US-WahlFloridas Corona-Tote könnten Trump zum Verhängnis werden
Washington – Der Asthmaspezialist Dr. Ronald Saff aus Tallahassee in Florida ist ein erfahrener Arzt. Er hat gute Bewertungen im Internet, seine Patienten loben die Atmosphäre in seiner Praxis als „locker“ und „familiär“. Als Saff allerdings an diesem Wochenende an einer politischen Talkrunde zur Coronakrise im US-Staat Florida teilnahm, verlor er die Fassung.
Die politische Führung im Lande ist aus Sicht des Mediziners mehr als nur unfähig. Sie ist bösartig. Man solle sich nur einmal Floridas republikanischen Gouverneur Ron DeSantis ansehen, einen Parteifreund von Präsident Donald Trump. Es grusele ihn inzwischen vor diesem Mann: „Er kommt mir vor wie der Vertreter eines rechtsgerichteten Todeskults.“
Tag für Tag mehr als 100 Tote
Todeskult? Die Emotionen gingen hoch an diesem Wochenende, bei Onlineevents von Floridas US-Demokraten zur Coronakrise die für Zuschauer in der Region wie der Welt zu sehen waren. Tag für Tag fallen mittlerweile allein in diesem Bundesstaat mehr als 100 Tote an. Am Wochenende zählte Florida 414.511 Infektionsfälle – und überrundete erstmals New York. Floridas Demokraten jedenfalls haben ihr Thema gefunden. Florida, der Sunshine State, driftet voll Düsternis und Bitterkeit in die Präsidentschaftswahl.
Eigentlich sollte in der vielerorts paradiesischen Gegend zwischen Miami und dem Golf von Mexiko die CoronaKrise schon im Mai für beendet erklärt werden. Doch die Lockerungen kamen zu früh, sie gingen zu weit, und das Virus kehrte zurück, mit ungnädiger Wucht.
„Wir sind doch nicht in China“, höhnten freiheitsliebende Floridianer, als hier und da die ersten Bürgermeister versuchten, wenigstens auf kommunaler Ebene mit Maskenpflicht und Distanzregeln gegenzusteuern. Inzwischen sind alle etwas leiser geworden – auch, weil immer mehr Nachbarn betroffen sind. Die Floridianer blicken auf eine doppelte Krise, eine medizinische und eine ökonomische. Und die Verantwortlichen dafür sehen sie jeden Abend im Fernsehen.
In Florida lief schnell wieder business as usual
Als Präsident Donald Trump in Washington mit großer Geste die „Wiedereröffnung der Nation“ verkündete, war sein Parteifreund aus Florida, Gouverneur DeSantis, einer der Ersten, die den Wunsch erfüllten. Schon im Mai bekamen Bars, Restaurants und Stripclubs in Florida grünes Licht für business as usual. Das ging nach hinten los. Zuletzt schoss, nach fröhlichen Feiern am 4. Juli, die Zahl der Krankenhauseinweisungen in Florida um 79 Prozent in die Höhe.
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Die Leute ziehen jetzt aus all dem ihre Konsequenzen. Und die Demokraten leiten die Unzufriedenheit dezent, aber effizient, auf ihre Mühlen. So meldeten Floridas Demokraten am Sonnabend, ihnen sei es gelungen, 1,86 Millionen ihnen zuneigende Floridianer dazu zu bewegen, sich schon mal zur Briefwahl registrieren zu lassen – das sind 500.000 mehr als bei den Republikanern. „Wenn es so weiterläuft“, freut sich Terrie Rizzo, Parteichefin der Demokraten in Florida, „ sagen wir am 3. November goodbye zu Donald Trump.“
Florida ist der größte Swing State
Tatsächlich hat Florida eine große Bedeutung für die gesamte Präsidentschaftswahl: Unter den oft die Parteifarbe wechselnden Swing States ist Florida der mit Abstand größte. Hier geht es um 29 Wahlmänner. Hätte Trump vor vier Jahren nicht Florida mit 1,2 Prozentpunkten knapp gewonnen, wäre Hillary Clinton Präsidentin geworden.
Umgekehrt gilt auch: Wenn Trump Florida diesmal verliert, hat er die gesamte Präsidentschaftswahl verloren. Der Sender Fox News meldete zuletzt für Michigan (16 Wahlmänner), Pennsylvania (20) und Minnesota (10) einen wachsenden Abstand Bidens vor Trump. Nirgendwo ist ein US-Bundesstaat in Sicht, von dem ein sogenannter Flip zurück von Blau (Demokraten) zu Rot (Republikaner) zu erwarten wäre.
Trump muss also Florida unbedingt halten. Aber wie soll das gehen? Vielen Amerikanern, die darüber diskutieren, fallen nur noch wahnsinnige, verrückte Dinge ein. Etwa dass der Präsident einen Krieg mit China anfängt, im Südchinesischen Meer. Oder dass er Rassenunruhen quer durch die USA anstacheln werde und sich dann als starker Führer präsentiere – das F-Wort macht die Runde, gemeint ist Faschismus.
Doch ganz so weit ist es noch nicht. Die USA sind auch unter Trump kein rechtsfreier Raum geworden. Trump steht nicht nur nicht über dem Gesetz. Er kann sich auch nicht dauerhaft gegen die mächtigen Modernisierungsströmungen in seinem Land stemmen. „Immer neue Krater“ seien rund um Trump in letzter Zeit entstanden, heißt es unter amerikanischen Demoskopen. In den Vorstädten der USA, wo oft junge Familien mit mittlerem Einkommen aus unterschiedlichen Ethnien nebeneinander wohnen, bildet sich zunehmend ein Anti-Trump-Milieu heraus – sogar in bislang eher konservativen Staaten wie Texas.
In Florida kommen jetzt zu Trumps generellen Problemen noch sehr spezielle hinzu. Im Watergate-Komplex, einer nahe am Potomac gelegenen Bürolandschaft in der US-Hauptstadt, hat eine kleine, aber feine Publikation ihren Sitz, der „Cook Political Report“. Es gibt nur fünf Mitarbeiter rund um den 66-jährigen Gründer Charlie Cook, alle haben aber in Washington einen Ruf wie Donnerhall, bei Demokraten wie Republikanern.
Deshalb löste es Vibrationen aus, dass der „Cook Political Report“ am Wochenende mit Blick auf Florida offiziell einen Flip ausrief, das politische Umdrehen des Bundesstaats. Florida wird nun als Staat eingeordnet, der „zu den Demokraten tendiert“. Das Blau blieb zwar noch blass, aber auf einen Sieg Trumps setzt unter den Profis keiner mehr.
Die neue Angst der Alten
„Cook“-Analystin Amy Walter stieß in Florida auf eine tief liegende, für Trump gefährliche Strömung: Es ist die wachsende Angst der Älteren vor dem Virus. Lange habe Trump die Ernsthaftigkeit der Krise geleugnet. Die Wähler in Florida aber, im Durchschnitt etwas älter als andernorts, sähen das Coronavirus zu 83 Prozent als „ernsthaftes Problem“.
Trump, der die Jungen nie erreichen konnte, verliert nun auch die Gefolgschaft der Alten. Dieser Trend könnte die Wende markieren, den Anfang vom Ende des 45. Präsidenten der USA.