Vom Rücksitz eines Fahrzeugs aus lernt ein Kind nicht, sicher am Straßenverkehr teilzunehmen.
ÜberbehütungRaus aus dem Elterntaxi – Habt mehr Vertrauen in die Kinder!
Das ist schon eine erstaunliche Zahl: Jedes vierte Grundschulkind wird von den Eltern zur Schule chauffiert. Im Herbst und Winter sind es sogar 28 Prozent. Das meldet der ADAC. Die Gründe: Zeitersparnis, mieses Wetter – oder die Schule liegt sowieso auf dem Weg zur Arbeit. Die Folge: automobile Rudelbildung vor dem Schultor, blockierte Bushaltestellen, gefährliche Park-Stunts, Nerv und Streit.
Beim hochemotionalen Thema Elterntaxi kollidiert die Vernunft mit drei sehr mächtigen Gegenkräften: Bequemlichkeit, Gewohnheit und der subjektiven Sorge um die Sicherheit. Tatsächlich wurden im vergangenen Jahr 27.000 Kinder im Straßenverkehr verletzt, häufig beim Fahrradfahren – und besonders oft morgens an Werktagen. Aber: Die meisten im Straßenverkehr getöteten Kinder verloren ihr Leben als Mitfahrer in einem Pkw.
Natürlich wohnt nicht jede Familie fußläufig zur Grundschule. Aber Kinder können nur lernen, sicher am Straßenverkehr teilzunehmen, wenn sie genau das tun: teilnehmen. Stattdessen wird das Problem der Elterntaxischwemme immer größer. 2022 wurden nach einer Umfrage noch 17 Prozent der Schüler zur Schule chauffiert. Und das liegt nicht etwa daran, dass weniger Familien in Schulnähe wohnen als früher.
Es ist ein Symptom für viel tiefer sitzende Phänomene: Es geht nicht nur um ein fragiler gewordenes Sicherheitsempfinden und wachsende Angst, sondern vor allem um nachlassendes Vertrauen in die Fähigkeiten der eigenen Kinder. Ein überbehütetes Kind auf dem Rücksitz eines Autos freilich wird nicht lernen, auf sich aufzupassen. Es lernt nur, dass ständig jemand anderes aufpasst. Ein allzu überdrehter Beschützerinstinkt verhindert die Selbstständigkeit.
Menschen sind morgens etwas dickfelliger
Und man kann nicht oft genug daran erinnern: Wer sein Kind ohne Not in der Schutzpanzerung im SUV zur Schule bringt, mag zwar dessen Sicherheit erhöhen – gefährdet vor der Schule aber die Sicherheit der anderen Kinder. Es genügt jedoch nicht, bunte Schilder aufzustellen („Ab hier schaffe ich es alleine!“) und breitschultrig vorfahrenden SUV-Piloten Giftblicke zuzuwerfen. Das wird wenig nützen, denn Menschen ist früh am Morgen vor dem zweiten Kaffee eine gewisse Dickfelligkeit eigen.
Schulbehörden und Kommunen können mehr tun: Busfahrpläne harmonieren oft erstaunlich wenig mit Schulzeiten, Fußwege sind zu eng, Fahrradwege zu selten, gekennzeichnete Treffpunkte für kleine Fußgänger selten, organisierte „Zu-Fuß-Busse“ (eine großartige Idee, bei der die Kindergruppe Bus spielt) kaum existent. Da geht mehr. Mal abgesehen davon, dass der morgendliche Zeitdruck geringer wäre, wenn die Schule vernünftigerweise endlich um 8.30 Uhr beginnen würde, wie Fachleute das seit Jahrzehnten fordern – und regelmäßig an dem Argument zerschellen, die Busse führen nun mal anders und der Job beginne früh. Das widerspricht dem Interesse der Kinder.
Ein gemeinsamer Schulweg (ob im Bus, mit dem Rad oder zu Fuß) stärkt Bindungen, stiftet Freundschaften, lehrt Motorik und Reaktionsvermögen und ist ein wirksames Sozialtraining. Die Potsdamer Polizei erinnert in einer Broschüre an den Zauber dieser Zeit: „Erinnern Sie sich noch an Ihren Schulweg?“, heißt es da. „Auf diesem hat man Hausaufgaben verglichen, Geheimnisse ausgetauscht, Freundschaften geschlossen und gemeinsam manch interessante Entdeckung gemacht.“
Omnipräsente Eltern verhindern, dass Kinder diesen Zauberraum erleben. Und die Forschung zeigt: Nicht selbst erlebte Räume bleiben abstrakt. Elterntaxi-Kinder haben oft Mühe, ihr Zuhause mit Umgebung zu zeichnen. Sie malen zwar das Haus, die Schule und den Sportverein – aber nicht die Wege und Bäume dazwischen. Warum? Weil sie sie nicht erleben. Was folgt daraus? Haben wir mehr Vertrauen in die Kinder. Mehr Mut zum Alleingang! Sie brauchen das.