Köln – Zur FC-Hymne der Höhner sollte die Stadionregie in Müngersdorf einen Schlager in ihr Repertoire aufnehmen. Victor Lazlo und Stefan Waggershausen landeten 1990 einen Hit, der als Soundtrack für die Abstiege wie gemalt ist: „Das erste Mal tat’s noch weh, beim zweiten Mal nicht mehr so sehr. Und heute weiß ich, daran stirbt man nicht mehr.“ Natürlich sehe ich den FC lieber erfolgreich, aber die Erfahrung aus inzwischen vier Dekaden Fan-Sein hat mich anderes gelehrt. Franz Kremer hatte es geahnt. Niemals dürfe der 1. FC Köln absteigen, hat der „Boss“ gesagt. Wie richtig er mit dieser Einschätzung lag, hat der Gründungspräsident des FC zu seinem Glück nicht erfahren müssen.
Was es beim ersten Mal so schmerzhaft machte war, neben der Tatsache noch nie abgestiegen zu sein, die emotionale Berg- und Talfahrt der letzten Spieltage. Nach dem 0:1 im Gelsenkirchener Parkstadion, – ja, das mit dem Handspiel von Oliver Held – und den beiden entscheidenden Gegentreffern von Uwe Fuchs beim 1:2 auf der Bielefelder Alm war die Messe eigentlich gelesen. Aus eigener Kraft konnte der FC nicht mehr in der Bundesliga bleiben. Die Heimreise aus Ostwestfalen verlief schweigsam und mitunter tränenreich.
Für das letzte Heimspiel, ausgerechnet gegen Bayer Leverkusen, hatte ich mir fest vorgenommen keine Tränen zu vergießen. Doch dann verlief dieser Nachmittag völlig surreal. Nach 61 Minuten führte der FC mit 2:0. Kurz darauf lag der Karlsruher SC in Rostock mit 1:3 zurück. Eine erste Voraussetzung für einen theoretisch möglichen Klassenerhalt in letzter Minute. Mitte der zweiten Halbzeit wurde es unruhig in der Südkurve. Vereinzelt wurde gejubelt. Es ging das Gerücht um, Borussia Mönchengladbach läge in Wolfsburg zurück. Das konnte ich nicht fassen. Doch noch die Rettung?
Irgendwann hatte jemand ein Einsehen und blendete die tatsächlichen Spielstände ein. Karlsruhe lag wirklich zurück, doch der Erzrivale führt bereits seit 35. Minuten recht sicher mit 2:0. Ausgerechnet Dirk Lottner zirkelte dann kurz vor Schluss noch einen Freistoß zum 2:2 Endstand in den Winkel. Das Sahnehäubchen sozusagen. Als nach Spielende die Bläck Fööss über die Lautsprecheranlage des Stadions vom „Veedel“ sangen war es nicht nur um mich geschehen. Noch nie habe ich so viele erwachsene Männer weinen sehen wie an diesem Nachmittag des 9. Mai 1998 – dem Tag, als der 1. FC Köln zum ersten Mal abstieg. Die Büchse der Pandora war geöffnet.
1.033 torlose Minuten
Von der zweiten Abstiegs-Saison 2001/02 sind mir vor allem zwei Ereignisse in Erinnerung geblieben. Zum einen die 1.033 Spielminuten ohne eigenen Torerfolg. Fast bezeichnenderweise von Thomas Cichon, der nicht eben als Torjäger bekannt ist, mit seinem Treffer zum 1:1 gegen Hertha BSC beendet. Danach entblödete sich Cichon nicht eine abfällige Geste an die FC-Fans zu richten: „Ich höre nichts“, sollte es wohl bedeuten. Zuvor hatte der Anhang die überschrittene Marke von 1.000 torlosen Minuten höhnisch gefeiert.
Auf der anderen Seite erreichte der FC zum bislang letzten Mal das Halbfinale des DFB-Pokal. Nach Verlängerung unterlag der FC mit 1:3 in Leverkusen. Zuvor hatte Lilian Laslandes – nicht wenigen als „Laslandesliga“ in Erinnerung geblieben – die Chance zur Führung kläglich versemmelt. In der Saison misslang Friedhelm Funkel übrigens seine erste Rettungsmission mit dem FC. Als feststand, dass es wieder eine Etage runtergeht, flossen wieder ein paar Tränchen. Aber schon deutlich weniger und vor allem nicht mehr so bittere wie noch vier Jahre zuvor.
Trotz Podolski geht es runter
Abstieg Nummer Drei 2003/04 war nach einer furchtbaren Saison derart früh absehbar, dass sich der Schmerz in Grenzen hielt. Mit am Ende nur 23 Punkten war der Klassenerhalt gefühlt so fern wie die deutsche Meisterschaft. Es machte sicher eher Frustration darüber breit, dass es diesem großen Verein nicht mehr gelingen will, sich wieder in der Bundesliga zu etablieren. Einziger Lichtblick damals ein gewisser Lukas Podolski, der von Marcel Koller zu den Profis befördert wurde. Wie in den 2000er Jahren so oft war ich einfach nur froh, dass die Saison vorbei war.
Auf Trainer Uwe Rapolder hielt man beim FC 2005/06 große Stücke. Im Herbst setzte es kurz hintereinander zehn Gegentore gegen Hannover 96 und Eintracht Frankfurt. Nach nur zwölf Punkten zur Winterpause war Radpolder schon wieder Geschichte. Ich erinnere mich lebhaft an die 2:3-Niederlage im dichten Schneetreiben auf der Bielefelder Alm. Bereits während des Spiels gingen im Stadion Gerüchte um, dass sowohl Manager Andreas Rettig als auch der Trainer weg seien. Im Fan-Sonderzug zurück nach Köln gab es dann die Bestätigung. Genützt hat es nichts. Nach nur einer Saison ging es also erneut in die 2. Bundesliga. Zu allem Überfluss verließ Lukas Podolski den Verein.
Negative Aura
Nach vier Jahren in der Bundesliga setzte der 1. FC Köln 2011/12 erneut zur Bruchlandung an. Wieder sollte ein neues Trainergesicht die Wende bringen. Doch Ståle Solbakken gelang es ebenfalls nicht, Stabilität herzustellen. Sicher war das 4:1 in Leverkusen Balsam für die geschundene Fan-Seele. Dem gegenüber standen aber auch desaströse Spiele wie etwa Duelle mit Schalke (1:4 und 1:5) oder Dortmund (1:6 und 0:5). Der zwischenzeitlich zurückgekehrte Podolski verließ den FC ein zweites Mal. Dazu sorgte die unwürdige Posse um den Vorstand um Wolfgang Overath für weiteren Verdruss. Es war, als zerlege sich dieser einst große Verein in seine Einzelteile. Trauer über den erneuten Abstieg: Fehlanzeige. Bei mir machte sich Ernüchterung breit und in der Folge eine gewisse Gleichgültigkeit. Mehr aus Selbstschutz, denn aus fehlender Leidenschaft. Wie heißt es so schön: „Mach kaputt, was Dich kaputt macht.“
Inzwischen glaube ich, dass entweder das Geißbockheim oder das Rhein-Energie-Stadion auf einem Indianerfriedhof erbaut wurden. Wie anders soll die negative Aura, die den 1. FC Köln umgibt, anders zu erklären sein?
Abstieg aus Europa
Als wären die vielen Abstiege nicht schlimm genug, nein, die Qual der FC-Fans erreichte 2017/18 eine neue Qualität. Nach der grenzlosen Euphorie über die Rückkehr ins internationale Geschäft nach einem Vierteljahrhundert folgte die Ernüchterung in Form eines Aufschlags bei 100 Stundenkilometern gegen eine Stahlbetonwand. Ungebremst versteht sich.
Die Träume von der Rückkehr zu alter Größe zerbrachen bereits im Dezember 2017 in Belgrad, als das Aus in der Gruppenphase der Europa League besiegelt wurde. Der Abstieg war dann nur noch Formsache.
Selbst wenn mit dem Pflichtspiel bei Arsenal für mich persönlich ein Traum in Erfüllung ging, diese erneut desaströse Saison hat tiefe Narben hinterlassen – nicht nur bei mir. Glaube, Liebe, Hoffnung. Die heilige Dreifaltigkeit der Fußball-Fans. Den Glauben an Besserung habe ich verloren. Lieben werde ich, wie so viele andere Fans, meinen Verein bis ans Ende meiner Tage – so schwulstig es klingen mag. Hoffnung, nun, sie soll bekanntlich zuletzt sterben. Also hoffen wir mal. Etwas anderes bleibt einem Fan unter den aktuellen Umständen gar nicht übrig.