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Nach Kölner SilvesternachtWas hat die Verschärfung des Sexualstrafrechts gebracht?

Lesezeit 4 Minuten

Diese Frau war ein Opfer der Silvesternacht 2015 am Hauptbahnhof.

Berlin/Köln – „Nein heißt Nein“ – einstimmig beschloss der Deutsche Bundestag am 7. Juli 2016 eine Verschärfung des Sexualstrafrechts auf diesem Grundsatz. Unter dem Eindruck der Kölner Silvesternacht 2015 hatte das Thema an Dringlichkeit gewonnen. Damals kam es rund um den Kölner Hauptbahnhof zu massenhaften sexuellen Übergriffen auf Frauen. Mehr als 650 von ihnen hatten danach Strafanzeigen wegen sexueller Belästigung gestellt.

Seit der Gesetzesänderung vor sechs Jahren sind sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen der betroffenen Person strafbar – beispielsweise, wenn die Person weint oder „Nein“ sagt. Von einem Paradigmenwechsel war die Rede.

Gewalt gegen Frauen nimmt weiter zu

Doch ob die Verschärfung des Sexualstrafrechts wirklich zur Verbesserung der Situation der Betroffenen beigetragen hat, ist selbst Jahre später noch unklar. „Es ist 2022 und wir haben immer noch keine Evaluation darüber, ob es etwas gebracht hat, was der Bundestag damals gemacht hat“, sagt Christian Pfeiffer, der zu Deutschlands renommiertesten Kriminologen zählt und jahrelang das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen leitete.

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Seine Untersuchungen zu Gewalt gegen Frauen hatten unter anderem Einfluss auf das Verbot von Vergewaltigung in der Ehe 1997. Pfeiffer hatte damals herausgestellt, dass das größte Risiko für eine Frau, vergewaltigt zu werden, von ihrem Ehemann ausging. „Wir sehen auch heute, dass die Zahl der so genannten Sittenstrolche, die Frauen nachts im Park überfallen, abnimmt. Stattdessen nimmt die Gewalt gegen Frauen in Partnerschaften weiter zu“, so Pfeiffer.

2021 wurden 9903 Fälle von Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen in Deutschland registriert, wie das Bundeskriminalamt (BKA) dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Redaktionsnetzwerk Deutschland) mitteilte. Der Straftatbestand der Vergewaltigung macht davon 9238 Fälle aus. Die Zahl an angezeigten Sexualdelikten steigt seit Jahren nur leicht, aber stetig. Einen Ausreißer gab es 2017, unmittelbar nach der neuen Gesetzeslage: Hier wurden 11 282 Fälle registriert. Vergleichbar mit den Zahlen vor der Gesetzesänderung sei das nicht, betont das BKA. Es wurden „bisherige Straftatbestände verändert und neue Straftatbestände geschaffen.“

„Nein heißt Nein“-Grundsatz

Darüber, wie die Verankerung des „Nein heißt Nein“-Grundsatzes im Gesetz sich auswirkt, vermag Kriminologe Pfeiffer kein Urteil zu bilden. Denn: Es wurden keine entsprechenden Untersuchungen in Auftrag gegeben. „Ich weiß nicht, ob die Leute im Bundestag gepennt haben, oder ob es ihnen zu heikel ist. Das ist sehr ärgerlich. So wissen wir nicht, wie effektiv „Nein heißt Nein„ wirklich ist.“

Nötig sei eine umfassende Dunkelfeldstudie darüber, wie viele Vergewaltigungen stattfinden, wie viele davon angezeigt werden, und was nach der Anzeige geschieht. Obwohl die Anzeigebereitschaft steige, sei Zahl der Verurteilungen pro 100 angezeigter Fälle um ein Drittel rückläufig.

Weitere Verschärfung nicht ausgeschlossen

Zurückhaltend bewertet auch die Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ die Verschärfung des Sexualstrafrechts in der Rückschau. „Die Reform des Sexualstrafrechts hat zumindest im Bereich der sexuellen Belästigung zu einer Verbesserung der Situation geführt“, sagt Yamina Lourghi, Referentin für häusliche und sexualisierte Gewalt bei „Terre des Femmes“. „Sexuelle Belästigung war zuvor kein Straftatbestand. Im Jahr 2019 gab es hierzu 1519 Verurteilungen. Diese Täter wären vor der Neuerung des Gesetzes vermutlich straffrei geblieben“, so Lourghi.

Aus Sicht der Organisation sind allerdings noch viele weitere Schritte notwendig, um Betroffene sexualisierter Gewalt zu unterstützen. Es brauche die Möglichkeit einer anonymen Spurensicherung, abseits der Anzeige bei der Polizei, psychosoziale Prozessbegleitungen für Betroffene, Schulungen für Polizei, Staatsanwaltschaft und sowie Richterschaft im Umgang mit betroffenen Frauen und Mädchen.

Auch eine weitere Verschärfung des Sexualstrafrechts schließt Lourghi nicht aus. In Spanien fand Ende Mai der Grundsatz „Ja heißt Ja“ Eingang ins Gesetz. Das heißt, vor dem Sex muss es künftig die ausdrückliche Zustimmung aller Beteiligten geben.

„Der Blick nach Spanien zeigt, welche politischen Reformen nötig und möglich sind“, sagt Lourghi. „Da wir in Deutschland einen signifikanten und konstanten Anstieg von Gewalt gegen Frauen verzeichnen, werden wir nicht drumherum kommen uns langfristig auch mit „Nur ja heißt ja“ zu befassen. Wir müssen einen gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit sexualisierter Gewalt herbeiführen. Eine aktive Zustimmung für sexuelle Kontakte ist ein wichtiger Schritt.“