„Scranton im Stich gelassen“Donald Trump spaltet Joe Bidens Geburtsstadt
- Kaum irgendwo tobt der amerikanische Wahlkampf derzeit so stark wie im Nordosten Pennsylvanias.
- In Scranton, dem Geburtsort von Joe Biden, geht der Riss zwischen Anhängern und Gegnern von Präsident Trump durch Familien.
- Eine Reportage aus dem Rostgürtel, einer Region der Gegensätze.
Scranton – Die beiden Männer sind etwa im gleichen Alter, wohnen nur wenige Meilen voneinander entfernt und trotzdem leben sie in zwei Welten. An einem sonnigen Augusttag wären sich der Frührentner Dave Mitchko und der Highschool-Lehrer Joe Vadala fast begegnet. Da kam Präsident Donald Trump nach Scranton zu Besuch, und Mitchko knatterte auf seinem Motorrad im Fankorso hinter der Kolonne auf der Moosic Road her.
Vadala stand am Straßenrand und protestierte.„Ich konnte es kaum ertragen, wie alle lachten und winkten“, erinnert sich Vadala. Für den Endvierziger ist Trump ein gefährlicher Autokrat und Demagoge: „Als Geschichtslehrer fühle ich mich an die 1930er-Jahre in Deutschland erinnert“, sagt er und warnt: „Wenn Biden keinen Erdrutschsieg erzielt, wird Trump die Wahl stehlen.“ Das sieht Mitchko ganz anders. Die Euphorie für Trump in der Gegend sei „überwältigend“, schwärmt der massige Kumpeltyp: „Er ist endlich einer, der macht, was er sagt.“
Die politischen Überzeugungen stoßen sich hart in Scranton in Pennsylvanias im US-Rostgürtel – so wird die älteste und ehemals größte Industrieregion des Landes genannt. Das sieht man schon bei der Anfahrt über die Ausfallstraße. Auf fast jedem Grundstück steckt ein Trump- oder ein Biden-Schild. Und je bescheidener die Gebäude wirken, desto größer sind die Trump-Plakate. Pennsylvania ist der am härtesten umkämpfte Bundesstaat bei den US-Wahlen. Mit einem hauchdünnen Vorsprung von 44 000 Stimmen hat Donald Trump 2016 das einstige demokratische Stammland erobert.
Mit Scranton ging es bergab
Nirgendwo ist auch die Symbolik im aktuellen Rennen ums Weiße Haus größer. Der demokratische Herausforderer Joe Biden wurde nämlich 1942 in Scranton geboren. „Donald Trump sieht die Welt von der Park Avenue aus. Ich sehe die Welt von dort, wo ich aufwuchs: Scranton, Pennsylvania“, hat er kürzlich getwittert. „Joe Biden ist gegangen. Er hat Scranton im Stich gelassen“, hält Amtsinhaber Trump dagegen.
Tatsächlich durchlebt Scranton einen radikalen Strukturwandel, der den Demokraten überall im Rostgürtel zu schaffen macht. Einst lockte der Ort mit den reichen Anthrazitkohlevorkommen Einwanderer aus der ganzen Welt an – so wie Bidens Ururgroßeltern, die um 1850 aus Irland kamen. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg ging es bergab. Bidens Elternhaus in der North Washington Avenue zeugt von einem moderaten Wohlstand. Doch 1953, als der Junge zehn Jahre alt war, musste die Familie auf der Suche nach Arbeit weiterziehen. Inzwischen ist Scranton von einstmals 140 000 auf 76 000 Einwohner geschrumpft. Mit 28 800 Dollar liegt das mittlere Jahreseinkommen nicht einmal halb so hoch wie im Rest der Staaten.
Zurückgeblieben sind Menschen wie Dave Mitchko. Vor 2016 hat der 53-Jährige die Demokraten gewählt: „Alle meine Nachbarn waren Demokraten. Ich hab da nie drüber nachgedacht.“ Doch dann kam Trump: „Er ist kein typischer Politiker. Er sagt, wie es ist.“ Da fühlte sich Mitchko plötzlich angesprochen. Nach 20 Jahren hatte er seine Arbeit bei einer CD-Fabrik, dem ehemals größten Arbeitgeber vor Ort, verloren, weil die Produktion nach Mexiko und China verlagert wurde. Seinen neuen Job als selbstständiger Gärtner konnte er nach einem Schlaganfall nicht mehr ausüben. Trumps Slogan „America First!“ verstand er als persönliche Verheißung. „Ich dachte: Dem Kerl sollte ich eine Chance geben!“
Seine Entscheidung hat Mitchko nicht bereut. Den Reporter aus Deutschland empfängt er in kurzen Hosen vor seinem einfachen Holzbungalow im Norden der Stadt. Er hält nicht viel der Presse „Am besten sollte die für vier Monate vor der Wahl abgeschafft werden“, sagt er – aber er erzählt nun einmal auch gerne. Also lässt er sich auf das Bänkchen neben seiner Garage fallen und legt Handy und Pistole neben sich ab.
Die Demokraten säen „Hass“
Die Waffe ist eine Vorsichtsmaßnahme, das Telefon unverzichtbares Arbeitsmittel. Mitchko betreibt nämlich das inoffizielle Materiallager der Republikaner in der Region. Statt seines Autos stapeln sich Plakate, Gartenschilder, Autosticker und Fahnen. Woher der Enthusiasmus für Trump rührt? Der Präsident, sagt Mitchko, setze sich für die Arbeiter ein. Tatsächlich hat Trump die Steuern nur für Reiche gesenkt und weder die Kohle wiederbelebt noch Jobs aus China zurückgeholt. „Aber er hat es versucht“, kontert Mitchko.
Trumps Anti-Establishment-Attitüde gefällt ihm. Mit den als elitär empfundenen Demokraten hat er abgeschlossen. Mit ihrem „Hass“ hätten sie ihn noch tiefer in Trumps Arme getrieben. So wie die Nachbarin, der er im Winter geholfen hat, als ihr Auto nicht ansprang. Die hat ihn neulich einen „Rassisten“ genannt. Oder auch sein Vater, der strammer Biden-Unterstützer ist. Vor einem Monat war der 84-Jährige zu Besuch. Als er die Trump-Garage sah, sagte er: „Du solltest dich schämen.“ Seither hat Mitchko nicht mehr mit ihm gesprochen.
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Mitchkos Vater leidet an Krebs, er selbst ist schwerbehindert. Beide gehören damit zur Hochrisikogruppe für eine Covid-Erkrankung. Eine Maske trägt er trotzdem nicht. „Ich habe keine Angst.“ Die USA seien viel größer und würden mehr testen als andere Länder – so relativiert er die 200 000 Toten im Land. Viele Covid-Opfer würden an anderen Krankheiten sterben. „Ich habe ein Herzleiden, ich hab’s an der Lunge und an den Nieren. Ich bin gespannt, was auf meinem Totenschein stehen wird.“
Über solchen Sarkasmus kann Joe Vadala nicht lachen. Vor vier Monaten ist seine Schwiegermutter, eine überzeugte Trump-Anhängerin, an Covid-19 gestorben – und seither ist sein Leben aus dem Gleichgewicht. Der Endvierziger sitzt auf der Terrasse seines Reihenhauses in Scranton und kann die Ereignisse immer noch nicht fassen. „Ja, sie war 82, aber sie war topfit, sie hätte 100 Jahre alt werden können.“ Doch dann kam der 28. April. Die Schwiegermutter wurde mit Fieber ins Krankenhaus eingeliefert, zunächst negativ, dann positiv auf Covid getestet und ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide.
Vadala ist seit Langem als Demokrat registriert, seine Frau, eine Krankenschwester, ist eigentlich Republikanerin – nicht mehr lange. „Sie ist total ausgebrannt“, sagt der Ehemann. Beide wollen am 3. November für Joe Biden stimmen. „Trump ist ein Rohling. Er macht sich über Behinderte lustig. Er hat keinen Anstand. Und er macht mir auch meinen Job schwerer“, sagt Vadala.
Einige seiner Nachbarn haben Trump-Schilder in ihren penibel gestutzten Rasen gesteckt. Und auch seine Eltern werden als überzeugte Republikaner für Trump stimmen. „Ich habe ihnen erklärt, dass er ihre Krankenversicherung und Rente beschneiden wird“, berichtet er. Doch die Eltern, in deren Wohnzimmer nur Fox News läuft, winkten ab: Das seien alles „Fake News“. Vadala fühlt sich machtlos: „Ich kann meine eigenen Eltern nicht dazu bringen, ihre Meinung zu ändern.“
Bidens Städte, Trumps Land
So ist die Lage in vielen Teilen der USA. Das Land ist zerrissen. In Pennsylvania stehen laut Umfragen die Städte Philadelphia und Pittsburgh mit großer Mehrheit zu Biden. Auf dem flachen Land liegt Trump vorne.
An einem Abend im September kommt Joe Biden zum Wahlkampf in seine Heimatstadt. Er nimmt an einer Townhall-Veranstaltung des Senders CNN teil. Nur 60 Gäste im Auto sind zugelassen. Joe Vadala hat eine Karte ergattert und kann eine Frage stellen. Er will wissen, ob Biden bei einem Wahlsieg eine mögliche Covid-Impfung für Schüler zum Schutz der Lehrer verpflichtend machen würde. Biden weicht aus, berichtet von seiner Frau Jill, die ebenfalls Lehrerin ist und rät zu strengen Vorsichtsmaßnahmen. Der Pädagoge wirkt trotzdem zufrieden.
Dave Mitchko schaut sich die Sendung erst gar nicht an. Er hat Wichtigeres zu tun. Im Nachbarort ist eine Lieferung mit neuen Trump-Plakaten angekommen.