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Gedenken an Russlands SiegeDrohen am 9. Mai besonders schwere Luftangriffe?

Lesezeit 5 Minuten
Wladimir Putin Geste

Der russische Präsident Wladimir Putin

Moskau – Am kommenden Montag, den 9. Mai, feiert Russland, den Sieg der Sowjetunion über Hitler-Deutschland und den Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg. Wie jedes Jahr werden im Gedanken an 1945 Militärparaden im ganzen Land stattfinden. Beim landesweit größten Aufmarsch in Moskau sollen 11.000 Soldaten und 131 Militärfahrzeuge zu sehen sein. Außerdem sollen 77 Hubschrauber und Flugzeuge teilnehmen. Präsident Wladimir Putin wird eine Rede halten.

Soweit ist das nichts Neues. Seit 1965 war der „Tag des Sieges“ einer der wichtigsten Nationalfeiertage in der UdSSR. Unter Präsident Putin hat er in den vergangenen Jahren weiter an Bedeutung gewonnen. Jedes Jahr will er seiner Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit die Schlagkraft der russischen Armee demonstrieren. Diesmal sollen neue Mehrfach-Raketenwerfer vom Typ Tornado-G präsentiert werden. Doch angesichts des Angriffskrieges auf die Ukraine findet die Veranstaltung dieses Mal unter ganz anderen Vorzeichen statt.

Selenskyj befürchtet verstärkte Angriffe

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj befürchtet, dass Russland an diesem Tag besonders starke Luftangriffe planen könnte. Er rief zu Vorsicht und Disziplin auf. „Ich bitte alle unsere Bürger – und gerade in diesen Tagen –, den Luftalarm nicht zu ignorieren“, sagte der Staatschef am Freitag in seiner abendlichen Videoansprache. „Bitte, das ist Ihr Leben, das Leben Ihrer Kinder.“ In frontnahen Städten wie Odessa soll zwei Tage eine Ausgangssperre gelten.

Wie berechtigt diese Ermahnung scheint, deutet sich bereits jetzt an. So kommt es etwa in der Hauptstadt Kiew vermehrt zu Luftangriffen. „Der 9. Mai rückt immer näher: Es ist noch nicht mal 18 Uhr, aber es gibt bereits den dritten Luftalarm des Tages in Kiew“, schrieb der Journalist und Ukraine-Korrespondent Denis Trubetskoy am Freitag auf Twitter. Am Vormittag darauf berichtete er von drei Luftangriffen in der Nacht. „Die letzten zwei Alarme nach 4 Uhr habe ich allerdings komplett verschlafen“, fügte er hinzu.

Kiew: Militärparade soll auch in Mariupol stattfinden

Außerdem befürchtet man in der Ukraine, dass der Kreml dieses Jahr nicht nur in Russland Militärparaden abhalten will. Nach Geheimdienstinformation von Kiew plant Moskau einen Aufmarsch in der nahezu vollständig besetzten Hafenstadt Mariupol. Russland dementiert das. Doch es gibt Berichte über Aufräumarbeiten, die derartige Ziele nahelegen.

Die ukrainische Regierung geht auch davon aus, dass Russland das dort noch belagerte Stahlwerk Azovstal bis Montag erobert haben will. Das sagte der Präsidentenberater Olexij Arestowytsch am Donnerstagabend. „Das schönste Geschenk an einen Herrscher ist der Kopf seines Gegners. Ich erkenne klar das Bestreben, Azovstal zu erobern und Putin zum 9. Mai den „Sieg“ zu schenken“, zitiert ihn die Nachrichtenagentur Unian.

Große Bedeutung für Putins Propaganda

„Sie wollen das unbedingt, aber mal sehen, ob ihnen das gelingt“, so Arestowytsch. Die schweren Angriffe auf das Gelände des Stahlwerks ließen die Absichten des russischen Militärs klar erkennen. Am Samstag vermeldeten prorussische Separatisten, dass weitere 50 Zivilisten das Stahlwerk verlassen haben – allerdings gab es zunächst keine Bestätigung von ukrainischer Seite. Zu Hochzeiten sollen sich mehrere Tausend Personen in dem Stahlwerk verschanzt haben, darunter auch viele Kinder.

Für Russlands Führung ist der 9. Mai auch bezüglich der eigenen Propaganda im Krieg gegen die Ukraine von großer Bedeutung. „Wladimir Putin hat in seiner Rede zu Beginn des Krieges die Kampfhandlung in den Kontext des Großen Vaterländischen Krieges gestellt“, sagte Russland-Experte Gerhard Mangott, Politikwissenschaftler an der Universität Innsbruck, vor einigen Tagen im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Generalmobilmachung befürchtet

„Da wäre es sehr willkommen, wenn bis dahin ein militärischer Erfolg vorzuweisen wäre, der konkret in eine Tradition mit dem Zweiten Weltkrieg gestellt werden könnte“, betont Mangott. So könnte Putin laut dem Experten sein Narrativ von einem Kampf gegen Nazis und einen Genozid aufrechterhalten.

Eine weitere Befürchtung im Zusammenhang mit dem 9. Mai ist eine mögliche Generalmobilmachung. Da die Verkündung eines Sieges angesichts der ausbleibenden Erfolge unwahrscheinlich ist, rechnen ukrainische Militärgeheimdienst, westliche Militärs und mehrere Experten mit einer großen Mobilmachung der Reservisten – und einer offiziellen Kriegserklärung an die Ukraine.

„Neurussland“ in besetzten Ukraine-Gebieten

Doch auch andere Szenarien sind denkbar: Brigadier Philipp Eder aus dem Generalstab des österreichischen Bundesheeres meinte, ebenfalls gegenüber dem RND: „Militärisch wäre am sinnvollsten, wenn sich Russland mit den bisherigen Erfolgen zufriedengeben und ein ‚Neurussland‘ in den besetzten Gebieten der Ukraine ausrufen würde.“

Daran glaubt der Militärexperte Marcel Berni von der Militärakademie an der ETH Zürich jedoch nicht – im Gegenteil. „Alles spricht dafür, dass Russland die Militäroperation ausweiten und der Ukraine offen den Krieg erklären wird“, sagte er. „Putin muss Erfolge vermelden und hat seit Kriegsbeginn nur sehr wenig Geländegewinne erreicht.“

Strack-Zimmermann warnt vor Übertreibung

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), hält die starke Fokussierung auf das Datum für überzogen. „Ich erwarte offen gestanden nicht mehr als sonst auch. In Moskau wird es wahrscheinlich eine Militärparade geben“, sagte sie gegenüber dem Fernsehsender NTV. Doch Strack-Zimmermann empfahl, nicht explizit zu erwarten, dass an diesem Tag etwas Schreckliches oder Ungewöhnliches passiert.

Auch in Deutschland könnte dem 9. Mai dieses Jahr mehr Bedeutung zukommen als üblich. Sicherheitsbehörden rechnen mit verstärkten pro-russischen Demonstrationen und Aktivitäten. Das ergab eine Umfrage der Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag) bei den Innenministerien der Bundesländer.

Schwerpunkt auch in NRW erwartet

Schwerpunkte könnten den Angaben der Länderbehörden zufolge in Berlin und Nordrhein-Westfalen liegen. Dort seien bereits jeweils vier pro-russische Demonstrationen angemeldet worden, auch in anderen Ländern seien Aufzüge angemeldet. In Potsdam wird außerdem der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk bei einer Gedenkveranstaltung erwartet.

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Außerdem hat der ukrainische Präsident Selenskyj Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für den 9. Mai zu einem Besuch in Kiew eingeladen. Bislang gibt es keine Hinweise darauf, dass Scholz oder Steinmeier diese Einladung annehmen. In Berlin wird an diesem Tag bereits Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron für ein Treffen mit Scholz erwartet.