Köln – Jonas Hector wollte sich nicht auf Händen tragen lassen; der Kapitän des 1. FC Köln wirkte beinahe überrascht, als die Woge des Jubels über ihn hinwegrollte. Einfach nur dahocken wollte Hector, erschöpft nach 90 Minuten Kampf und enttäuscht von der ersten Niederlage nach vier Siegen in Serie. Schon in den letzten Minuten des Spiels gegen den VfL Wolfsburg waren die ersten Fans über die Zäune geklettert, an der Südseite des Stadions hatte der Platzsturm seinen Anfang genommen.
Mit dem Schlusspfiff strömten die Menschen dann von überallher auf den Rasen. Und es gab ja auch einen Anlass. 49 Wochen nach der Rettung im Relegations-Rückspiel in Kiel sicherte der FC am Samstagnachmittag die Teilnahme an der Europa Conference League. Der Verein spielt erstmals seit fünf Jahren und erst zum zweiten Mal in 30 Jahren wieder international. Es war ein Tag der Freude.
1. FC Köln spielt am Samstag in Stuttgart
Doch hatte der FC eben auch ein Spiel verloren, gleichzeitig steht am kommenden Samstag in Stuttgart eine letzte Partie an, in der es noch etwas zu gewinnen gibt. Das 0:1 gegen Wolfsburg schwächte zwar die Kölner Position im Kampf um die Europa League und beendete den vagen Traum vom Einzug in die Champions League. Doch die Folgen blieben überschaubar, was an der Schützenhilfe des Nachbarn aus Leverkusen lag, der in Hoffenheim einen 1:2-Rückstand zur Pause noch in einen 4:2-Sieg gedreht und damit den Kölnern Rang sieben gesichert hatte. Der Samstag hätte schlechter ausgehen können für den FC.
So gab es auf zwei Ebenen Anlass zur Freude: Einerseits, weil die Conference League erreicht war. Und andererseits, weil Baumgarts Mannschaft nach Jahren der Pandemie die Begeisterung zurück nach Müngersdorf gebracht hat. Die Fernbeziehung in Zeiten der Pandemie hat nicht dazu geführt, dass der 1. FC Köln und seine Fans einander fremdgeworden sind. Im Gegenteil. Neues ist entstanden.
Für die FC-Profis und ihren Trainer Steffen Baumgart, dem der zehntausendfache Dank auf dem Rasen sicher gewesen wäre, bedeutete der Ausgang des Samstags jedoch vor allem, dass sie noch eine Woche warten müssen, ehe sie die Gewissheit haben, wohin ihre Leistungen sie am Ende der Saison getragen haben werden. Baumgart verließ das Stadion mit dem Schlusspfiff. „Die Saison ist noch nicht vorbei. Wir haben noch die Chance, Platz sechs zu erreichen“, sagte der Trainer später. Ein Sieg in Stuttgart eröffnete den Kölnern noch einmal die Chance auf die Europa League, die mehr Prestige verspricht und vor allem eine sichere Teilnahme an der Gruppenphase.
Wenn der Wettbewerb einmal läuft, wird kaum jemand mehr einen Unterschied spüren zwischen Europa League und Conference League. Zwar helfen den Kölnern interessantere Gegner bei der Vermarktung ihrer Businessplätze, auf denen das Geld verdient wird. Doch grundsätzlich wird das Stadion bei jedem Spiel ausverkauft sein, und sollte der FC die Qualifikationsrunde überstehen und die Gruppenphase erreichen, bedeutete die Conference League unterm Strich sogar ein Heimspiel mehr als die Europa League.
Angesichts der Niederlage war es dennoch eher ein Platzsturm aus Prinzip, und so standen die Zuschauer am Ende auf dem Rasen von Müngersdorf wie Gäste, die sich selbst zu einer Party eingeladen hatten, die nun ohne den Gastgeber stattfinden sollte. Über die Stadionlautsprecher wurde zwar schon bald mitgeteilt, dass die Mannschaft nicht mehr aus der Kabine kommen werde. Doch die Leute blieben – sogar dann noch, als ihnen Freibier versprochen wurde, das auf der Vorwiese ausgeschenkt wurde. Dass selbst in diesem Moment kaum jemand reagierte, lag an einem baulichen Detail des Stadions: Die Lautsprecher beschallen die Ränge. Auf dem Rasen waren die Durchsagen praktisch nicht zu verstehen.
Atemberaubende Entwicklung unter Trainer Steffen Baumgart
So wurde es zwar keine Neuauflage des Jubels von 2017, als der FC am letzten Spieltag durch ein 2:0 über Mainz 05 die Qualifikation für die Europa League geschafft hatte. Damals war es der letzte Spieltag, die Konstellation insgesamt eine andere. Dass die Kölner Mannschaft der Saison 2021/22 eine besondere ist, dass Steffen Baumgart und sein Team eine atemberaubende Entwicklung vollzogen haben, offenbarte sich eben nicht am Samstag im letzten Heimspiel.
Hinreißender Kampf
Beinahe hat man sich daran gewöhnt, dass die Kölner schön und immer öfter erfolgreich spielen. Deshalb fiel die Feier weniger eruptiv aus, obgleich der Spielverlauf die Eindrücke der Saison noch einmal bestärkte. Auch am Samstag lieferte der FC einen hinreißenden Kampf und spielte eine Mannschaft mit eigentlich weit größeren Ambitionen an die Wand. Das war wichtig, denn nichts ist schlimmer, als einer Mannschaft dabei zuzusehen, wie sie ihre Chance nicht zu greifen versucht. Das mussten sich die Kölner nicht vorwerfen, im Gegenteil blieb Jonas Hector wohl auch im Moment des Schlusspfiffs regungslos am Boden sitzen, weil er sich vollends verausgabt hatte. Die Niederlage schmälert nicht das Glück über die Entwicklung und die Triumphe dieser bemerkenswerten Premierensaison unter Trainer Steffen Baumgart.
Doch noch ist ein letztes Spiel zu spielen. Und ganz gleich, wie es ausgehen wird: Die Kölner werden singen, tanzen, feiern.