Christoph Daum spricht im zweiten Teil des Interviews zum 70. Geburtstag über das DFB-Team und seinen Ex-Klub 1. FC Köln.
Daum über den DFB und den FC„Steffen Baumgart kann das nicht dauerhaft kompensieren“
Christoph Daum, einer der schillerndsten, erfolgreichsten und streitbarsten Trainer der Bundesliga-Geschichte, wird am 24. Oktober 70 Jahre alt. Der im Kölner Hahnwald lebende Trainer spricht über den Meisterkampf in der Bundesliga, sein Verhältnis zum 1. FC Köln und die Probleme im deutschen Fußball und speziell in der Nationalmannschaft.
Herr Daum, die Bundesliga ist vor kurzem wieder gestartet ist. Während der Pandemie war viel von Demut die Rede. Jetzt hat der FC Bayern über 100 Millionen Euro nur an Ablöse für den 30-jährigen Harry Kane gezahlt. Haben Sie dafür Verständnis?
In der Bundesliga nehmen die Bayern eine Sonderrolle ein. Sie haben sich ein sehr schönes finanzielles Polster erarbeitet. Doch die Fans interessiert nicht der Kontostand, sondern sie wollen Titel – am liebsten den in der Champions League. Fußball ist eine Unterhaltungsindustrie. Die Bundesliga hat mit Erling Haaland bereits einen Unterhaltungskünstler verloren und verliert international gesehen immer mehr an Boden und Attraktivität. Nun spielt mit Kane endlich wieder ein Superstar in der Liga. Ich kann diesen Transfer gut nachvollziehen. Die Lücke, die der Abgang von Robert Lewandowski hinterlassen hat, füllen sie mit Verspätung nun wieder. Bayern kann mit Kane wieder um den Titel in der Champions League mitspielen. Favoriten bleiben allerdings Klubs wie Manchester City, die von arabischen Investoren unterstützt werden. Diese Investoren verändern gerade den Fußball auf eine dramatische Art und Weise, sie bringen ihn in die Bredouille. Denn wir müssen überlegen: Was von diesen Irrsinns-Sachen machen wir mit, wo ziehen wir unsere Grenzen?
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Was soll die Bundesliga machen?
Ich glaube, wir haben bereits keine echte Chance mehr. Financial Fairplay: Das existiert doch nur auf dem Papier, da wird ohne Ende getrickst. Gehaltsobergrenze: Gibt es nicht, interessiert die Scheichs nicht.
Auch ohne Harry Kane hat Bayern zum elften Mal in Folge die Meisterschaft gewonnen. Wird die Eintönigkeit jetzt weiter manifestiert?
Das ist zu befürchten. Die Bundesliga ist nun einmal eine Mehrklassen-Gesellschaft. Nur der FC Bayern wird weiter offensiv von der Meisterschaft als Ziel sprechen.
Ihr Ex-Klub Bayer 04 Leverkusen hat sich nach Meinung vieler Experten sehr gut verstärkt und ist nach drei Spieltagen Spitzenreiter. Ihre Meinung?
Bayer 04 ist toll in die Saison gestartet, stand aber in der vergangenen Saison recht lange tief im Keller und hat dann unter Xabi Alonso eine sehr starke Serie hingelegt. Aber die Leverkusener werden demütig genug sein, jetzt nicht vom Titel zu sprechen. Man muss Bayer 04 auch nicht mit dieser Erwartungshaltung überfordern. Man kann die Bayern sicherlich ärgern, das hat Dortmund auch getan, am Ende waren die Bayern aber doch wieder Meister. Ich wünsche mir eine ernsthafte Konkurrenz für München, sehe sie aber nicht.
Und wie ist Ihr langjähriger Verein 1. FC Köln aufgestellt? Die FC-Bosse wehren sich gegen den Einstieg von Investoren.
Ich finde es richtig, dass wir die 50-plus-1-Regelung haben und beibehalten. Dennoch sollten sich die Klubs der Bundesliga, also auch der 1. FC Köln, für Investoren öffnen. Investoren bedeuten nicht das Ende, sie bestimmen auch nicht alles. Hertha BSC mit Lars Windhorst war ein Negativ-Beispiel, doch viele andere Klubs mit Investoren an Bord schippern in einem ruhigen Fahrwasser. Man muss den Investor mit sehr viel Sorgfalt wählen. Mit einem geeigneten Investor kann man auch wieder größere Ambitionen haben, nach vorne kommen. Was Steffen Baumgart in Köln leistet und aus dieser Mannschaft herausholt, ist aller Ehren wert. Aber ohne Investoren bleibt der FC in einer schwierigen Situation. Der Verein will ja weiterkommen, doch Steffen wird das ohne dementsprechende Investitionen in den Kader nicht dauerhaft kompensieren können. Ich will auch, dass der FC um einen Europa-League-Platz mitspielt, aber das ist nicht realistisch. Wenn der FC nichts mit dem Abstieg zu tun hat und einen sicheren Mittelfeldplatz erreicht, ist das eine klasse Leistung.
Hat Sie der 1. FC Köln in den vergangenen Jahren mal um Rat gefragt?
Nein, überhaupt nicht. Es gibt eigentlich auch keinen großen Kontakt mehr zum FC – mit Ausnahme des Empfangs im Rathaus aus Anlass des 75. FC-Geburtstags.
War das enttäuschend für Sie, dass der FC in den letzten Jahren nicht mehr auf Sie zugekommen ist?
Ja. Ich habe Erfahrung und Expertise, die ich dem Klub gerne zur Verfügung stellen würde. Aber die ist offenbar nicht mehr beim FC gewünscht. Es kommt keine Reaktion. Aber das ist eben die Entscheidung der Verantwortlichen. Sie wollen es alleine machen – und das ist auch legitim so.
War Ihre Trainer-Rückkehr 2006 zum FC ein Fehler?
Ich habe damals viele Dinge völlig falsch eingeschätzt. Der Verstand sagte nein zum FC-Job, aber mein Herz sagte ja. Der FC war mein Verein. Die Rückkehr hatte nicht viel mit logischem Denken zu tun. Doch nach den ersten sieben, acht Monaten dachte ich mir: Wo bist du hier denn gelandet? Was ist das bloß für ein Kader? Ich habe allerdings auch selbst Fehler gemacht: Ich hätte nicht auf die Mannschaft so verbal einprügeln sollen. Das gehört sich nicht. In der zweiten Saison mit zwölf neuen Spielern wurde es besser, da war das dann auch mehr meine Mannschaft. Erst gelang uns der Wiederaufstieg, danach souverän der Klassenerhalt. Doch dann folgten viele interne Auseinandersetzungen, falsche Versprechungen auch dem aus München zurückgeholten Lukas Podolski gegenüber, auf die ich öffentlich nicht mehr eingehen will. Fast parallel erhielt ich aus meiner Wahlheimat Türkei das Angebot meines Ex-Klubs Fenerbahce Istanbul, bei dem es ganz andere Möglichkeiten gab.
Kann man sich bei den Auftritten der Nationalmannschaft und dem Bild, das der DFB abgibt, eigentlich auf die Heim-EM 2024 freuen?
Einige sind auch nach den letzten Jahren immer noch der wahnwitzigen Meinung, dass Deutschland eine Turniermannschaft sei und sich das Team schon finden werde. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Doch da sind leider seit Jahren so viele Fehler gemacht worden, dass das reines Wunschdenken ist. Ich würde die Erwartungshaltung runterschrauben.
Können Sie die Fehler explizit benennen?
Die Fehler fangen fast immer im Erfolg an. Nach dem WM-Titel 2014 dachten viele, dass wir die Größten sind und alles wissen. Doch Reformen sind ein permanenter Prozess und nicht nur einer, wenn etwas schiefgegangen ist. In dem Fall kommen sie meistens schon zu spät. Wir haben uns nach der WM 2014 abgefeiert und nur noch alles verwaltet. Schon bei der EM 2016 war zu sehen, dass einiges nicht stimmt und viele Positionen nicht optimal besetzt sind. Da begann spätestens der Niedergang. Wir haben die Augen verschlossen vor dringend notwendigen Reformen. Das gilt auch für die Trainerausbildung, die sich immer mehr verwissenschaftlicht hat. Doch Grundtugenden sind und bleiben das Zweikampfverhalten, das Eins-gegen-Eins und nicht nur die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Spielanalyse und die verschiedenen Taktiken. Wir haben es immer wieder mantraartig gehört: „Die Mannschaft ist der Star.“ Dabei haben wir es versäumt, auch die Individualisten zu fördern. In den Nachwuchsleistungszentren wurde zwar der durchschnittliche Spieler immer besser, aber Spitzenspieler kamen nicht mehr hervor, weil der Ausnahmespieler auch nicht mehr gefördert wurde. Das war auch gar nicht mehr erwünscht.
Wie sehen Sie die Führung des DFB?
Beim DFB-Bundestag hat die Mehrheit aus dem Amateurlager das Sagen. Und das sagt schon viel aus. Mit den nächsten Technokraten wird sich nicht viel verändern. Man muss Strukturen hinterfragen – und die beginnen in der Ausbildung. Das Coach-Mentoringprogramm hat zum Beispiel die Engländer weit nach vorne gebracht. Aber nicht, dass das falsch verstanden wird: Unser gesamter Nachwuchsbereich würde nicht funktionieren ohne das große Engagement der vielen Amateure und Ehrenamtler. Ihnen gilt dafür ein großer Dank.
Und wie schneidet die deutsche Mannschaft bei der Euro ab?
Für die Stimmung musst du hoffen, dass sie zumindest das Viertelfinale oder noch besser das Halbfinale erreicht. Das wäre eine Klasse-Leistung – und eine Spontanheilung (lacht).