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Ein Eifeldorf und mögliche Atombomben„Für Putin sind wir ein potenzielles Ziel“

Lesezeit 7 Minuten
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Ein Tornado landet auf dem Flugplatz von Büchel.

  1. Das Eifeldorf Büchel ist seit dem Krieg gegen die Ukraine wieder auf die weltpolitische Landkarte gerückt.
  2. Hier lagern 20 Atombomben, deren Existenz von niemandem offiziell bestätigt wird.

Büchel – Am Ostermontag sind sie wieder marschiert. Zum Luftwaffenstützpunkt Büchel im Kreis Cochem-Zell in der Eifel. 320 Friedensaktivistinnen und Aktivisten. Wie zuletzt 2018 und 2019 – den letzten Ostermärschen vor der Corona-Pandemie. Doch dieses Mal ist alles anders als sonst.

Seit Putins Überfall auf die Ukraine ist das Eifeldorf an der B 259 mal wieder auf die weltpolitische Landkarte gerückt. Büchel – das sind 1200 Einwohner, ein Bäcker, eine Kirche, eine Grundschule, ein Kindergarten und eine Tankstelle. Und der Bundeswehr-Fliegerhorst mit seinen Tornado-Kampfjets - und 20 Atombomben, deren Existenz von niemandem offiziell bestätigt wird. Von denen aber jeder weiß, dass sie da sind.

„Es ist kurz vor Zwölf!“ lautet das Motto des Ostermarschs, den Elke Koller, Sprecherin des „Initiativkreises gegen Atomwaffen Cochem“ mit organisiert hat. In diesem Jahr treffen sich die Teilnehmer nicht direkt vor dem Eingangstor, sondern ziehen aus dem Gewerbegebiet am doppelten Sicherheitszaun des Stützpunkts entlang. Vorbei an der Friedenswiese mit den Bannern „für gerechten Frieden“ und „gemeinsam gegen Atomwaffen“, die wie aus der Zeit gefallen und seltsam naiv anmutet.

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Elke Koller kämpft seit Jahren gegen die Atombomben von Büchel.

Naiv? Das lässt Elke Koller nicht gelten. Die 79-Jährige kämpft seit mehr als einem Vierteljahrhundert gegen die Atomwaffen von Büchel. Sie habe nichts davon gewusst, dass deutsche Bundeswehrpiloten in ihren Tornados über der Eifel auch für einen möglichen Abwurf von Atombomben trainieren, als sie sich 1980 mit ihrem Mann in der Gegend niederließ. „Mein Mann kommt aus dem Süden, ich aus dem Norden. Da schien uns die Mosel als Kompromiss ideal.“ In Cochem übernimmt das Paar eine Apotheke, kauft in Leienkaul ein Haus, das gut drei Kilometer vom Fliegerhorst entfernt liegt. Von den Bomben habe sie erst 15 Jahre später durch Zufall erfahren. „Ich wäre niemals hierhergezogen, wenn ich das gewusst hätte.“

Spezialeinheit der US-Armee bewacht die Atomwaffen

Kollers Kampf gegen die Atombomben, den sie 1996 aufnimmt, ist ein einsamer. Zu diesem Zeitpunkt ist die Friedensbewegung längst Geschichte, die Amerikaner haben die meisten Kernwaffen aus Deutschland abgezogen. Manchmal habe sie ganz allein vor dem Fliegerhorst demonstriert, sagt sie.

Bis heute werden die Bomben von Büchel von einer Spezialeinheit der US-Armee bewacht. Wie genau sie gelagert werden, ist geheim. Experten gehen davon aus, dass die Bomben vom Typ B 61 in bis zu acht Meter tiefen Metallsilos liegen, deren Sicherheitscodes nur die Amerikaner kennen. Ihre Sprengkraft soll das 13-fache der Hiroshima-Bombe betragen.

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Der Ostermarsch 2022 führte direkt am Zaun des Fliegerhorstes entlang.

Auf eine Anfrage der Linken im Bundestag vom August 2021 nach den Bomben von Büchel antwortet Thomas Silbereisen, damals Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, die Informationspolitik hinsichtlich der Nuklearstreitkräfte der Nato unterliege den Geheimhaltungsregeln des Bündnisses. „Demzufolge können zu der Anzahl, den Lagerorten, dem Umgang mit und den Spezifika der Nuklearwaffen sowie ihrer Trägersysteme wie auch der Ausbildung, der Übung und der Absicherungsmaßnahmen keine Angaben gemacht werden. Aussagen und Mutmaßungen hierzu können zudem weder bestätigt noch dementiert werden“, heißt es wörtlich.

„Nukleare Teilhabe“ nimmt Bundeswehr in die Pflicht

Fest steht nur: Im Ernstfall sind die Tornado-Piloten der Bundeswehr verpflichtet, die Atombomben zu laden und an ihr Ziel zu bringen. So sieht es das Konzept der „nuklearen Teilhabe“ vor, nach dem alle Nato-Verbündeten, die dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten sind, den Atommächten die militärische Infrastruktur für die Stationierung und den Einsatz dieser Waffen zur Verfügung stellen müssen.

„Wir hatten immer die Hoffnung, dass mit der nuklearen Teilhabe irgendwann Schluss sein wird“, sagt Koller. Die letzte Chance wird von der schwarz-gelben Bundesregierung 2009 vertan. Damals wurde der Ausstieg auf Betreiben der FDP in den Koalitionsvertrag geschrieben, ließ sich aber gegen den Widerstand von Kanzlerin Merkel nicht durchsetzen.

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Am Eingang zum Fliegerhorst wehen die deutsche und die amerikanische Flagge.

Das will Elke Koller nicht hinnehmen. 2010 zieht sie vor Gericht, will den Abzug der Bomben auf juristischem Weg erzwingen. Sie scheitert nach mehr als sieben Jahren und vier Instanzen 2018 vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Grundrechte der Klägerin auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum würden durch die Stationierung von Atomwaffen in der Nachbarschaft nicht beeinträchtigt, urteilt der Zweite Senat.

Viele Jahre hat Elke Koller nicht mehr daran geglaubt, dass die Bomben überhaupt noch eine abschreckende Wirkung entfalten können. „Die Russen lachen sich doch kaputt über diese Waffen in Büchel. Bis diese Bomben unter die Tornados geklinkt sind, sind sie durch eine russische Hyperschallrakete doch längst zerstört worden. Aber allein die Tatsache, dass sie hier noch lagern, macht uns natürlich zu einem Angriffsziel.“

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Alexander Hofmann vor den Flaggen auf dem Balkon.

Seit dem 14. März ist alles anders. Mit Entsetzen hat die Friedensaktivistin den Beschluss der Bundesregierung zur Kenntnis genommen, die veralteten Tornados durch amerikanische Kampfflugzeuge vom Typ F 35 zu ersetzen. Mit dieser Entscheidung werde die nukleare Teilhabe auf Jahrzehnte zementiert, glaubt sie. Das zu einem Zeitpunkt, an dem der Ukraine-Krieg immer gnadenloser, Putin immer unberechenbarer werde. „Im Moment hat es gar keinen Sinn, mit ihm zu verhandeln“, sagt Koller. Putin habe so viele Verbrechen begangen, dass es immer schwieriger und unmoralischer werde, sich mit ihm an einen Tisch zu setzen.

2019 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet

Und so bleibt der 79-Jährigen, die für ihr unermüdliches Engagement in der Friedensbewegung 2019 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet wurde, nur eines: Weitermachen und für den Frieden kämpfen. Am kommenden Freitag werden sich die Aktivisten zum ökumenischen Friedensgebet auf der Friedenswiese unweit des Tors zum Fliegerhorst versammeln.

Alexander Hofmann (38) wird daran nicht teilnehmen. „Aus der Politik halte ich mich raus. Mir tut es einfach leid, dass die Menschen in der Ukraine so leiden müssen“, sagt er. Der Russe mit deutschen Wurzeln ist 2004 als Spätaussiedler aus Kasachstan nach Deutschland gekommen und unweit des Fliegerhorsts in Ulmen hängengeblieben.

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Regelmäßig protestieren Mitglieder der Bewegung gegen Atomwaffen.

Hofmann, von Beruf Trockenbauer, betreibt nebenbei eine Schaschlik-Bude an der Bundesstraße 259, die mitten durch Büchel führt. An der Hausfassade hängt ein Banner mit der Aufschrift: „Russische Spezialitäten“, auf dem Balkon flattern die deutsche, die russische, die ukrainische Flagge und ein Tuch mit dem Pace-Symbol einträchtig im Wind.

Seine Frau Nina stammt wie er aus Kasachstan. „Sie ist aber schon mit zwei Jahren nach Deutschland gekommen, hat keine Erinnerungen mehr an ihre Heimat.“ Vor ein paar Wochen haben die Hofmanns Bekannte aus Winnyzja in der Nähe von Kiew aufgenommen. „Wir kleine Menschen müssen uns keinen Stress machen, bloß weil die Großmächte das tun. Wir müssen miteinander leben und verhindern, dass wir durch diesen Krieg auch noch unsere Freundschaften verlieren.“

„Die Leute sind nachdenklich geworden“

Natürlich könnten Büchel und die US-Militärbasis Ramstein potenzielle Ziele eines russischen Angriffs sein, glaubt Alexander. „Aber was können wir dagegen tun? Wir sammeln in unserer Gemeinde in Ulmen Hilfsgüter, bringen sie zu den Menschen und vertrauen auf Gott. Ich bin ein gläubiger Mensch.“ Er habe bis zum letzten Tag gehofft, dass „Putin ein bisschen mit den Fäusten spielt und dann damit aufhört.“

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Ihre Aufgabe als Sprecherin der Cochemer Friedensinitiative wird Elke Koller in Kürze aufgeben. Mit fast 80 wolle sie etwas kürzertreten. „Ich hatte am Anfang hier große Akzeptanzprobleme, ich bin beschimpft und angefeindet worden ohne Ende.“ Schließlich lebe der gesamte Ort von der Bundeswehr und dem Fliegerhorst. Später habe man sie belächelt. Der Ukraine-Krieg habe viel verändert. „Das ist jetzt anders. Die Leute sind nachdenklich geworden“, sagt sie.

Neulich habe die Kirchengemeinde in Kaisersesch, das ist der nächstgrößere Ort, eine Antikriegsdemonstration organisiert. „Ich bin hin und habe gedacht, nimm mal nicht so eine politische Fahne mit.“ Sie habe nur eine Pace-Fahne hochgehalten. „Hätte ich sie nicht dabeigehabt, hätte keiner gewusst, warum wir überhaupt dort stehen.“ Mit Friedensdemos dieser Art habe in der Eifel bis zum russischen Überfall auf die Ukraine „keiner irgendetwas am Hut“ gehabt. Die kleine Gruppe stand in Kaisersesch, Elke Koller mit der Pace-Fahne in der Hand. „Plötzlich haben sich vom Bürgermeister bis zum Verbandsbürgermeister alle um mich geschart“, sagt sie. „Da schwingt die Angst mit, die Frau Koller könne vielleicht doch nicht so ganz unrecht damit haben, dass wir hier ein potenzielles Ziel für Putin sind.“