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Weisband zum Holocaust-Gedenktag„Ich habe Morddrohungen von Antisemiten bekommen“

Lesezeit 14 Minuten
Marina Weisband dpa

Marina Weisband

  1. Zum Holocaust-Gedenktag halten in diesem Jahr Charlotte Knobloch und Marina Weisband Reden.
  2. Die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden und die Politikerin der Grünen kritisieren, dass in Deutschland zwar viel der Opfer des Nationalsozialismus gedacht werde.
  3. Über jüdisches Leben heute sei hierzulande aber immer noch sehr wenig bekannt. Ein Interview.

Berlin – Vor 25 Jahren wurde der „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ in Deutschland eingeführt. Am 27. Januar 1945 hatten sowjetische Truppen das Vernichtungslager Auschwitz befreit. Dieses Jahr wird noch an ein anderes Datum erinnert: Vor 1700 Jahren wurden die ersten Juden auf dem Gebiet des späteren Deutschland urkundlich erwähnt. Im Bundestag werden in diesem Jahr zwei Gedenkreden gehalten – von zwei deutschen Jüdinnen aus zwei Generationen.

Frau Knobloch, Frau Weisband, in diesem Jahr feiern wir ein Jubiläum, von dem bisher fast niemand etwas wusste – die früheste Erwähnung von Juden in einem Gebiet, das heute zu Deutschland gehört. Das war vor 1700 Jahren in Köln. Was bedeutet dieses Datum?

Marina Weisband: Es ist ein zufälliges Datum. Wahrscheinlich sind Juden, da sie in diesem Jahr Rechte bekommen haben, sogar noch länger auf dem Boden des heutigen Deutschlands heimisch. Aber alle Daten, an denen wir irgendetwas feiern, sind in irgendeiner Weise zufällig. Geburtstage sind zufällig. 1700 Jahre Juden in Deutschland ist ein wichtiges Datum, weil es uns daran erinnert, dass das jüdische Leben schon immer, solange diese kollektive Gesellschaft denken kann, Teil der hiesigen Kultur war. Und das lenkt den Blick darauf, dass wir mehr sind als die Shoah. Jüdisches Leben und jüdische Kultur sind integraler Bestandteil dessen, was man heute als deutsche Kultur bezeichnen würde.

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Zu den Personen

Charlotte Knobloch (88) ist seit 1985 Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde in München und war von 2006 bis 2010 Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Marina Weisband (33) ist Diplom-Psychologin, Co-Vorsitzende des digitalen Thinktanks D64 und Grünen-Mitglied. 2011/2012 war sie als politische Geschäftsführerin Frontfrau der Piratenpartei.

Charlotte Knobloch: Herr Sternberg, Sie haben einleitend drei Worte gesagt, die Tatsache sind, und zwar, dass „niemand das weiß“. Das ist unser Problem. Das jüdische Leben und die jüdische Gemeinschaft sind vielen unbekannt. Auch durch die Feier dieser 1700 Jahre können wir werden, was ich mir immer gewünscht habe: wirkliche Mitglieder der deutschen Gemeinschaft. Durch das Festjahr wird ganz offen und klar dargestellt, dass es jüdisches Leben schon seit langem hierzulande gab. Das beantwortet auch die Fragen, die mir immer noch und immer wieder gestellt werden: Wann gehen Sie eigentlich zurück in Ihre Heimat? Wie lange sind Sie schon da? Sind Sie auch übers Meer gekommen? Ich hoffe, dass die Feier der 1700 Jahre auch dazu führt, dass die Menschen, mit denen wir zusammenleben, sich Gedanken machen, welche Vorurteile sie haben, welche Rolle Antisemitismus heute spielt. Wir wissen ganz genau, was aus Vorurteilen alles werden kann.

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Charlotte Knobloch, die frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden

Frau Knobloch, Sie gehören zur Generation der Überlebenden, die viele Jahre im Nachkriegsdeutschland auf gepackten Koffern saß. Frau Weisband, Sie sind ja mit sieben Jahren mit Ihrer Familie aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Gab es jeweils einen Moment, an dem Sie sagten: Ja, ich gehöre hier hin?

Charlotte Knobloch: Den Moment kann ich Ihnen genau beschreiben. Es war die Eröffnung der Synagoge am Jakobsplatz in München. Es hat nach den ersten Planungen fast 20 Jahre gedauert, bis wir 2006 die Synagoge eröffnen konnten. In meiner Ansprache habe ich einen Satz gesagt, der mich viele Jahre begleitet hatte und den ich nie aussprechen konnte. Aber da habe ich ihn ausgesprochen: „Heute haben wir, die jüdische Gemeinschaft in München, die Koffer ausgepackt.“ Die Koffer waren gepackt, all die Jahrzehnte, in denen Opfer und Täter des Holocaust nebeneinanderher lebten. Die Koffer standen nicht auf dem Speicher, sie standen hinter der Türe. Es musste sich erst entwickeln, dass ich diesen Satz sagen konnte. Die Überzeugung, dass dieser Satz richtig war, wurde mir trotz allem bis heute nicht genommen.

Frau Weisband, wie sind Sie in Deutschland angekommen?

Marina Weisband: Wir waren als Flüchtlingsgruppe sehr privilegiert gegenüber anderen, die hierherkommen. Wir hatten zwar auch Notwohnungen, wurden zugeteilt und haben zunächst von Hilfe gelebt. Aber wir haben diese Hilfe bekommen. Wir haben gleich Deutsch lernen dürfen. Die Abschlüsse wurden nicht anerkannt, aber man hat trotzdem das Gefühl gehabt, willkommen zu sein in Deutschland. Wir waren es sicherlich auch. Allerdings gehörte dazu eine gesellschaftliche Erwartung, nämlich dass wir irgendwie jüdisch sein mussten. Wir hatten eine gesellschaftliche Funktion, als wir angekommen sind. Deutschland importierte Juden. Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass meine Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft durchaus bedingt ist und dass, wenn es hart auf hart kommt, sich die Dinge auch ändern können. Für mich war der Moment, an dem ich gesagt habe, ich bin ein Teil der deutschen Gesellschaft, tatsächlich der Moment meiner ersten Wahl.

Was passierte da?

Marina Weisband: Als ich die deutsche Staatsbürgerschaft hatte und als ich wählen durfte, hat mich das so überwältigt, dass ich am gleichen Tag gesagt habe: Ich trete in eine Partei ein. Seitdem bin ich politisch aktiv, obwohl ich vorher nie Nachrichten geschaut habe, nie Zeitung gelesen habe, nie irgendetwas gemacht habe. Das wiederum rief die ganzen Antisemiten auf den Schirm. Ich habe Morddrohungen bekommen, alleine aufgrund dessen, wie ich geboren bin. Als Teil der deutschen Gesellschaft muss ich auch immer aktiv in einer Art Kampf, in einer Art aktiven Verteidigungshaltung der Demokratie sein.

Holocaust-Mahnmal

Blumen liegen am Dienstag auf einem Steinquader des Berliner Holocaust-Mahnmals. Am 27. Januar begeht Deutschland den Holocaust-Gedenktag.

Mussten Sie eine jüdischere Familie sein, als Sie es in der Ukraine waren?

Marina Weisband: Niemand hat das überprüft und bei uns ist es auch nie so geworden. Meine Eltern sind beide Atheisten. Ich bezeichne mich als nicht religiös, aber gläubig. Ich glaube, was viele Deutsche immer noch nicht verstehen, dass wir neben der Religionsgemeinschaft auch eine Volksgemeinschaft und eine Schicksalsgemeinschaft sind. Das konnte man auch in der Sowjetunion nicht ablegen, das kann man nirgendwo ablegen, egal wo man ist, egal wohin man geht, egal welchen Lebensweg man einschlägt oder wie stark man sich selbst für das Thema interessiert. Man wird niemals vergessen können, wer man ist. Gleichzeitig hilft es auch wegen der Solidarität untereinander. Ich möchte zu einem gesunden Verhältnis dessen kommen, wie man gleichzeitig Mitglied einer Minderheit ist, die von einer Solidarität füreinander lebt und die einen kritischen Blick auf bestimmte Gefahren hat – und Mitglied der deutschen Gesellschaft zu sein. Wie kann die Gesellschaft als Ganzes auf die Minderheiten hören, die Frühwarnsysteme haben, zum Beispiel für eine Verschiebung der Demokratie?

Frau Knobloch, Sie haben die Shoah überlebt, weil Sie als ein nichtjüdisches Kind ausgegeben wurden. War Ihnen in dem Alter eigentlich klar, was Sie waren und was Sie nicht sein durften?

Charlotte Knobloch: Bevor ich in die Hände der Menschen kam, die mir das Leben retteten – und ihr eigenes dabei natürlich gefährdeten – habe ich bereits die sogenannte Reichskristallnacht am 9. November 1938 erlebt. Ich habe spüren müssen, was es heißt, ein jüdisches Kind zu sein. Ich durfte nicht mit nichtjüdischen Kindern spielen. Ich habe als junges Kind schon erlebt, dass ich ausgegrenzt bin. Und vor allem, dass ich anders bin. Was ich war, habe ich als Kind nur sehr schwer verstanden.

Mit wem konnten Sie darüber sprechen?

Charlotte Knobloch: Ich habe immer meine Großmutter gefragt, die mich erzogen hat: Warum bin ich nicht so wie die anderen? Warum bin ich anders? Das hab ich nicht verstanden. Aber ich musste mich in das einfügen, was die Zeit von den Juden forderte. Als ich 1942 auf den Hof nach Franken kam…

… die Familie der ehemaligen Hausangestellten Ihres Vaters, Kreszentia Hummel, nahm Sie auf. Fortan hießen Sie Lotte Hummel …

… da habe ich gewusst, dass das meine Lebensrettung sein kann. Mir war klar, als ich meinen Vater verabschiedet habe, dass ich nicht damit rechnen kann, ihn wiederzusehen, auch, wenn er am Ende – Gott sei Dank –überlebte. Ich habe meine Großmutter verabschiedet und ich wusste ganz genau, dass ich sie nie mehr sehen werde. Das habe ich in diesem jungen Leben alles mitbekommen. Ich hatte ja die Menschen gesehen, die mit ihren Deportationsbefehlen zu meinem Vater kamen, und hofften, dass er als Jurist ihnen helfen kann. Natürlich war klar, dass meine Retter sich selbst gefährden. Und deswegen hab ich sehr Obacht gegeben, wenn mich jemand in irgendeiner Form mit Fragen belästigt hat, dass ich meine Identität nicht preisgebe.

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In den vergangenen Jahren, beschleunigt durch die Corona-Krise, hat der Verschwörungsantisemitismus neue Formen gefunden. Gibt es dagegen eine Strategie – der Sicherheitsbehörden oder eine der Gesellschaft?

Marina Weisband: Die Behörden machen langsam kleine Fortschritte dabei, Onlineradikalisierung überhaupt als Problem zu verstehen. Womit wir es zu tun haben, ist stochastischer Terrorismus. Das ist Terrorismus, bei dem es nicht einen Befehl gibt, sondern bei dem die Stimmung einfach soweit angeheizt wird, bei Untergruppen der Gesellschaft in Teilen des Internets, die wir alle gar nicht sehen, bis die Wahrscheinlichkeit einfach wächst, dass irgendwo irgendjemand ausrastet und etwas passiert. Eine unserer Chancen ist auf jeden Fall, dass es zu früh passiert, bevor es anschlussfähig wird an die Mehrheit.

Wie meinen Sie das?

Marina Weisband: Als Reaktion auf den Sturm auf das Kapitol kommt es endlich zu etwas, was wir als Betroffene seit Jahren fordern, nämlich deplatforming. Also dass man den Menschen, die hetzen, die anderen das Menschsein absprechen, gezielt Plattformen entzieht, dass man ihre Accounts sperrt, dass man sie nicht in Talkshows einlädt, dass man sie nicht zu Interviews einlädt. Da ist Deutschland noch nicht sehr weit, weil wir jede Sau durchs Dorf treiben, jeden Antisemiten interviewen, bei allem auf den Grund gehen. Wo sind die Grenzen der Satire? Darf man das sagen? Was meinte der denn? Wir geben ihnen reichlich Raum, sich zu entschuldigen und sich selbst in die Nachrichten zu bringen. Wenn wir jedem Juden so viel Bühne geben würden, um vom normal jüdischen Leben zu erzählen, wie wir Antisemiten geben, dann hätten wir dieses Problem in dieser Form nicht.

Frau Knobloch, was befürchten Sie in diesem Wahljahr an Radikalisierungen?

Charlotte Knobloch: Ich würde mir wünschen, dass dieses Thema parteiübergreifend aufgegriffen wird, dass es eine Geschlossenheit der Demokraten gegen diese Entwicklung gibt. Was Frau Weisband ganz richtig angemerkt hat: Diese Plattformen sollten nicht ungehindert zur Verbreitung von Hass genutzt werden können. Ich habe im Herbst eine Querdenker-Versammlung vor meiner Haustüre gehabt. Ich habe gemeint, ich höre wieder die Stimme von Goebbels. Das war so einschneidend, das war so wutentbrannt, wie die Redner gesprochen haben. Und die Bravorufe haben entsetzlich geklungen. Da hab ich mich gefühlt, als würde das Dritte Reich wieder auferstehen. Dem muss Einhalt geboten werden. Das geht nicht. Unsere Demokratie kann das nicht aufnehmen, was da geboten wird.

Frau Weisband, Sie haben nach dem Sturm aufs Kapitol auf Twitter geschrieben: „Deshalb brauchen wir die Antifa“. Die AfD will Ihnen deswegen das Recht aberkennen, im Bundestag zu sprechen. Wie reagieren Sie darauf?

Marina Weisband: Ich würde mir mehr Sorgen machen, wenn die AfD mich gern im Bundestag sähe. Natürlich gehört antifaschistische Arbeit untrennbar zu einer Demokratie dazu. Das ist ihr Immunsystem.

Frau Knobloch, müssen Demokraten auch Antifaschisten sein?

Charlotte Knobloch: Ich bin der Antifa schon begegnet auf verschiedenen Veranstaltungen. Ich habe da nie was Negatives feststellen können, aber alle müssen natürlich aufpassen, dass sie sich im Raum unserer Gesetze bewegen. Wir brauchen junge Leute, die für unsere Demokratie, die es Gott sei Dank gibt, tatkräftig einstehen.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde von Halle, Max Privorozki, hatte mir vergangenes Jahr gesagt, er habe nach dem Anschlag auf die Synagoge viel mehr Hoffnung als vorher, dass sie als jüdische Gemeinde zur Stadtgesellschaft, zur deutschen Gesellschaft gehören. Er habe so viel Solidarität erfahren. Werden Juden als Opfer, als Überlebende leichter akzeptiert von „den Deutschen“?

Marina Weisband: Als Mensch fällt es mir sehr leicht, akzeptiert zu werden in der deutschen Gesellschaft. Es gibt aber immer Rollenerwartungen in einer Gesellschaft. Die Art, wie wir im nichtjüdischen Kontext Geschichten über Juden erzählen, ist sehr opfergeprägt. Das sieht man daran, wie empfindlich Medien auf wehrhafte Jüdinnen reagieren. Sie entsprechen nicht der Rollenvereinbarung. Ich gucke jetzt mit meiner Tochter Zeichentrickfilme, in denen unter anderem die Shoah ein Thema ist. Die Filme sind in Farbe, die Kinder sind alle in Farbe, und die jüdischen Kinder haben sehr weiße Haut. Das erinnert an diese Schwarzweißfotos aus den Konzentrationslagern. Alle Jüdinnen sind schwarz-weiß. Es ist sehr schwer für uns, jüdisches Leben in Deutschland zu etablieren. Ich werde ständig gefragt zu Antisemitismus. Ich werde ständig gefragt für Gedenkveranstaltungen. Ich habe in vielen Erzählcafés mit Holocaust-Überlebenden gearbeitet. Aber wenn ich einen Stammtisch machen will, um jüdische Studierende zusammenzubringen außerhalb der Gemeinde, dann darf ich keine Veröffentlichung machen, in der Zeit und Ort stehen – aus Sicherheitsgründen. Der Gedenkmodus ist erwünscht, er hat für die Deutschen eine Funktion. Die sind auf Versöhnung aus. Hier gibt es etwas zu vergeben. Man möchte sich gut fühlen. Man möchte die Hand reichen und diese schreckliche Geschichte vergraben. Irgendwo. Und gleichzeitig gibt es so wenig Chancen, ein öffentliches, aktives jüdisches Leben zu führen, das nicht im Schatten der Shoah steht.

Es gab im Herbst in Hamburg eine Attacke auf einen Kippa tragenden Synagogenbesucher. Der Täter wird jetzt nicht wegen eines antisemitisch motivierten Angriffs angeklagt, weil er psychisch krank ist. Wie gehen Sie mit so etwas um?

Charlotte Knobloch: Es sind besonders in den vergangenen Jahren viele Gerichtsurteile gefällt worden, für die ich überhaupt kein Verständnis aufbringen kann. Ich habe keinen Zweifel, dass immer nach Recht und Gesetz entschieden wurde, aber für den gesellschaftlichen Frieden und besonders für das Sicherheitsgefühl der jüdischen Gemeinschaft war das oft nicht förderlich. Es wäre richtig, wenn Jurastudenten das Thema Antisemitismus und Hass auf Minderheiten in ihrer Ausbildung stärker vermittelt bekämen, weil sie dann die Gesetze mit einem Gespür für solche Themen auslegen könnten. Momentan bin ich da in mancher Hinsicht schockiert.

Im Umfeld des Halle-Prozesses haben sich junge Jüdinnen und Juden mit den Hinterbliebenen des Anschlags von Hanau vernetzt und wollen Antisemitismus und Rassismus gemeinsam bekämpfen. Macht Ihnen das Hoffnung?

Charlotte Knobloch: Auf jeden Fall; gesellschaftlicher Beistand ist heute so wichtig wie noch nie. Ich war total überrascht, wie viele positive Schreiben ich inzwischen bekomme von Menschen, die uns ihre Unterstützung zusagen. Das war vor einigen Jahren nicht der Fall, da hab' ich nur bösartige Zuschriften bekommen. Wir müssen diejenigen unterstützen, die auf unserer Seite sind und das auch nicht nur sagen oder denken, sondern auch zeigen, dass sie für uns da sind. Die bösartigen Zuschriften sind aber immer leider noch in der Überzahl.

Marina Weisband: Wir haben nach Halle gesehen, dass sich sehr viele Muslime mit Juden solidarisiert haben. Wir haben nach Hanau gesehen, dass sich sehr viele Juden mit Muslimen solidarisiert haben. Wir Minderheiten, die von Rechtsextremen verfolgt werden, die von Rechtsextremen getötet werden sollen – wir müssen uns miteinander solidarisieren. Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen. Und das ist, was die Rechten die ganze Zeit versuchen zu tun. Einerseits dämonisieren sie uns beide. Andererseits spielen sie uns auch noch gegeneinander aus, damit wir möglichst keine Kraft erzeugen können. Wenn wir irgendwo eine Chance auf Frieden haben, dann ist es in der Solidarität, die entsteht im Kampf gegen Rechts.

Frau Weisband, Sie hatten eine Reihe von Videos auf Youtube gestellt mit dem Titel „Frag einen Juden“. Sie haben vorher auf Twitter um Fragen gebeten. Welche Fragen kamen?

Marina Weisband: Ich wollte ein Video drehen darüber, dass das Judentum eben nicht nur eine Religionsgemeinschaft ist wie das Christentum. Ich habe gefragt: Was wollt ihr denn sonst noch wissen? Ich dachte, ein, zwei interessante Fragen kann ich dann mit aufnehmen. Ich bekam schließlich 450 Fragen, die ich dann gemeinsam mit Eliyah Havemann in einer fünfteiligen Serie beantwortet habe. Das waren ganz grundlegende Fragen zum Glauben, zur Kultur, zu Antisemitismus, zum Leben in Deutschland. Wertvolle Fragen, auf die sonst nie eingegangen wird. Das war eine Null-Euro-Produktion, die habe ich in meinem Wohnzimmer gedreht. Wir werden demnächst wahrscheinlich mit einem Buch dazu rauskommen.

Was könnte das bewirken?

Marina Weisband: Wie Frau Knobloch richtig gesagt hat: Wir können nicht zu einem friedlichen, gemeinschaftlichen Miteinander kommen, wir können nicht Teil der deutschen Gesellschaft sein, wenn wir zwar alles über deutsche Traditionen wissen, aber gleichzeitig das, was wir Jüdinnen und Juden tun, was uns wichtig ist, was Teil unserer Kultur ist, den Meisten in diesem Land völlig unbekannt ist.

Charlotte Knobloch: Ich gebe Ihnen Recht. Das sind grundlegende Fragen. Ich spreche gern mit Leuten, ich beantworte auch gern provokante Fragen, da habe ich überhaupt kein Problem. Aber das ist zu wenig, wenn nur wir das machen. Die Leute müssen mehr darüber erfahren, und dafür ist dieses Festjahr schließlich auch da. Und: Kommunikation funktioniert nur mit den richtigen Botschaftern. Man braucht Menschen wie Frau Weisband, der ich ein riesiges Lob aussprechen muss. Genauso habe ich mir die Zukunft für jüdisches Leben immer gewünscht!