Kaum ein deutscher Sportheld musste in den vergangenen Jahren so viel Häme ertragen wie Boris Becker. Und kaum ein deutscher Prominenter ließ die Öffentlichkeit neben allen Erfolgen auch immer wieder teilhaben am Scheitern. Affären, Steuerhinterziehung, Insolvenz – und nun auch noch ein Strafprozess.
Am Montagmorgen soll die Verhandlung gegen Boris Becker in London beginnen. Dem früheren Tennisstar wird vorgeworfen, während seines Insolvenzverfahrens Vermögenswerte nicht ordnungsgemäß angegeben zu haben – er selbst weist das zurück. Insgesamt soll der Prozess drei Wochen dauern. Schlimmstenfalls drohen dem 54-Jährigen sieben Jahre Haft.
Die Klatschpresse dürfte dem Tag genauso entgegenfiebern wie manch ein Comedian, der Boris Becker in den vergangenen Jahren verlässlich zur Witzfigur erklärt hat. Ein einst gefeierter Star, der nun in seinem Heimatland verschrien ist als Pleitepromi. Ein Star, der eher Spott als Mitleid auslöst. Wie konnte es eigentlich so weit kommen? Und ist diese Häme angemessen?
Bobbele und Bum-Bum-Boris
In den Achtzigerjahren ist das Bild von Boris Becker noch ein gänzlich anderes. Im Juni 1985 wird der damals 17-Jährige über Nacht zum Nationalhelden, als jüngster Sieger bei den „All England Tennis Championships“ im Londoner Stadtteil Wimbledon. Im Finale besiegt Becker den Südafrikaner Kevin Curren in vier Sätzen. Zudem ist Becker der erste Deutsche, der in Wimbledon ein Finale des Wettbewerbs im Herreneinzel gewinnt.
Die Sportwelt ist so beeindruckt von Beckers Leistung, dass sogar der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker ihn treffen will – der gemeinsame Auftritt der beiden gilt heute als legendär. Papst Johannes Paul II. segnet sogar Beckers Tennisschläger. Zudem wird Becker zum Sportler des Jahres gewählt.
Eine gewisse Komik schwingt aber auch damals schon mit. Becker sorgt mit seiner etwas eingeschränkten Artikulationsfähigkeit immer wieder für lustige TV-Momente. Er spricht in feinstem Pfälzisch, seine Sätze sind eher schlicht und bestehen aus auffällig vielen „Ähms“. Becker selbst erklärt später, ein Autounfall in seiner Kindheit habe die Sprachproblematik ausgelöst, zudem habe er lange gestottert. Das Publikum jedenfalls liebt ihn dafür: Becker bekommt diverse kuriose Spitznamen verliehen, etwa „Bobbele“ oder aber „Bum-Bum-Boris“.
Seitensprung in der Besenkammer
Die folgenden Jahre sind von sportlichen Erfolgen geprägt. Das Jahr 1989 ist eines der erfolgreichsten seiner Karriere. Becker wird zum dritten Mal Wimbledonsieger, der Tennis-Weltverband kürt ihn zum Weltmeister. Mit seinem Finalsieg Ende Januar 1991 bei den Australian Open in Melbourne gelangt er erstmals an die Spitze der Weltrangliste. Insgesamt zwölf Wochen lang kann er sich dort behaupten.
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In den Neunzigerjahren wendet sich allmählich das Blatt. Der Tennisstar macht immer häufiger mit privaten Skandälchen Schlagzeilen als mit sportlichen Erfolgen. 1993 heiratet Becker Barbara Feltus, mit der er zwei Kinder bekommt – einige Jahre später, nach dem Ende seiner Karriere, vergnügt sich Becker mit dem Model Angela Ermakova angeblich in einer Besenkammer. Der Seitensprung bleibt nicht ohne Konsequenzen: Beckers Ehe scheitert, Ermakova bringt später seine dritte Tochter zur Welt – gezeugt in der vermeintlichen Besenkammer, die eigentlich eine Treppe gewesen sein soll.
Beckers Affäre bestimmt zu dieser Zeit über Wochen hinweg die Klatschspalten der Boulevardzeitungen, im Fernsehen wird der frühere Tennisstar zum Running Gag in Comedy-Shows, etwa bei Stefan Raab. Der ändert Beckers früheren Spitznamen „Bum-Bum-Becker“ kurzerhand in „Bums-Bums-Becker“ und später dann in „Ratz-Fatz-Becker“, weil der Seitensprung laut eigener Aussage des Tennisstars nur „fünf Sekunden“ gedauert habe. Auch weitere Liebesbeziehungen des Ex-Sportlers werden genüsslich von Raab durch den Kakao gezogen, etwa die mit Rapperin Sabrina Setlur.
Prozesse und Geldverluste
Becker reagiert auf die Späße mit Humor und vor allem Selbstironie. 1999, dem Jahr des Seitensprungs, geht eine Fernsehwerbung des ehemaligen Internetriesen AOL auf Sendung. In der Hauptrolle Boris Becker, der sich problemlos und „ohne Ahnung von Technik“ ins Internet einloggen kann. „Bin ich da schon drin oder was?“, fragt Becker und stellt dann fest: „Ich bin drin, das ist ja einfach.“
Auch eine spätere Werbung aus dem Jahr 2001 greift Beckers kompliziertes Liebesleben indirekt auf. Hier chattet er mit einer Unbekannten am Laptop. Er habe „schmutzige Wäsche“ und schon lange „nicht mehr gut gegessen“, aber laut Werbung offenbar guten Internetempfang. Becker resümiert: „Wenn alles in meinem Leben so einfach wäre.“
Die Werbeaufträge für AOL gehören zu Beckers erfolgreicheren unternehmerischen Projekten – andere scheitern. So ist Becker beispielsweise am Internetportal Sportgate beteiligt, das 2001 Insolvenz anmeldet. 2007 wird Becker in diesem Zusammenhang zur Zahlung von 108.000 Euro Schadensersatz verurteilt.
Das anschließende Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des versuchten Prozessbetruges wird 2009 nach Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Becker muss erneut 40.000 Euro zahlen.
Aus Spott wird Boshaftigkeit
Das Landgericht München I verurteilt Becker im Oktober 2002 wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Becker habe in seinen Steuererklärungen bewusst falsche Angaben gemacht, um 3,3 Millionen Mark zu sparen. 2012 wird Becker zur Zahlung von 800.000 Euro an einen Mitgesellschafter der insolventen New Food AG verurteilt. Er hatte offenbar einen Darlehensvertrag nicht richtig ernst genommen.
In Greifswald, Stralsund und Ribnitz-Damgarten betreibt Becker zudem drei Mercedes-Autohäuser, die auch nicht so gut laufen, wie sie sollen. Inzwischen sind sie verkauft. Die Scheidung von seiner Frau Barbara soll den Ex-Tennisstar gleich mehrere Millionen Euro gekostet haben, seinen Kindern muss der Tennisprofi Unterhalt zahlen.
Die Reaktionen auf Beckers private und unternehmerische Fehltritte wandeln sich in den folgenden Jahren von Spott zu Boshaftigkeit. Der Comedian Oliver Pocher beginnt, sich an Becker festzubeißen. Wochenlange Twitter-Attacken münden 2013 in einer gemeinsamen Fernsehsendung, in der Becker und Pocher in peinlichen Spielen gegeneinander antreten.
Tiefpunkt einer Karriere
2017 wird gegen Becker schließlich ein Insolvenzverfahren eingeleitet. Im Zuge dessen werden auch zahlreiche Erinnerungsstücke des ehemaligen Tennisprofis versteigert – zwei Pokale ersteigert ausgerechnet Erzfeind Oliver Pocher, der dies voller Genugtuung in den sozialen Medien zelebriert.
Eine Trophäe allerdings bleibt verschwunden: Beckers erster Wimbledonpokal von 1985, die wichtigste Trophäe seines Lebens. Vermögenswerte wie diese soll Becker nicht ordnungsgemäß angegeben haben, so der Vorwurf nun vor Gericht. Zudem soll Becker laut Anklage Teile seines Vermögens an seine Ex-Partnerinnen Barbara Becker und Lilly Becker überwiesen und damit dem Zugriff des Insolvenzverwalters entzogen haben. Becker plädiert in allen Punkten auf unschuldig.
Der Strafprozess in London ist der vorläufige Tiefpunkt einer Karriere, die einst so glanzvoll begonnen hatte. Und es könnte nicht der letzte Tiefpunkt gewesen sein: Sollte der frühere Tennisstar für schuldig befunden werden, droht ihm gar eine Haftstrafe.
Verspottet in Deutschland, verehrt in England
In Beckers Heimat Deutschland löst sein Name noch immer oft Spott aus, auch wenn es in den vergangenen Jahren durchaus auch vermehrt wieder Anerkennung gab. Denn tatsächlich ist Beckers Scheitern ja vor allem finanzieller Natur.
Er kann augenscheinlich nicht besonders gut mit Geld umgehen, ist womöglich ein miserabler Geschäftsmann, tritt auch privat gelegentlich in Fettnäpfchen. Aber macht ihn das wirklich zu dem Loser, als der er verschrien ist? Und ist das wirklich ein Grund, seine früheren Leistungen zu verschmähen?
In seiner Wahlheimat England genießt die ehemalige Tennislegende schon seit Langem einen ausgezeichneten Ruf, Beckers Tennisexpertise etwa bei der britischen BBC wird hoch gelobt. Auch der Sender Eurosport verlängerte Beckers Vertrag bis 2023.
Letzter Ausweg Selbstironie
Die Diskrepanz fällt auch Becker selbst auf. Er scheint mit seiner Heimat inzwischen zu fremdeln. „Die Vorverurteilungen, die gerade in Deutschland passiert sind, entbehren jeder Grundlage“, sagte Becker im vergangenen Jahr in einem Amazon-Podcast mit Johannes B. Kerner. Das britische Insolvenzrecht werde bewusst falsch verstanden, so Becker. Warum? Man wolle wohl einfach „einen früheren Helden fallen sehen“.
In Deutschland bleibt Becker also offenbar nichts anderes, als der Öffentlichkeit das zu geben, was sie sehen will. Die gescheiterte Legende, die Witzfigur. Statt bei AOL spielt der frühere Tennisstar inzwischen in einer neuen Werbung der Vergleichswebsite Check24 mit. „Ich hab da noch ne Frage zur Kreditumschuldung“, sagt Becker in dem Werbespot. Und dann selbstironisch: „Ich frage für einen Freund“. (rnd)