US-PräsidentschaftswahlWas passiert, wenn Donald Trump nicht gehen will
Washington – Die USA halten den Atem an: Die Auszählung der Stimmen läuft nach der US-Wahl noch, da erklärt sich Präsident Donald Trump schon selbst zum Sieger. Dabei war das Rennen um das Weiße Haus noch nicht entschieden – und auch Trumps demokratischer Herausforderer Joe Biden zeigt sich weiter siegessicher. Ein Überblick, was Trumps Äußerungen in der Wahlnacht im Weißen Haus bedeuten:
Welche Auswirkung hat Trumps Siegesbehauptung?Trumps Aussagen haben zunächst einmal keinerlei rechtliche Wirkung, es handelt sich um einen politischen Schachzug. Er sät damit vor allem Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl. Er scheint darauf abzuzielen, einen womöglich später verkündeten Wahlsieg Bidens leichter angreifbar zu machen.
Trump kann die Auszählung der verbleibenden Stimmen jedoch nicht durch eine Siegeserklärung stoppen. Um die Auszählung oder einzelne Wahlergebnisse anzufechten, muss er vor Gericht ziehen. Genau das kündigte er im Zusammenhang mit der andauernden Stimmauszählung am Mittwochmorgen (Ortszeit) an. Er dürfte sich dabei auf Bundesstaaten konzentrieren, die den Wahlausgang beeinflussen dürften und in denen ein knappes Ergebnis erwartet wird - wie Pennsylvania.
Was hat das mit der Briefwahl zu tun?Wegen der Corona-Pandemie hatten viele Staaten nur Monate vor der Abstimmung die Regeln für die Briefwahl geändert, entweder Abläufe oder Fristen. Grob gesagt wollten die Demokraten das Abstimmen möglichst einfach machen, um eine hohe Wahlbeteiligung zu erreichen. Die Republikaner lehnten das ab.
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Bereits vor der Wahl hatte es daher zahlreiche Klagen gegeben, die in mehreren Fällen beim Obersten Gericht in Washington landeten. Dort hat Trump einen Heimvorteil: Sechs der neun Richter gelten als konservativ, drei davon hat der Republikaner selbst nominiert.
Nach dem Wahltag dürften Trump für solche Klagen Verzögerungen bei der Auszählung der Briefwahlstimmen gelegen kommen. Umfragen vor der Wahl legten nahe, dass die in den Wahllokalen abgegebenen Stimmen wohl eher zugunsten Trumps ausfallen würden, die Briefwahlstimmen eher für Biden. Nach dieser Logik wäre klar: je länger gezählt wird, desto enger könnte es für Trump werden.
Ist Trumps Verhalten überraschend?Es ist ein Bruch der politischen Normen, überraschend kommt das aber nicht. Der Republikaner hat bereits vor der Wahl mehrfach behauptet, dass sein demokratischer Widersacher nur gewinnen könne, falls es „massiven Wahlbetrug“ gäbe. Er hat immer wieder von Betrug bei der Briefwahl gesprochen, obgleich er dafür nie stichhaltige Beweise anführte. Zudem forderte Trump wiederholt, dass es noch in der Wahlnacht ein Ergebnis geben müsse. Die Forderung stand im Widerspruch zur geltenden Rechtslage und es war schon vorher absehbar, dass in mehreren Staaten Verzögerungen zu erwarten waren.
Zudem hatte Trump selbst schon nach seinem Wahlsieg 2016 von Betrug gesprochen, weil seine damalige Widersacherin Hillary Clinton knapp drei Millionen Direktstimmen mehr erhalten hatte als er.
Sind Verzögerungen bei der Auszählung in den USA normal?
Sie sind nicht ungewöhnlich. In diesem Jahr hatten wegen der Zunahme der Briefwähler bereits mehrere Bundesstaaten davor gewarnt. Die Auszählung der Stimmen ist wegen zusätzlich nötiger Arbeitsschritte komplexer als das Zählen der in Wahllokalen abgegebenen Stimmen. Der Gouverneur von Pennsylvania, Tom Wolf, etwa hatte die Bürger aufgefordert, sich zu gedulden. Die Auszählung könne etwas länger dauern als gewohnt, „sogar ein paar Tage, aber das ist in Ordnung“, sagte Wolf in einem Werbespot. „Denn es ist entscheidend, dass Ihre Stimme ausgezählt wird – und das wird sie auch.“
Jeder Bundesstaat hat andere Fristen, bis wann die Stimmen ausgezählt sein müssen, meist ist dafür aber reichlich Zeit eingeplant. Spätestens bis 8. Dezember müssen die Staaten dann ihre beglaubigten Wahlergebnisse nach Washington melden.
Wie kann es einen Wahlsieger geben, wenn das Zählen so lange dauert?In den USA ist es üblich, dass die Präsidentenwahl auf der Basis von Prognosen großer Medienhäuser meist noch in der Wahlnacht entschieden wird. Eine herausragende Stellung kommt dabei der Nachrichtenagentur AP zu: Das Unternehmen steckt viele Ressourcen in die Wahl und wird für seine Unabhängigkeit und Genauigkeit geschätzt. Sobald AP den Gewinner vermeldet, gilt die Wahl eigentlich als entschieden. Bislang haben weder AP noch Fernsehsender wie CNN oder Fox News das Rennen um die Präsidentschaft für entschieden erklärt.
Bei den meisten vergangenen Wahlen räumte der unterlegene Kandidat aufgrund der Prognosen und interner Informationen aus umstrittenen Bundesstaaten meist noch in der Wahlnacht seine Niederlage ein, spätestens am nächsten Morgen. Die eigentliche Auszählung der Ergebnisse und deren Beglaubigung zog sich indes immer länger hin.
Wäre das nicht Sache des Bundeswahlleiters?Es gibt in den USA auf Bundesebene kein Wahlamt und keinen Bundeswahlleiter, der als verbindliche und unabhängige Autorität zeitnah das letzte Wort hätte. In den USA gibt es 51 Wahlleiter: Die Bundesstaaten und die Hauptstadt Washington sind jeweils mit eigenen Gesetzen und Vorschriften für die Organisation der Wahl und das Auszählen der Stimmen verantwortlich. Streitfälle landen daher zunächst in den jeweiligen Bundesstaaten vor Gericht.
Könnten am Schluss also Richter die Wahl entscheiden?Bei einem knappen Wahlausgang könnte alles an ein oder zwei Bundesstaaten hängen. Wegen des Mehrheitswahlrechts könnten dort letztlich jeweils ein paar Hundert oder Tausend Stimmen entscheidend sein. Ein Rechtsstreit in einem Bundesstaat könnte bei einem knappen Ergebnis daher theoretisch zum Zünglein an der Waage werden.
Richter, selbst jene am Supreme Court in Washington, können nicht über den Ausgang der Wahl an sich entscheiden, aber sie können zum Beispiel über Fristen, Auszählungsregeln und die Zulassung von Stimmen befinden – in Einzelfällen könnte das ein Ergebnis kippen.
So ähnlich lief die Wahl 2000 ab: Ob George W. Bush oder Al Gore der nächste Präsident würde, hing damals nur am Auszählungsergebnis im bevölkerungsreichen Bundesstaat Florida. Der Rechtsstreit um das Ergebnis und Neuauszählungen zogen sich einen Monat hin, bis vor das Oberste Gericht in Washington. Danach räumte Gore seine Niederlage ein. Bush gewann mit 537 Stimmen Vorsprung, sicherte sich die Stimmen der Wahlleute Floridas und wurde US-Präsident.
Bis wann muss Klarheit herrschen?Die Bundesstaaten müssen ihre Endergebnisse bis zum 8. Dezember beglaubigen und nach Washington melden. Diese Frist, als „safe harbor“ bezeichnet („sicherer Hafen“), war zum Beispiel im Jahr 2000 bei Gores Entscheidung, seine Niederlage einzuräumen, entscheidend. Die Frist ist die Voraussetzung für die Abstimmung der 538 Wahlleute. Das soll dieses Jahr am 14. Dezember passieren. Das Ergebnis wird dann am 6. Januar im Kongress bekanntgegeben, am 20. Januar wird der Wahlsieger mit der Vereidigung ins Amt eingeführt.
Wer hat bis zu einer Beilegung des Streits die Macht?Ganz unabhängig vom Wahlausgang wird Trump die Geschäfte wie von der Verfassung vorgesehen weiterführen. Der neue Präsident wird erst nach seiner feierlichen Amtseinführung ins Weiße Haus einziehen und die Geschäfte übernehmen. Eine längere Phase der Unsicherheit wäre aber ungünstig, falls Biden letztlich gewinnen sollte, weil ihm und seinem Team dann viel weniger Zeit bliebe, sich auf die Regierungsgeschäfte vorzubereiten.
Was kann Biden jetzt tun?
Biden war Trump in der Nacht bereits zuvorgekommen und machte den Wählern in einer kurzen Ansprache deutlich, dass das Rennen noch nicht entschieden sei. Er gab sich siegessicher, betonte aber: „Ich oder Donald Trump können nicht verkünden, wer die Wahl gewonnen hat. Das ist die Entscheidung der Bürger Amerikas.“ Biden kann sich nun weiter an die Wähler wenden und Interviews geben. Sein Wahlkampfteam machte nach Trumps Äußerungen deutlich, dass es vor der Wahl viele Anwälte engagiert habe, um für Streitfälle bereitzustehen.
Welchen Schaden könnte Trumps Verhalten anrichten?Der von Trumps Aussagen provozierte Konflikt dürfte zu einer folgenschweren Phase der Unsicherheit führen: Die politische Spaltung des Landes in zwei verfeindete Lager dürfte sich weiter zuspitzen. Es könnte zu Protesten kommen, schlimmstenfalls auch zu Ausschreitungen.
Trumps Vorwurf, dass es Wahlbetrug gegeben haben soll, stellt die Rechtmäßigkeit der Abstimmung in Frage und dürfte den demokratischen Prozess langfristig beschädigen – vor allem in der Wahrnehmung seiner Anhänger. Falls Trump die Wahl letztlich verlieren sollte, dürfte er seine Vorwürfe auch nach der Amtsübergabe weiter äußern.
Und falls sich Trump im Weißen Haus einbunkert?Zwischen der Wahl und der Amtsübergabe im Januar werden mehr als zwei Monate vergehen, es gibt also hinreichend Zeit, Konflikte auszutragen und zu lösen. Trotzdem könnte es theoretisch zu einem Szenario kommen, in dem Trump sich trotz Ausschöpfung des Rechtswegs und einer Wahlniederlage weigert, abzutreten. In so einem Fall befänden sich die USA in einer Verfassungskrise ohne Gleichen. Es gibt dafür keinen klaren Fahrplan.
Für die ganz pessimistischen Beobachter gibt es auch noch das Katastrophenszenario: Trump mauert sich im Weißen Haus ein, es kommt zu Protesten und Ausschreitungen im ganzen Land. Trump könnte dann mit Unterstützung republikanischer Gouverneure die Nationalgarde mobilisieren, schließlich könnte er sogar das Kriegsrecht ausrufen („insurrection act“), um das Militär einzusetzen. Demonstranten könnten ebenfalls zu Waffen greifen, es drohten Chaos und Gewalt. So etwas ist in der US-Geschichte aber noch nie vorgekommen. (RND/dpa)