- Klub-Urgestein Michael Trippel ist seit 1999 Stadionsprecher bei Heimspielen des 1. FC Köln.
- Die Partie gegen Mainz war sein erstes Geisterspiel am Mikro.
- Im Interview spricht der 65-Jährige über das Erlebte, neue Vorschriften, sein Leben als Privatier, die Zukunft und seinem Traum vom Champions-League-Finale in Amsterdam.
Köln – Herr Trippel, wie haben Sie das erste Geisterspiel des 1. FC Köln im Rhein-Energie-Stadion empfunden?
Es war unwirklich. 2015 mussten wir nach Fan-Ausschreitungen danach bei drei Spielen mit einem Teilausschluss der Fans auf der Südtribüne leben, aber was sich am Sonntag ereignet oder besser nicht ereignet hat, das hatte ich in meinen 21 Jahren als Kölner Stadionsprecher zuvor natürlich auch noch nicht erlebt. Du fährst zum Stadion, und das geht zügig, denn es gibt keinen Stau. Dann bist du am Stadion, es gibt keinen Andrang, du siehst fast keinen Menschen.
Am Eingang gibst du einen Gesundheitsfragebogen ab, deine Personalien werden kontrolliert, Fieber wird gemessen und deine Hände desinfiziert. Du besprichst dich mit Techniker und dem Verantwortlichen vom Fan-TV. Und dann bist du alleine mit dem Techniker in der Sprecherkabine auf der Osttribüne, denn mein Kollege Tobias Franzgrote, mit dem ich vorher die Musik zusammengestellt hatte, durfte auch nicht dabei sein. Die ersten Ansagen, die ich normalerweise eine Stunde vor dem Anpfiff spreche, kamen jetzt erst zehn Minuten vorher.
Es ging darum, alles auf das Nötigste zurückzufahren: Begrüßung, Vorlesen der Aufstellungen, Torschützen und Auswechslungen. Das wurde sogar noch etwas stressig, in der 83. Minute wechselten beide Mannschaften gleich fünf Mal. Zudem hörst du jetzt alles. Jedes Kommando, das Schnaufen, Schimpfen und Schreien der Spieler und von denen auf der Bank, sogar das Ploppen des Balles nimmt man wahr. Und nach dem Abpfiff fährst du ohne Gespräche direkt nach Hause. Da fühlte ich dann irgendwie eine Leere in mir.
Platz für Individualität ist bei diesen Vorschriften für ein Geisterspiel nicht mehr.
Wir haben uns an die Situation angepasst. Nach den beiden FC-Toren habe ich den Buzzer bedient, so konnte man wenigstens von draußen über die rot-weiß erleuchteten Pylonen erkennen, dass etwas passiert sein musste. Und vor der FC-Hymne habe ich mich an die Fans daheim vor den Fernsehern oder dem Radio gewandt, dass sie sich gerne zu unserer Vereinshymne erheben dürfen. Wie im Normalfall im Stadion. Das war dann ein Hauch von Normalität.
Mussten Sie als Sprecher einen Mund- und Nasenschutz tragen?
Ja, wie jeder andere im Stadion auch, der nicht aktiv am Spiel teilnimmt.
Sie sind Ansager für die Menschen. Wenn keine Menschen da sind, wie fühlt man sich da?
Nutzlos würde ich nicht sagen, ich musste ja schon ein paar Infos rüberbringen. Aber als Stadionsprecher interagiert man mit den Zuschauern. Das fiel alles weg, die ganzen Emotionen fehlten.
War das Ihr schwerster Moment als Stadionsprecher überhaupt?
Er war surreal, aber noch schlimmer war, als ich 2011 im Stadion den Ausfall unseres Heimspiels gegen Mainz verkünden musste, da der Haupt-Schiedsrichter zuvor einen Suizidversuch unternommen hatte. Das war eine menschliche Tragödie.
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Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de
Waren Sie gegen den Neustart der Bundesliga?
Nein. Seine Begleitumstände sind nicht schön, und sie dürfen auch nicht von Dauer so sein. Dennoch war er richtig. Wenn nicht gespielt worden wäre, hätten viele Vereine große Existenzsorgen bekommen. Es geht auch nicht in erster Linie um die bestens bezahlten Profis, sondern um über 50000 andere Menschen, die mit ihren Familien direkt oder indirekt vom Profifußball leben und normale Gehälter bekommen. Die hätte ein Abbruch hart getroffen. Zudem hätte ich befürchtet, dass die 50+1-Regel gekippt wäre und wir Verhältnisse wie beispielsweise in England bekommen hätten, wo Klubs von Scheichs oder Ölmagnaten geführt werden.
Die aktive Fanszene sieht dies anders und war und ist gegen eine Wiederaufnahme.
Aus ihrer Sicht ist das verständlich, aber ich verstehe ihre Argumentation nicht. Wir haben uns diese Situation nicht gewünscht, sondern wurden von einer weltweiten Pandemie getroffen. Der Neustart ist ein Notbetrieb, aber er ist das kleinere Übel.
Keiner kann absehen, wann wieder Fans und in welcher Anzahl ins Stadion dürfen. Sie sind 65 Jahre alt. Denken Sie manchmal: Jetzt reicht es auch?
Natürlich ist meine Aufgabe jetzt eine andere, aber sie macht mir noch Freude. Ich habe beim FC keinen Vertrag, bekomme eine Aufwandsentschädigung. Mein Job wird immer nach Absprache verlängert, das funktioniert seit fast 22 Jahren ganz gut. Mein Ziel ist es, bis 2024 weiterzumachen. Dann werden ja auch im Kölner Stadion EM-Spiele ausgetragen.
Ich habe zudem etwas mehr Zeit, denn ich bin seit dem 1. April nach 40 Jahren in der Pharmaindustrie nun Privatier. Aber am Ende entscheiden das alles der Verein und die Zuschauer. Sie müssen mich noch wollen. Ich jedenfalls habe noch einen großen Traum: Ich träume vom Champions-League-Finale in Amsterdam mit 30000 Kölnern gegen den FC Barcelona. Kurz vor Schluss steht es 3:0 für den FC. Und dann stimmen alle Fans an: „Wir sind nur ein Karnevalsverein.“
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ZUR PERSON
Michael Trippel, geboren am 4. Juli 1954 (Tag des WM-Endspiels in Bern). Sah sein erstes FC-Spiel 1964 gegen den HSV. Erster Fanbeauftragter in der Bundesliga (1984 bis 1994). Seit 36 Jahren für den 1. FC Köln in diversen Gremien ( Sportbeirat, Beirat, Mitgliederrat) tätig. Seit 1999 Stadionsprecher. Verheiratet, drei erwachsene Kinder.