Erstmals seit 23 Jahren kommt wieder ein französischer Präsident zu einem offiziellen Staatsbesuch nach Deutschland. Der Zeitpunkt ist ebenso klug gewählt wie heikel.
Macron in DeutschlandEin Staatsbesuch zur klugen und heiklen Zeit
Es ist ein eigenartiges Aufeinandertreffen der Ereignisse. Während seit Tagen Teile der französischen Jugend anlässlich des Todes eines 17-Jährigen bei einer Polizeikontrolle auf die Barrikaden geht, wird sich Präsident Emmanuel Macron an diesem Dienstag in Dresden in einer Ansprache an die europäische Jugend wenden.
Das Gespräch mit dem deutsch-französischen Nachwuchskräftenetzwerk „Generation Europa“ ist der letzte Programmpunkt seines dreitägigen Staatsbesuchs in Deutschland, bei dem es diplomatischen Kreisen zufolge um den „Blick nach vorne“ gehen soll. Der Blick zurück fehlt trotzdem nicht ganz: Auf die Parallele mit der legendären „Rede an die deutsche Jugend“ von Macrons Vorgänger Charles de Gaulle im September 1962 in Ludwigsburg bei Stuttgart wies der Élysée-Palast im Vorfeld hin. Sie war damals ein wichtiger Baustein auf dem Weg der Aussöhnung der ehemaligen Kriegsfeinde.
Deutschland und Frankreich verstehen sich längst als Partner
Heute verstehen sich Deutschland und Frankreich längst als Partner. Und doch sei die symbolische Ebene neben allen Fachthemen und Arbeitstreffen wichtig, um die Beziehung noch zu verbessern, sagt Jeanette Süß, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Studienkomitee für deutsch-französische Beziehungen am Französischen Institut für internationale Beziehungen in Paris. „Der Zeitpunkt für den Staatsbesuch, den ersten eines französischen Präsidenten in Deutschland seit 23 Jahren, erscheint daher klug gewählt.“
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Paris habe sich von Berlin zuletzt nicht immer ernst genug genommen oder sogar übergangen gefühlt. So erwähnte Bundeskanzler Olaf Scholz Frankreich bei seiner Europa-Rede im August 2022 in Prag kein einziges Mal. Dann stieß Scholz die „European Sky Shield Initiative“ mit mehreren EU-Staaten zum Schutz des europäischen Luftraums an, die auf US-amerikanische und israelische Militärtechnik anstatt auf ein französisch-italienisches System setzt. Das wurde in Paris als Widerspruch zu den Bemühungen um eine „europäische Souveränität“ verstanden.
Macron erregte Unverständnis mit Alleingängen
In Deutschland wiederum errege Macron mit manchen Alleingängen Unverständnis, wie auch mit seiner Warnung in einem Interview, dass Europa im Konflikt zwischen China und Taiwan nicht zu einem „Mitläufer“ der USA werden dürfe. Bei Fragen der Energieversorgung weicht der Kurs beider Länder ohnehin grundsätzlich voneinander ab. Während Deutschland am Atomausstieg festhält, will Frankreich neue Kernreaktoren bauen und Atomstrom-Wasserstoff auf EU-Ebene als grüne Energie kennzeichnen. An einem Tiefpunkt befanden sich die bilateralen Beziehungen im vergangenen Herbst, als Paris ein geplantes Treffen des Deutsch-Französischen Ministerrates spontan verschob.
Ein Grund waren auch Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen den Industriekonzernen Krauss-Maffei Wegmann (KMW), Nexter und Rheinmetall, deren Entwicklung eines gemeinsamen Kampfpanzers, eigentlich ein großes deutsch-französisches Vorzeige-Projekt, ins Stocken geriet. Strittig bleibt, welches Land bei zentralen Technologiefeldern das Sagen haben soll und welches Unternehmen Hauptauftraggeber wird.
Jeanette Süß warnt jedoch davor, daraus sofort auf politische Probleme zu schließen: „Diese Unternehmen sind Konkurrenten und sollen nun plötzlich zusammenarbeiten und ihr Wissen miteinander teilen. Auch haben wir, abgesehen von Airbus, wenig Erfahrungswerte für so große Industrieprojekte.“
Staatsbesuch: Jubiläum des Élysée-Freundschaftsvertrages
Offizieller Anlass für den jetzigen Besuch ist zum einen das Jubiläum des Élysée-Freundschaftsvertrages, den de Gaulle und Konrad Adenauer im Januar 1963 schlossen. Aus ihm ging das Deutsch-Französische Jugendwerk hervor, das am nächsten Mittwoch sein 60-jähriges Bestehen feiert. Zum anderen hat das Deutsch-Französische Institut sein 75-jähriges Jubiläum. Es sitzt in Ludwigsburg, dem Ort von de Gaulles Rede an die Jugend. Und eben dort beginnt Macrons Reise mit einer ersten Begegnung mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Sie führt ihn dann weiter nach Berlin, wo Frankreichs Staatschef mit Scholz unter anderem eine Bootsfahrt über die Spree unternimmt, und endet in Dresden. Bei einem Besuch beim dortigen Fraunhofer-Institut sollen mehrere Kooperationsverträge mit dem französischen Forschungszentrum CEA unterschrieben werden.
Macrons „deutsche Promenade“ von West nach Ost, wie der Élysée die Reise nennt, erlaube ihm, die Gesellschaft des Nachbarlandes in seiner ganzen Vielfalt kennenzulernen. Es gehe um wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit, aber auch um den Sportbereich, da Paris im nächsten Jahr die Olympischen Spiele und Deutschland die Fußball-EM ausrichtet. Und eben um symbolisch wichtige Freundschaftsbekundungen zu einem Zeitpunkt, an dem Zusammenhalt in Europa besonders geboten ist.