- Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans spechen über ihre schwierige Startphase und eine neue Steuerpolitik.
- Zur Frage über den Verbleib in der GroKo sagen sie: Eine monatelange Hängepartie wird es nicht geben.
- Die beiden SPD-Chefs im ersten Doppelinterview seit ihrer Wahl.
Berlin – Sie sind seit einer Woche SPD-Vorsitzende. Wie haben sich die ersten sieben Tage im Amt angefühlt?
Saskia Esken: Wie sieben Wochen. Im Ernst: Anstrengend waren vor allem die Tage zwischen dem Ende des Mitgliedervotums und dem Parteitag. In dieser kurzen Zeit haben wir einen Parteitag vorbereitet, Anträge geschrieben, Interviews gegeben und unsere Reden ausgearbeitet. Weiter haben wir einen Konsens zwischen den Interessen der Fraktion, der Partei und der Kabinettsmitglieder gefunden. Das hat durchaus auch Nachtsitzungen erfordert. Seit dem Parteitag bekommen wir wieder etwas mehr Schlaf.
Sie waren Vizevorsitzende im Landeselternbeirat Baden-Württemberg. Der frühere Vorsitzende und eine ehemalige Mitarbeiterin werfen Ihnen vor, in die unrechtmäßige Kündigung der Frau verwickelt gewesen zu sein. Stimmt das?
Esken: Zu einzelnen arbeitsrechtlichen Fällen kann und werde ich mich nicht äußern.
Mancher Ihrer Parteifreunde zweifelt, dass Sie die Aufgaben, die vor Ihnen liegen, bewältigen können. Fühlen Sie sich unterschätzt?
Norbert Walter-Borjans: Die einen sehen es so, die anderen so. Das ist doch völlig normal. Kritik gehört zu einem politischen Spitzenamt. Ich habe mir vorgenommen, auf die Skeptiker zuzugehen und sie von meiner Arbeit zu überzeugen.
Esken: Die Mitglieder wollten bewusst frühere Strukturen aufbrechen. Deshalb haben wir die Wahl gewonnen.
Sind Sie das Ergebnis einer Anti-Establishment-Wahl – wie wir sie etwa in den USA erlebt haben?
Esken: Ja, wir sind auch das Ergebnis grundsätzlicher Kritik am Status quo. Diese Erwartungen nehmen wir auf. Der Wunsch nach Veränderung unserer Politik ist groß.
„10 Euro pro Tonne CO2 ist zu niedrig“
Als Erstes geht es um Klimaschutz. Sie haben einen Einstiegspreis von 40 Euro pro Tonne CO2 -Ausstoß gefordert. Ist das realistisch?
Walter-Borjans: Und im Gegenzug eine Pro-Kopf-Rückzahlung in gleicher Höhe an alle Bürger! Dann wäre ein CO 2 -Preis von 40 Euro je Tonne wirksam und sozial. Das geht aber nicht von heute auf morgen.
Esken: Zugleich gilt: Der CO 2 -Preis, den die Koalition beschlossen hat, ist zu niedrig. 10 Euro pro Tonne werden keine Lenkungswirkung entfalten. Wir brauchen einen höheren Einstiegspreis – verbunden mit einem sozial gerechten Ausgleich für die Menschen, die die höheren Kosten bezahlen müssen. Die Pendlerpauschale hat den großen Nachteil, dass diejenigen, die am meisten verdienen, durch unser Steuersystem die höchste Entlastung bekommen.
Wie soll ein Ausgleich funktionieren?
Walter-Borjans: Wir wollen mittelfristig eine pauschale Ausgleichszahlung pro Kopf, auch wenn das technisch nicht einfach umzusetzen ist. Sollte sich herausstellen, dass das zu lange dauert, plädieren wir für einen Ausgleich über die Senkung der Stromsteuern.
Ein CO2 -Preis wird nur Lenkungswirkung entfalten, wenn er wehtut. Haben Sie keine Angst vor einer Protestbewegung wie in Frankreich?
Esken: Wir wollen den Menschen nichts wegnehmen, sondern klimafreundliches Verhalten belohnen. Wer auf dem Land wohnt, hat häufig gar nicht die Möglichkeit, sein Auto stehen zu lassen. Wer zur Miete wohnt, kann nicht die Heizung sanieren. Diese Menschen wollen wir nicht schlechterstellen. Es muss einen Ausgleich für alle geben. Wer die Möglichkeit hat, sich klimafreundlich zu verhalten, und das dann auch tut, hätte unterm Strich mehr Geld. Wichtig ist, dass die Menschen sichtbar etwas zurückbekommen. Sonst wachsen Unverständnis und Wut.
Klimaschutz allein über den Preis zu regeln wird kaum funktionieren. Wie stehen Sie zu Verboten?
Walter-Borjans: Wir sollten staatliche Lenkung nicht pauschal verteufeln! Es gibt absolut sinnvolle Ge- und Verbote. Nehmen Sie die Anschnallpflicht im Auto. Verbote treffen im Übrigen alle Menschen gleichermaßen, während höhere Preise für Geringverdiener einem Verbot gleichkommen und für Vermögende einem Freifahrtschein gleichkommen.
Esken: Oft ist die Bevölkerung weiter als die Politik. Die meisten Menschen sind längst für ein allgemeines Tempolimit. Wer einmal in Frankreich auf der Autobahn gefahren ist, merkt, wie entspannt man fährt, wenn nicht ständig einer von hinten mit Tempo 200 angebrettert kommt. Wenn die Mehrheit etwas will, muss Politik den Mut haben, es durchzusetzen – auch gegen den Protest von Lobbygruppen.
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Sehen Sie eine Chance auf Einigung mit der Union im Streit um Rüstungsexporte?
Esken: Der Koalitionsvertrag ist eindeutig. Wir wollen grundsätzlich weniger Rüstungsgüter liefern und gar keine an Staaten, die am Jemen-Krieg beteiligt sind. An diese Vereinbarung werden wir die Union erinnern.
Walter-Borjans: Bei europäischen Rüstungsprojekten haben sich Deutschland und Frankreich vor Kurzem auf eine De-minimis-Regel geeinigt. Wenn der deutsche Anteil an einem gemeinsam entwickelten Waffensystem kleiner als 20 Prozent ist, können die Franzosen verkaufen, an wen sie wollen, und wir haben kein Vetorecht mehr. Die Grenze lag früher bei 10 Prozent. Die Aufweichung stört nicht nur mich.
Mit der Regelung wurde ein langer europäischer Streit beigelegt. Fürchten Sie keinen Ärger mit Verbündeten?
Walter-Borjans: Warum müssen wir uns treiben lassen, möglichst viele europäische Waffen in die Welt zu schicken? Das sehe ich nicht ein. Am Ende brauchen wir eine restriktive europäische Regelung, hinter der sich alle Mitgliedsstaaten versammeln können.
Sie haben im Wahlkampf ein ambitioniertes Steuerkonzept vorgelegt. Inzwischen befürwortet selbst Friedrich Merz einen höheren Spitzensteuersatz. Haben Sie telefoniert?
Walter-Borjans: Das ist schon mal eine Ansage. Aber bitte nicht vergessen: Hohe Einkommen profitieren immer, egal, ob die Steuern unten oder oben gesenkt werden. Allein deshalb wäre ein höherer Spitzensteuersatz gerecht. Wir sollten besser darüber sprechen, wie viel Prozent Steuern vom Gesamteinkommen jemand bezahlen muss. Das wäre verständlich.
Was ist Ihre Antwort?
Walter-Borjans: Bei Spitzenverdienern fände ich es angemessen, wenn der Staat knapp die Hälfte ihres Einkommens einbehielte. Wer als Single 750 000 Euro im Jahr verdient, wird nicht arm, wenn er die Hälfte seines Gehaltes zur Finanzierung unseres Gemeinwesens abgeben muss. Die Belastung von Spitzeneinkommen war in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik höher als 50 Prozent – bis hin zur Amtszeit Helmut Kohls. Gemessen daran, wären Millionäre besser dran als damals.
Sie wollen zudem die Ausnahmen für Unternehmen bei der Erbschaftssteuer streichen.
Walter-Borjans: Es gibt keinen Grund, warum ein hohes Erbe nicht versteuert werden soll. Das gilt auch für vererbte Unternehmen. Viele Argumente für die Ausnahmen überzeugen mich nicht. Mit jeder Ausnahme und jedem Sondersachverhalt ist in der Vergangenheit Schindluder getrieben worden – zulasten der Allgemeinheit. Deshalb sage ich: Der Staat sollte auch bei Unternehmenserbschaften die Steuer nicht erlassen, sondern betriebsfreundlich strecken.
Viele Ansätze Ihrer Finanzpolitik widersprechen den Prinzipien von Olaf Scholz – Stichwort Schuldenbremse und schwarze Null. Nehmen Sie in Kauf, dass er irgendwann den Kurs nicht mehr trägt und abtritt?
Esken: Olaf Scholz war nach der Bekanntgabe des Ergebnisses der Urwahl unser erster Gesprächspartner. Er steht zu 100 Prozent hinter den Beschlüssen des Parteitags. Das gilt ausdrücklich auch für die Aussagen zur schwarzen Null.
Haben Sie sich schon entschieden, ob Sie in der GroKo bleiben wollen?
Esken: Zur Koalitionsdebatte haben wir den Leitantrag beschlossen. Damit ist ein starkes Mandat verbunden. Jetzt reden wir mit der Union über die Regierungspolitik. Wenn wir etwas Gutes hinbekommen, setzen wir die Koalition fort. Eine monatelange Hängepartie wird es nicht geben.
Walter-Borjans: Wir bleiben konstruktiv. Es gibt aber von uns keinen Blankoscheck für den Rest der Legislaturperiode.
Gibt es bei der nächsten Wahl einen SPD-Kanzlerkandidaten?
Walter-Borjans: Ich bleibe bei meiner Aussage. Man kann über einen Kanzlerkandidaten nicht die aktuellen politischen Mehrheitsverhältnisse drehen. Vor der Entscheidung über einen Kanzlerkandidaten müssen wir als Partei stärker werden. Daran arbeiten wir jetzt. Und dann werden wir natürlich mit einem Kanzlerkandidaten in die nächste Wahl gehen.