- Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfrid Kretschmann führt eine Koalition aus Grünen und CDU an, die auch eine Option im Bund ist.
- Wir haben mit ihm über Annalena Baerbock, die Fußball-EM und Corona gesprochen.
Herr Kretschmann, die Umfragewerte der Grünen sind gesunken. Braucht es ein Wunder, um ins Kanzleramt zu kommen?Es ist erst mal der Verdienst der guten Arbeit der letzten Jahre, dass wir in dieser Ausgangsposition sind und ums Kanzleramt kämpfen. Und es war auch eine Überraschung, als ich zum ersten Mal Ministerpräsident wurde. Es gibt also keinen Grund zur Beunruhigung. Ein Auf und Ab in Umfragen ist normal. Unser Höhenflug war zeitweise der Schwäche der Gegner geschuldet, aber auch unserer gelungenen Nominierung. Aber klar ist, dass unsere Flughöhe nicht immer gleich bleibt und wir ohne weitere Mühen im Kanzleramt landen. Und der Wahlkampf geht ja jetzt erst richtig los.
Die Union setzt eher auf Beruhigung. Ist das nicht erfolgversprechender?
Wir müssen deutlich machen können, dass es unmöglich ist, der Veränderung zu entgehen. Das ist eine Frage von Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit. Unglaubwürdig ist es, zu behaupten, es könne alles so weitergehen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, was schon ein kleines fieses Virus anrichten kann. Beim Klimawandel kommen ganz andere Probleme auf uns zu. Es ist ja schon fühlbar: Die drastischen Wetterlagen häufen sich. Uns geht es nicht um Veränderung um der Veränderung willen. Sondern wir wollen verändern, um das was uns lieb und teuer ist, zu bewahren. Die Wähler entscheiden, ob die Politik den Wandel aktiv gestalten soll - oder ob sie eingelullt werden wollen. In den USA hat Joe Biden gewonnen, der auf Realismus gesetzt hat.
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Ist die Glaubwürdigkeit der Grünen angekratzt, weil Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock Fehler gemacht hat bei ihrem Lebenslauf?
Wir machen alle unentwegt Fehler. Das gehört zum Menschsein dazu und lässt sich nicht vermeiden. Man sollte seinen Lebenslauf nicht schlampig formulieren. Aber jetzt lassen wir die Kirche mal im Dorf. Entscheidende Führungsqualitäten sind nach Max Weber Leidenschaft in der Sache, Augenmaß und Verantwortungsgefühl. All das hat Annalena Baerbock.
Was passiert, wenn die Delta-Variante des Virus die nächste Welle auslöst?
Wir brauchen keine Delta-Panik haben. Wenn wir die Infektionszahlen geringhalten können, lässt sich eine vierte Welle vermeiden. Aber nur, wenn wir alle vorsichtig bleiben und uns weiter an die Abstandsregeln halten. Brisant wird die Lage erst dann, wenn sich die die Ansteckungsrate wieder exponentiell aufbaut. Mit einer Inzidenz unter 10 müssen wir uns nicht vor ansteckenden Varianten fürchten.
„Jedes der EM-Spiele in Ungarn oder Dänemark kann zum Superspreader-Event werden“
Sollten Urlaubsreisen ins Ausland gecancelt werden?
Mein Rat ist: Man kann auch schönen Urlaub zuhause machen. Mein ganz besonderer Tipp: Baden-Württemberg ist immer eine Reise wert. Reisen ins Ausland sind das Futter für die Pandemie, das haben wir in der ersten Welle gesehen.
Was würde eine vierte Welle für Ungeimpfte bedeuten?
Wir planen keine Impfpflicht. Aber wenn wir einer Pandemie nicht mehr Herr werden, kann das theoretisch dazu führen, dass der Zugang zu bestimmten Einrichtungen an die Vorlage eines Impfnachweises gebunden wird. Aber ich glaube fest daran, dass wir eine Herdenimmunität bekommen.
Bei der Fußball-EM sind viele Fans ohne Maske im Stadion und stehen dort eng beieinander.
Dieser Leichtsinn macht mich fassungslos. Bei den Spielen in Ungarn oder Dänemark gab es knallvolle Stadien - ohne Abstand, ohne Maske. Das ist verantwortungslos. Jedes dieser Spiele kann damit zum Superspreader-Event werden. Die UEFA und der DFB müssen dringend dafür sorgen, dass die Regeln eingehalten werden. Der Plan, jetzt noch mehr Leute in die Stadien zu lassen, wie in Wembley, ist unverfroren. Schon die Bilder vermitteln den Eindruck, dass die Pandemie vorbei ist. Das ist ein absolut falsches Signal.
Ist es verantwortbar, die Halbfinalspiele und das Finale der EM in Großbritannien stattfinden zu lassen, wo sich die Deltavariante munter verbreitet?
Eigentlich nicht. Wenn sie stattfinden, geht das nur mit harter Einhaltung der Regeln und der Abstände.
Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn die Pandemie vorbei ist?
Dass wir uns endlich wieder ganz entspannt mit anderen Menschen treffen können. Und aufs Theater, aufs Ballett, auf die Oper. Das hat mir sehr gefehlt.