Berlin – Nord Stream 2: Der Name der Erdgaspipeline, über die so viel gestritten wird, ist inzwischen weltweit ein Begriff. Das hängt auch damit zusammen, dass im Zuge des Russland-Ukraine-Konflikts immer wieder über die Stilllegung der fertig gebauten, aber bislang nicht in Betrieb gegangenen Pipeline zwischen Russland und Deutschland diskutiert wird.
Dass die Doppelröhre auf dem Ostseegrund dem russischen Energiekonzern Gazprom zuzuordnen ist, ist mittlerweile bekannt. Aber wer ist an dem Projekt noch beteiligt? Wer verdient Geld, wenn die Pipeline in Betrieb geht? Und wer verliert welches, wenn das nicht geschieht? Welche Druckmittel haben die Amerikaner, und welche die Bundesregierung? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Wer ist an der Pipeline beteiligt?
Um die Ostseepipeline zu planen, zu bauen und später zu betreiben, hat Gazprom im Jahr 2015 die Projektgesellschaft Nord Stream 2 AG mit Sitz in Zug in der Schweiz gegründet. Ursprünglich waren die fünf europäischen Energiekonzerne Engie (Frankreich), Shell (Großbritannien), OMV (Österreich) sowie Wintershall DEA und Uniper (beide Deutschland) Teil des Pipeline-Konsortiums. Nach einer Beschwerde Polens bei der EU stiegen diese Firmen jedoch aus, blieben aber als Geldgeber in dem Projekt.
Bei einem Gesamtvolumen von rund 10 Milliarden Euro teilen sich Gazprom (5 Milliarden) und diese fünf Firmen (mit je einer Milliarde) jeweils die Hälfte der Kosten des Projektes.
Belastet das Hickhack um die Pipeline die europäischen Investoren?
Die genauen Verträge sind nicht öffentlich, aber Experten gehen davon aus, dass die Energiekonzerne wie Finanzinvestoren fungieren: Sie haben Kapital für den Bau der Pipeline zur Verfügung gestellt und verdienen nun an den Zinsen. Mutmaßlich muss Gazprom Zins und Tilgung überweisen, seitdem das Geld bereitgestellt ist.
Das Risiko für zusätzliche Kosten durch Bauverzögerungen wie etwa durch die amerikanischen Sanktionen ab 2019 gegen beteiligte Baufirmen oder das langwierige Zertifizierungsverfahren durch die Bundesnetzagentur läge demnach bei Gazprom. Der russische Konzern müsste Kredite bedienen, obwohl noch keine Erträge vorhanden sind.
Wer wäre von einem Aus der Pipeline betroffen?
Bei einer Stilllegung der Pipeline gehen Experten davon aus, dass sowohl Gazprom als auch die anderen fünf Unternehmen ihre Milliarden als „uneinbringbar“ abschreiben müssten. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Unternehmen sich das nicht gefallen lassen und sich mit Schadensersatzklagen nach dem Vorbild der Atomindustrie wehren würden. Solche Verfahren können allerdings dauern. Die Atomkonzerne RWE, Vattenfall, Eon/Preussenelektra und EnBW hatten sich 2021 nach einem jahrelangen Rechtsstreit mit der Bundesregierung auf einen Ausgleichszahlung in Höhe von zusammen 2,4 Milliarden Euro geeinigt, um sie für entgangene Gewinne und getätigte Investitionen wegen des vorzeitigen Ausstiegs aus der Kernenergie zu entschädigen.
Können die USA Nord Stream 2 auch ohne deutsche Unterstützung stilllegen?
Während des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz in Washington, sagte US-Präsident Joe Biden bei einer gemeinsamen Pressekonferenz, wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben. „We will bring an end to it“, sagte Biden, ohne zu verraten, wie das gehen soll.
Insider sind sich einig, dass das bei Achtung von Recht und Gesetz gar nicht möglich ist. Völkerrechtler verweisen darauf, dass der entscheidende juristische Hebel beim Energierecht der EU liegt. Die USA haben auf dessen Interpretation und Anwendung keinen Zugriff. Auf welchem Wege Biden seine selbstbewusst vorgetragene Erklärung realisieren will, kann man nur vermuten: entweder müsste die Pipeline mit Gewalt zerstört werden oder der politische Druck auf Deutschland müsste so stark sein, dass die Bundesregierung die Pipeline stilllegt.
Kann die Bundesregierung die Pipeline einfach so beerdigen?
Auch das ist heikel, denn eigentlich kann die Regierung nicht in das rechtliche Verfahren zur Zertifizierung der Pipeline durch die Bundesnetzagentur eingreifen. Man müsste das Ganze wohl als ein Art Strafmaßnahme deklarieren und mit einer Enteignung und Entschädigung verbinden, mutmaßen Rechtsexperten.
Das könnte nun geschehen: Die Bundesregierung hat die Zertifizierung von Nord Stream 2 vorerst gestoppt. Das sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). „Ohne diese Zertifizierung kann Nord Stream 2 nicht in den Betrieb gehen“, sagte Scholz. Hintergrund ist der eskalierende Russland-Ukraine-Konflikt. „Die zuständige Abteilung des Bundeswirtschaftsministerium wird eine neue Bewetterung der Sicherheit unserer Versorgung unter Berücksichtigung dessen vornehmen, was sich in den vergangen Tagen verändert hat.“ Es sei wichtig, eine weitere Katastrophe zu verhindern.
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Gazprom hat sich bisher nach Kräften bemüht, den Regulierern keine Angriffsflächen zu bieten. So hat der Konzern am Standort Schwerin ein deutsches Tochterunternehmen gegründet, die Gas for Europe GmbH. Damit soll die von der Bundesnetzagentur geforderte Umsetzung der EU-Gas-Richtlinie erfüllt werden, wonach Gaslieferant und Pipelinebetreiber nicht identisch sein dürfen und Dritte Zugang erhalten müssen.
Gas for Europe wird Eigentümerin und Betreiberin des deutschen Teils der Pipeline. Dazu gehört der rund 54 Kilometer lange Leitungsabschnitt in deutschen Territorialgewässern sowie die Anlandestation in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern.