juni, an diesem Freitag, wird der mit Spannung erwartete Bericht vorgelegt.Wie wirksam waren rückblickend Maskenpflicht, Homeoffice, Schulschließungen, Kontaktverbote, Ausgangssperren? Wie viele Menschenleben wurden damit gerettet? Mitten in der Corona-Krise, als die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ galt? Von dem Bericht hängt das weitere politische Vorgehen zum Umgang mit dem Virus ab.
Vor allem die FDP hatte deutlich gemacht, Verhandlungen über Corona-Regeln im Herbst an die Ergebnisse knüpfen zu wollen. Der Anspruch ist hoch. „Die Evaluation soll „interdisziplinär erfolgen“ und „insbesondere auf Basis epidemiologischer und medizinischer Erkenntnisse“, betont das Bundesgesundheitsministerium. Wer aber darauf hofft, dass die Frage nach den richtigen Maßnahmen mit dem Bericht der Experten und Expertinnen ein für alle mal geklärt wird, dürfte wahrscheinlich enttäuscht werden.
Corona-Maßnahmen: Das Problem mit der Kontrollgruppe
Das räumte der Kommissionsleiter der Sachverständigen, Stefan Huster, bereits selbst ein. „Wer eine Liste mit einem Plus oder einem Minus hinter allen einzelnen Maßnahmen für ‚wirksam‘ oder ‚nicht wirksam‘ erwartet, der wird enttäuscht sein“, sagte der Rechtsphilosoph von der Ruhr-Universität Bochum Mitte Juni dem „Spiegel“. Bei einigen Maßnahmen reiche die Datenlage schlicht nicht aus, um ihre Wirksamkeit definitiv nachzuweisen. „Sie aber deshalb als unwirksam zu verdammen, wäre auch verkürzt“, machte er deutlich. In einigen Bereichen sei die Studienlage eindeutig, in vielen anderen gebe es aber sehr unterschiedliche Ergebnissen zu den Aus- und Nebenwirkungen der Maßnahmen.
Hätte man es also von Anfang an besser machen können, mit mehr Studien im Land? Es ist ein Vorwurf, der in der Pandemie immer wieder aufkam: In Deutschland werden zu wenig Daten erhoben. Diese mitten in einer Notlage mit guter Grundlage zu generieren, ist aber gar nicht so einfach. „Um wissenschaftlich zu belegen, was einzelne Maßnahmen konkret bringen, braucht es eigentlich immer eine Kontrollgruppe“, erklärt Corona-Experte und Immunologe Carsten Watzl. „Wir werden niemals eindeutig sagen können: Durch das Tragen von Masken haben wir im Jahr 2021 so und so viele Millionen Infektionen und Todesfälle verhindert.“
Was er damit meint? Am Beispiel der Maskenpflicht lässt sich das erklären: Es bräuchte dann quasi ein Deutschland, in dem alle eine Maske tragen. Und ein Deutschland, in dem konsequent niemand Maske trägt. Beide Settings müsste man direkt miteinander vergleichen. Also schauen, wie sich die Corona-Lage zeitgleich an beiden Orten mit der gleichen Anzahl an Menschen unter ähnlichen Voraussetzungen entwickelt hat. „So etwas haben wir aber nicht. Man kann ja nicht einfach mitten in der akuten Krise sagen: Lasst uns in dieser Region mal keine Maske tragen, in der anderen aber doch“, betont der an der Universität Dortmund ansässige Wissenschaftler.
Im Ausland hat man so etwas zwar tatsächlich gemacht. Es gibt Watzl zufolge beispielsweise einzelne Studien in Indonesien, wo Forschende tatsächlich in zwei abgelegene Dörfer gegangen sind. Das eine haben sie dazu angehalten, Maske zu tragen, das andere, es sein zu lassen. „Da kann man dann natürlich zeigen, dass im Dorf, wo Maske getragen wurde, weniger Corona-Infektionen stattfanden“, berichtet der Forscher. „Aber auch das kann man nicht einfach so auf Deutschland übertragen, weil es hier wieder andere Grundvoraussetzungen gibt.“
Welche Daten braucht es eigentlich genau? Es gibt Grenzen der Wissenschaft
Dass Studien dazu, wie gut einzelne Maßnahmen in der Pandemie gewirkt haben, schwer zu konzipieren sind, zeigt nicht nur das Problem mit dem Studiendesign generell. Noch einmal das Beispiel Maskenpflicht: Misst man den Selbstschutz – also wie viel weniger wahrscheinlicher war es, selbst Viren einzuatmen? Oder berücksichtigt auch den Fremdschutz – also wie stark verringerten infizierte Personen das Risiko, Viren auf andere zu übertragen? Zudem ist Maske nicht gleich Maske: Manche trugen FFP2, manche OP-Masken, teils unterschiedlicher Qualität. Und nicht jeder hatte die Maske so im Gesicht platziert, wie es empfohlen wird. Die Realität messbar zu machen, das ist kompliziert. Und deshalb ist Studie auch nicht gleich Studie.
Eine Pandemie sei ein Notfall, machte auch der Charité-Virologe Christian Drosten in einem Spiegel-Interview Ende Juni deutlich. „Wer Studien nur akzeptiert, wenn es eine richtige Kontrollgruppe gibt, wird anerkennen müssen, dass er sich da in einer Pandemie zu viel wünscht.“ Es sei an der Realität vorbei und „auch mit Blick auf die von einer Pandemie ausgehenden gesundheitlichen Gefahren unethisch, in so einer Notsituation eine Kontrollstudie zu verlangen.“ Drosten sollte eigentlich auch einer der Sachverständigen im Gremium sein. Ende April verließ er das Gremium allerdings, kritisierte unter anderem die Zusammensetzung der Kommission, die Ausstattung und die Arbeitsweise. Ersetzt wurde er Anfang Juni schließlich vom Virologen Klaus Stöhr.
Den Sachverständigen bleibt deshalb nur übrig, auf anderen Wegen Belege zusammenzutragen. Diese sind dann methodisch schwächer als Kontrollstudien, haben aber auch eine Aussagekraft, wenn es darum geht, ob Maßnahmen wirken. So konnten beispielsweise zahlreiche Laboruntersuchungen eindeutig zeigen, dass beim Maske tragen grundsätzlich weniger Tröpfchen und Aerosole in die Luft gelangen und von anderen eingeatmet werden. „Es ist wissenschaftlich also klar bewiesen, dass das Tragen von Masken Infektionen verhindert“, sagt auch Watzl. Wie viele Infektionen in welchem Zeitraum wo in Deutschland in absoluten Zahlen verhindert wurden, als die Maskenpflicht galt - das ist hingegen nur sehr schwer messbar.
Sommer, Herbst, Winter: Der Corona-Fahrplan fehlt
Bleibt am Ende also die Frage, wie einzelne Teile des Berichts der Sachverständigen am Ende politisch gedeutet und für eigene Interessen genutzt wird. Dabei werden die Empfehlungen der Sachverständigen aller Voraussicht nach eher auf die grundsätzlichen Strukturen der Pandemiebekämpfung abzielen. „Wir werden keine Vorlage liefern, was die Politik im Herbst machen muss“, kündigte Kommissionsleiter Huster bereits an. „Wir stellen eher Fragen wie: Was sind gute Risikokommunikation, Datenmanagement und Begleitforschung?“ Es werde unter anderem auch eine grundlegende Reform des Infektionsschutzgesetzes vorgeschlagen.
Das sind also sehr wahrscheinlich Empfehlungen, die auf ein langfristiges Umdenken abzielen. Und deshalb haben Fachleute Sorge, dass Bundestag und Bundesregierung momentan wertvolle Zeit verstreichen lassen, indem sie sich darauf berufen, dass der Bericht noch nicht da ist. So kritisierte etwa Weltärztebund-Chef Frank Ulrich Montgomery das Abwarten der Ampel bei der Anpassung des Infektionsschutzgesetzes.
Die Kommission werde die Politik nicht aus der Verantwortung entlassen, „die Maßnahmen zu beschließen, die wir zu einer effektiven Bekämpfung der nächsten Herbst- und Winterwelle brauchen“, sagte er dem RND. Wenn die Wellen wieder über uns zusammenbrächen, fehle die Zeit, langwierige Grundsatzdiskussionen zu führen. Dann müsse schnell gehandelt werden können.