Der Kanzler ist überzeugt, dass er alles besser weiß. Dass er es auch besser kann, erscheint spätestens seit dem Karlsruher Haushaltsurteil fraglich. An diesem Dienstag hält er eine Regierungserklärung. Ob er für den Finanzmurks um Entschuldigung bittet? Über den Tiefpunkt in der Karriere des 65-Jährigen.
Vom Scheitern des Olaf ScholzIst das der Karriere-Tiefpunkt des Bundeskanzlers?
Olaf Scholz muss die Frage nach seinem Rücktritt beantworten. Er räumt ein, dass etwas gewaltig schief gelaufen ist. Für einen Moment könnte man glauben, er verzichtet deshalb auf sein Amt. Aber schnell ist klar: Er wäre nicht Olaf Scholz, wenn er als Hamburgs erster Bürgermeister auf diese Weise die Verantwortung für die Ausschreitungen beim G20-Gipfel 2017 in seiner Stadt übernähme. Ja, er habe vorher eine Sicherheitsgarantie gegeben, sagt er am Tag nachdem das Schanzenviertel brannte. Und: „Es ist nicht gelungen, was ich versprochen habe.“ Konsequenz? Keine. Beziehungsweise diese: eine „sorgfältige“ Aufarbeitung. Er hält noch eine Regierungserklärung und entschuldigt sich.
Einige Monate später ist er zum Bundesfinanzminister aufgestiegen. Scholz hat Steher-Qualitäten. Die Blamage vor der politischen Weltelite konnte ihm nichts anhaben, wenngleich sie ihn bis heute wurmt und sie lange der wohl heikelste Moment in seiner Karriere war. Bis zum 15. November 2023.
Zweiter Nachtragsetat für verfassungswidrig und nichtig“ erklärt
Da gab das Bundesverfassungsgericht einer Klage der Union statt und erklärte den zweiten Nachtragsetat für 2021 „für verfassungswidrig und nichtig“. Scholz trägt als Bundeskanzler - und Ex-Finanzminister - die Hauptverantwortung für den ersten Verfassungsbruch dieser Art einer Regierung. Ausgerechnet er, der wie ein Mann auftritt, der sich für unfehlbar und die meisten anderen für ahnungslos hält.
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Wenn die Pferde mit ihm durchgehen, spricht er ihnen sogar das Denken ab. Sowohl bei Kundgebungen, wenn ihn Störer wegen der Waffenlieferungen an die Ukraine einen Kriegstreiber schimpfen, als auch im kleinen Kreis, wenn ihm widersprochen wird. „Wenn Ihr Verstand in Euren Hirnen hättet!“, entfährt es ihm dann etwa. Und nun haut Karlsruhe dem Juristen Scholz die Finanzpolitik um die Ohren, als hätte ihn und seine Ampel der Verstand verlassen.
Nicht genutztes Geld wurde verfassungswidrig verwendet
Die gerade gebildete Ampel-Koalition hatte nicht genutzte Kreditermächtigungen im Umfang von 60 Milliarden Euro zur Bewältigung der Corona-Pandemie in einen Klima- und Transformationsfonds umgebucht - um die Schuldenbremse zu umgehen und trotzdem zu investieren. So wurde dem neuen Finanzminister Christian Lindner (FDP) das Festhalten an der Schuldenbremse ermöglicht und Wirtschaftsminister Robert Habecks (Grüne) der Wunsch nach Förderung von Klimaschutz und Wirtschaft erfüllt. War aber verfassungswidrig. Dabei gab es Warnungen. Im sowie und dem Bundesrechnungshof waren die Buchungstricks lange aufgefallen.
Scholz selbst mag sich aber in seinem viel zitierten Hamburger Credo bestärkt gefühlt haben, wer bei ihm „Führung bestellt, müsse auch wissen, dass er sie dann auch bekommt.“ Hört sich an wie eine Drohung. Hat er im Laufe seiner bisher zweijährigen Amtszeit als Kanzler dann aber nicht wirklich wahrgemacht.
Für die Schlichtung des Atomstreits zwischen Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck musste Scholz gleich 2022 seine Richtlinienkompetenz ziehen, er hielt viel zu lange an Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin fest, ließ die Wirren um Habecks Heizungsgesetz mit zunächst geplantem Einbauverbot neuer Gasheizungen ab 2024 laufen, ebenso den Streit um die Kindergrundsicherung bis er der Familienministerin einen Brief schrieb.
Das anfängliche Vertrauen zum Kanzler scheint verpufft
Scholz zögert oft, so auch mit der Klarstellung Anfang 2022, was denn der hohe Preis für den russischen Präsidenten Wladimir Putin sein würde, wenn er die Ukraine überfällt. Nachdem der Kremlchef es dann getan hat, betonte Scholz oft, dieser hätte nie mit der Solidarität und dem Zusammenhalt der Nato-Staaten gerechnet. Manche hätten sich gewünscht, dass Putin genau das zur Abschreckung vorher gewusst hätte.
Aber Scholz hält wenige Tage nach dem Überfall eine bärenstarke Rede im Bundestag, spricht von einer Zeitenwende - das wird zum Wort des Jahres -, und kündigt ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr an. Auch dies an der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse vorbei - aber gemeinsam mit der Union ebenfalls im Grundgesetz verankert. Der Nachfolger der Langzeit-Kanzlerin Angela Merkel überzeugt mit Tatkraft. Und Mut. Er gibt Sicherheit und schafft Vertrauen. Aber dieses Gefühl in der Bevölkerung erscheint jetzt so gut wie verpufft. Zu viel Unsicherheit, zu großer Vertrauensverlust. Jedenfalls besagen das zahlreiche Umfragen.
Scholz hat den Wahlkampf mit eingängigen Slogans gewonnen. Und wegen der Schwäche seiner Konkurrenten. Aber „12 Euro Mindestlohn“ und „Respekt“ - das hat schon gezogen. Den Mindestlohn hat er durchgebracht. Aber wen er alles mit Respekt gemeint hat, ist nicht immer ganz klar. Unionsfraktionschef Friedrich Merz zum Beispiel fühlt sich verschaukelt, weil Scholz ihn zu Gesprächen über den Deutschlandpakt ins Kanzleramt eingeladen, auf Vorschläge dann aber erst einmal nicht mehr reagiert habe. Die beiden Männer schrieben sich danach im Ton süffisante Briefe. Gebracht hat es bisher nichts.
Regierung stoppt vorsorglich den Wirtschaftsstabilisierungsfonds
Es kriselt immer wieder, doch durch das Karlsruher Urteil wird die selbsternannte Fortschrittskoalition dem Belastungstest unterzogen, ob sie noch genügend Kitt für den Zusammenhalt hat. Die Regierung hat vorsorglich selbst auch gleich den Wirtschaftsstabilisierungsfonds gestoppt. Hier geht es um 200 Milliarden Euro. Unsummen müssen aufgetrieben werden, um die geplanten, für die Wirtschaft so wichtigen Investitionen aufzutreiben. Ohne drastische Ausgabenkürzungen wird es kaum gehen, wenn die Regierung nicht auch 2024 die Notlage zur weiteren Aussetzung der Schuldenbremse erklären. Noch ist fraglich, ob das mit Lindner zu machen ist. Viel mehr als das Nein zu Steuererhöhungen und das Ja zur Schuldenbremse hat die FDP nicht. Und in der Partei wird ein Mitgliedervotum gestartet, ob sie die Koalition verlassen soll.
Scholz´ Krisenmanagement seit dem Gerichtsurteil wirft Fragen auf. Wobei Management überhaupt etwas hochgegriffen erscheint. Zunächst kündigt er wieder eine „sorgfältige“ Betrachtung an. Neun - neun - Tage später versucht er mit einer Videobotschaft die Bevölkerung zu beruhigen. Sie dauert zwei Minuten und 48 Sekunden. Scholz versichert, Hilfen wie die Strom- und Gaspreisbremsen seien weiterhin möglich. Zeitgleich verkündet der Finanzminister, dass die Energiepreisbremsen zum Jahresende auslaufen. Was denn nun? Wieder einmal ist die Verwirrung perfekt. Schlauer ist man nach Scholz´ Video nicht.
Tiefpunkt zur Halbzeit der Legislaturperiode
Zwischenzeitlich stellt sich der eine oder die andere in der Koalition darauf ein, ab Januar wieder Wahlkampf zu machen. Tiefpunkt zur Halbzeit der Legislaturperiode. In der SPD wünscht man sich, dass Scholz nun Führung liefert. Die habe man doch bei ihm bestellt. Übernächstes Wochenende ist Bundesparteitag mit Vorstandswahlen. Die Sozialdemokraten brauchen dringend eine Aufmunterung.
Viel Zeit zum Nachdenken, zur Erarbeitung eines Plan B - der wäre nach dem Haushaltsurteil ein Segen gewesen-, hat Scholz aber nicht. Sein Terminkalender erscheint vielen als völlig überdimensioniert. Selbst für einen Bundeskanzler. So mag es auch dazu gekommen sein, dass Scholz im August 2022 unmittelbar nach Rückkehr von einer Auslandsreise noch ganz schnell Palästinenserchef Mahmoud Abbas traf und dann nicht schaltete, als der in der Pressekonferenz Israels Vorgehen als „Holocaust“ bezeichnete. Für Scholz warf sich dann sein Regierungssprecher Steffen Hebestreit in den Staub: Er habe die Pressekonferenz zu früh beendet. Als könnte sich der Bundeskanzler nicht, wann immer er will, das Wort nehmen.
SPD ist von 25 auf 15 Prozent gesunken
In seiner ersten Regierungserklärung als Kanzler vor fast zwei Jahren hatte er den Menschen - damals noch unter dem Eindruck der Corona-Pandemie - versprochen, dass sie durch Zusammenhalt, Solidarität, Respekt, Ehrgeiz, Fortschritt und Aufbruch am Ende dieses Jahrzehnts sagen werden: „Ja, es geht gut aus für mich.“ Mittlerweile hat die Ampel in Umfragen zu dritt nur noch geringfügig mehr Zustimmung als die Union allein. Die SPD ist demnach von 25 auf 15 Prozent gesunken - die AfD zweitstärkste Kraft. Ob das wirklich gut ausgeht?
Der Bundeskanzler ist zweifelsohne ein Intellektueller. Er ist belesen, er kennt das Alte und das Neue Testament, schätzt etwa die Werke des US-amerikanischen Philosophen Michael Sandel, überhaupt interessiert er sich vor allem für Sachbücher wie „Die Ordnung der Welt“ von Ulrich Menzel oder „Die Gesellschaft der Singularitäten“ von Andreas Reckwitz. Aber er hat auch Karl May gelesen. Jeden Band. Jeden, betont er. Jedenfalls sicher mehr Bände als alle anderen. Er lese Akten mitunter genauer als manch Fachministerinnen und -minister, heißt es. Und seine Wehrdienst-Verweigerung will er auch schlauer als jeder andere begründet haben. Scholz sei ein Besserwisser, aber er wisse auch immer alles, verteidigen ihn Sozialdemokraten. Es verwundert manch einen dann nur, dass er mangels Erinnerung ausgerechnet interessante Fragen bei der Aufarbeitung eines Cum-ex-Skandals um Steuerhinterziehung in Hamburg nicht beantworten kann.
Scholz verspielt sich Sympathien
Es ist vielleicht nicht so intelligent, jeden spüren zu lassen, für wie überlegen er sich hält. Scholz verdirbt sich wohl so Sympathien, die Politiker vor allem brauchen, wenn sie Fehler gemacht haben und es nicht gut läuft. Wenn in solchen Krisen viele eine Geschichte erzählen können, wie Scholz sie abgemeiert habe, könnte das politisch gefährlicher werden als der Fehler selbst.
So werden jetzt Anekdoten hervorgekramt, wie Scholz in Sitzungen - etwa im Koalitionsausschuss - anderen über den Mund gefahren sei und Debatten mit dem Verweis auf sein Amt habe beenden wollen. Oder wie Bayerns Ministerpräsident einmal Scholz „schlumpfiges Grinsen“ vorgehalten hat, weil der in einer Ministerpräsidentenkonferenz so arrogant aufgetreten sei, dass Markus Söder (CSU) nicht mehr an sich halten konnte. Da war Scholz noch Hamburgs Erster Bürgermeister.
An diesem Dienstag hält Scholz im Bundestag wieder eine Regierungserklärung. „Zu all den Fragen“ rund um das Karlsruher Urteil. Die er in seiner Videobotschaft am vorigen Freitag nicht beantwortet hat. In Hamburg hatte Scholz damals die Bürgerinnen und Bürger um Entschuldigung gebeten - und das Chaos überstanden. Ob er das jetzt ja wieder macht? Ob es auch für ihn gut ausgeht?