Was, wenn Trump verliert?„Biden würde Umarmungsstrategie gegenüber Europa fahren“
- Im Fall eines Wahlsiegs von Joe Biden wird der Druck auf Europa wachsen, mehr Geld für Verteidigung auszugeben.
- Das sagt Stefan Mair, der Vorsitzende der Stiftung Wissenschaft und Politik, im RND-Interview. Trotz der chaotischen Lage in den USA hat er Vertrauen in das dortige Rechtssystem.
Wird am Ende die Justiz darüber urteilen müssen, wer die Wahl gewonnen hat?Stefan Mair: Es ist äußerst wahrscheinlich, dass das Wahlergebnis im Fall einer Niederlage Trumps nicht akzeptiert wird. Es wird uns wahrscheinlich nicht erspart bleiben, dass Gerichte darüber urteilen müssen, welche ausgezählten Stimmen anerkannt werden. Mein Vertrauen in das amerikanische Rechtssystem ist weiterhin groß, dass die Justiz das Wahlergebnis nicht nachträglich verändern wird.
Gilt das, obwohl Trump viele Gerichte mit seinen Parteigängern besetzt hat?
Zunächst sind die Gerichte der Bundesstaaten gefordert, die längst nicht alle durch die Trump-Administration besetzt wurden. Zudem hat man in der Vergangenheit gesehen, dass Richter des Supreme Courts nicht zwingend die Entscheidungen treffen, die sich die Präsidenten wünschen, von denen die Richter eingesetzt wurden.
Was bedeutet die chaotische Lage in den USA für Europa?
Ich gehe davon aus, dass die USA in den nächsten Wochen und Monaten erst einmal mit sich selbst beschäftigt sein werden. Es wird heftige innenpolitische Auseinandersetzungen geben. Die USA werden noch weniger bereit sein, sich in internationale Konflikte einzubringen und internationale Politik zu betreiben. Sollte es einen Präsidenten Biden geben, wird es für Europa schwieriger werden, eine größere europäische Rolle beispielsweise im sicherheitspolitischen Bereich abzulehnen. Gleiches gilt für die Politik gegenüber China. In den vergangenen Jahren war es einfach, einen Präsidenten Trump abzublocken. Das wird uns mit einem Präsidenten Biden schwererfallen.
Aus dem einfachen Grund, weil Biden den Europäern ideologisch und kulturell näher ist?
Ja. Die Europäer haben ein großes Interesse daran, das transatlantische Verhältnis mit einem Präsidenten Biden wiederherzustellen. Biden würde von seiner Seite aus eine Umarmungsstrategie gegenüber Europa fahren, wodurch es für Europa schwieriger würde, zu den Anliegen der Amerikaner Nein zu sagen.
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Das heißt, mit Biden kommt Europa und insbesondere Deutschland an der von Trump so oft formulierten Forderung nach höheren Verteidigungsausgaben nicht mehr vorbei?
Die Debatte über die Verteidigungsausgaben lief ja auch schon zu Zeiten, als Barack Obama Präsident war. Auch Biden wird uns daran erinnern, dass sich Europa auf das Zweiprozentziel verpflichtet hat. Der Druck wird zunehmen.
Werden die USA und Europa unter einem möglichen Präsidenten Biden in der Russland- und Chinapolitik wieder an einem Strang ziehen?
Die Russland-Politik der vergangenen Jahre wurde eher vom Kongress als durch die Trump-Administration betrieben. Der Kongress wird wahrscheinlich bei einer sehr harten Haltung gegenüber Russland bleiben. Hier wird die Kluft zwischen Europa und den USA eher bestehen bleiben. Im Fall China sehe ich mehr Möglichkeiten, zu einer gemeinsamen Strategie zu kommen. Wir teilen über den Atlantik hinweg viele Ziele in Bezug auf China, hatten aber bisher das Problem, dass die US-Administration nicht bereit war, die daraus abgeleitete Strategie mit Europa zu diskutieren.
Welche Impulse sollte Europa von sich aus gegenüber den USA setzen?
Neben dem Bemühen um eine gemeinsame Linie mit China sollte Europa auch bei den notwendigen Reformen multinationaler Organisationen und der Verbesserung multilateraler Vereinbarungen auf die USA zugehen. Reformbedarf gibt es bei der Welthandelsorganisation WTO, bei der Weltgesundheitsorganisation WHO, bei der UN, aber auch in der internationalen Klimapolitik.