Fast keiner traut dem 1. FC Köln die Rettung mehr zu. Dieser Umstand könnte dem Team auch helfen, meint Trainer Timo Schultz.
Kölns Trainer hofft auf TrotzreaktionFC für viele schon abgeschrieben – Schultz sieht darin auch einen Vorteil
Es gibt viele Begriffe, mit der man die 0:2-Niederlage des 1. FC Köln im vergangenen Heimspiel gegen das Bundesliga-Schlusslicht und den designierten Absteiger Darmstadt umschreiben könnte, der zuvor 22 Spiele nicht gewonnen hatte. Doch ganz gleich, ob man von einem „Offenbarungseid“, einer „Bankrotterklärung“, „der größten Saison-Enttäuschung“ oder dem „möglichen Todesstoß“ sprach, alles hatte zumindest teilweise oder komplett seine Berechtigung.
Die Pleite gegen die Hessen hatten die Kölner erst durchgerüttelt und danach in eine Art Schockstarre versetzt. Denn mit der Niederlage und der Art und Weise ihres Zustandekommens hatten sie im Lager des FC nicht gerechnet. Mit den Fans im Rücken, die bis zum Samstagnachmittag wie eine Wand hinter der Mannschaft standen, sollte mit einem Sieg der Endspurt eingeleitet und der Rückstand auf die Keller-Konkurrenten verkürzt werden. Das waren die Hoffnung und Teil der Klassenerhalts-Kalkulation. Doch das Gegenteil war der Fall. Jeweils fünf Punkte beträgt jetzt bei nur noch vier ausstehenden Partien der Rückstand auf Relegationsplatz 16 (Bochum) und Rang 15 (Mainz). Die große Angst macht sich breit, der siebte Abstieg in der Vereinsgeschichte ist deutlich näher gerückt.
1. FC Köln: Bundesligist hat daheim Negativ-Rekord eingestellt
Die Gründe für den Absturz sind vielfach diskutiert worden. Die Fakten werden immer niederschmetternder: Für den FC war es die neunte Niederlage im 15. Heimspiel der Saison; nur in den Abstiegs-Spielzeiten 2003/2004, 2017/18 sowie in der Saison 2020/21, als sich der FC in der Relegation rettete, hatte der FC diese Anzahl kassiert. Zehn Heimpleiten wären für den Klub, der noch im eigenen Stadion auf Freiburg und Union Berlin trifft, ein Novum und somit ein Negativ-Rekord. Der FC ist und bleibt einfach zu harmlos. Nur in der Abstiegssaison 2001/02 hatte Köln zu diesem Zeitpunkt der Saison noch weniger Tore (18) als aktuell (23). Und immer wieder gerät der FC in Rückstand; in den vergangenen neun Spielen war es stets der Fall.
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In dieser ungemein schwierigen Situation liegt es an Timo Schultz, die Mannschaft wieder aufzurichten. Ihr den Glauben zu vermitteln, dass sie die Rettung doch noch irgendwie schaffen kann. Zumindest theoretisch ist sie möglich. Voraussetzung dafür ist ein Sieg am Sonntag (17.30 Uhr) bei den formstarken Mainzern.
Schultz hofft auf eine Trotzreaktion seiner Mannschaft, der viele kaum noch etwas zutrauen. Die schier aussichtslose Situation soll die Mannschaft von ihrer lähmenden Angst und dem Druck befreien. „In der jetzigen Situation brauchen wir von Druck nicht mehr groß reden. Jetzt haben alle den Stab über die Mannschaft gebrochen und alle entschieden, dass wir abgestiegen sind. Doch so weit sind wir hier am Geißbockheim noch nicht. Wir haben noch eine Chance – und die wollen wir ergreifen. Vielleicht ohne den ganz großen Druck“, sagt der Kölner Trainer und hofft auf eine Art „Scheiß-egal-Stimmung“.
Die Situation des FC habe sich natürlich verschlechtert, doch man habe eben noch mindestens diese vier Saisonspiele zu absolvieren. „Wir müssen jetzt eine gewisse Scheißegel-Mentalität an den Tag legen. Mit 22 Punkten dürfte man eigentlich nicht mehr in Reichweite sein. Aber wir sind es. Das müssen wir uns vergegenwärtigen. Wir müssen uns jetzt in dieser Woche so präparieren, dass wir in Mainz drei Punkte holen.“
Die Ansprache des Trainers am Dienstag fiel deutlich aus. Er habe gegenüber der Mannschaft klar ein paar Sachen angesprochen, die „fernab von Technik und Taktik“ lägen. Sein Fazit nach seiner sachlichen Analyse des Darmstadt-Spiels: „Es lag nur an uns.“ Die Mittel seien die falschen gewesen, und das müsse man sich ankreiden. Sein Team habe Darmstadt nicht so unter Druck gesetzt, dass es zu klaren Chancen gekommen sei. „In unserer Situation kann man kein fußballerisches Feuerwerk erwarten, aber trotzdem müssen wir mit mehr Überzeugung, mehr Mut und Risikobereitschaft das Spiel angehen.“ Die Mannschaft sei mit zunehmender Spielzeit immer gehemmter geworden, vielleicht sei der Druck dann tatsächlich zu groß gewesen. Offensivspieler Mark Uth sagte nach dem Abpfiff: „Wenn du Angst hast zu verlieren, wird es schwer, irgendwann mal ein Spiel zu gewinnen.“ Und Verteidiger Timo Hübers gab zu: „Uns ist das Herz in die Hose gerutscht.“
Der Kölner Mannschaft fehlt erkennbar ein Anführer, einer, der vorweg geht, an dem sich die anderen aufrichten können. Und offenbar ist sie nicht nur zu leise, sondern auch zu brav; gegen Darmstadt sah jedenfalls kein Spieler eine Gelbe Karte. Fehlen der Mannschaft also die Emotionen? Schultz sieht es so: „Natürlich kann man Spielertypen in der Mannschaft haben, die diese Emotionen von sich aus mitbringen und den Schalter umlegen können. Die dann auch mal einen umhauen, den Schiedsrichter angehen oder sich mit der gegnerischen Trainerbank anlegen. Aber ich kann auch Emotionen kreieren, in dem ich einen sauberen defensiven Zweikampf gewinne, den Ball fordere und etwas riskiere mit einem Lauf in die Tiefe. Auch das sind Möglichkeiten. Und da haben wir schon Qualitäten in der Mannschaft, um das besser hinzubekommen.“
Der Vorwurf, den sich der FC gefallen lassen müsse: „Wir haben es nicht geschafft, uns selbst und das Stadion so anzuzünden, dass wir das Spiel durch eine mentale Dominanz, puren Willen und Überzeugung auf unsere Seite ziehen. Dafür haben wir jetzt noch vier, vielleicht auch noch sechs Spiele Zeit.“ Sechs Spiele würde die Relegation inkludieren. Dass die „brutal fleißige“ Mannschaft in dieser Saison fußballerisch enttäuscht, das habe seine Gründe, so Schultz: „Aber für mich ist das Wichtigste, dass ich erkenne, dass die Mannschaft lebt und dass sie will.“ Und das muss sie vor dem Abgrund stehend allerspätestens in Mainz zeigen. Und am Ende siegen. Ansonsten gehen beim FC die Lichter aus.