- Rafael Czichos, geboren am 14. Mai 1990 in Dschidda/Saudi-Arabien, weil sein Vater zu dieser Zeit dort arbeitete. Über die U23 des VfL Wolfsburg (2010-2012) kam der Linksfuß 2012 zum Drittligisten RW Erfurt.
- 2015 ging es weiter zu Holstein Kiel. Mit den Störchen stieg er als Kapitän in die 2. Bundesliga auf. Im Sommer 2018 wechselte er mit seinem damaligen Trainer Markus Anfang zum 1. FC Köln und stieg in die Bundesliga auf.
- Im Interview spricht der Verteidiger über die letzte Saison, seine schwere Verletzung und den Neubeginn.
Herr Czichos, in der Schlussphase der vergangenen Saison sind Ihrer Mannschaft die Kräfte ausgegangen, Trainer Markus Gisdol sprach später von einer emotionalen Erschöpfung nach einer turbulenten Saison. Haben Sie diese Erschöpfung auch erlebt?Auf jeden Fall. Spätestens, als ich nach meiner Verletzung selbst wieder auf dem Platz stand, habe ich gemerkt, dass der Mannschaft die Kraft fehlte. Ich hatte den Eindruck, dass wir mental arg gebeutelt waren. Wir haben natürlich darüber gesprochen, woran das gelegen hat, aber ganz aufzulösen ist es nicht. Es gab ja auch Beispiele, da war das komplette Gegenteil der Fall: Teams, die haben plötzlich geleistet ohne Ende.
Wenn Ruhe und stabile Abläufe eine große Bedeutung für Leistungssportler haben, müssten Sie mit den Nerven ziemlich am Ende sein. Denn seit Sie beim 1. FC Köln sind, hat der FC mehrfach den Trainer gewechselt, der Geschäftsführer ist auch nicht mehr der, der Sie geholt hat.
Auf die Zeit hier wurde ich sehr gut vorbereitet. Mein Berater kommt aus Köln, er hat mir gesagt, worauf ich mich einstellen muss. Vereinspolitische Diskussionen sind für mich kein Thema, da lese ich nur die Überschriften. Wer nach Köln geht, der weiß, dass ihn viel Rummel erwartet. Ich habe es bisher aber ganz gut geschafft, solche Dinge auszublenden. Das geht auch nicht anders, wenn ich auf dem Platz stehe, muss ich den Kopf frei haben.
Kann eine Mannschaft in einem unruhigen Umfeld für sich selbst Ruhe schaffen?
Sicher. Wir bekommen das sehr gut geregelt, weil wir über viele Dinge gar nicht reden. Das gilt zum Beispiel auch für Corona: Ob jetzt bald wieder Fans ins Stadion dürfen oder nicht, interessiert uns natürlich grundsätzlich sehr, das ist ein wichtiges Thema für uns. Aber wir können es nicht beeinflussen. Daher besprechen wir als Mannschaft nur Themen, die uns direkt betreffen und die wir beeinflussen können.
Markus Gisdol sagt, er spüre nach der Sommerpause einen Neuanfang.
Es gibt da mehrere Faktoren. Erst einmal hat sich der Urlaub anders angefühlt als in den Jahren zuvor; ich habe deutlich länger gebraucht, um runterzukommen und die Dinge sacken zu lassen. Wir haben definitiv eine besondere Saison hinter uns. Dazu kommt eine offensichtliche Veränderung, wir haben sehr viele Leute abgegeben. Und wir wollen ein bisschen anders Fußball spielen. Wenn plötzlich so vieles anders ist, sorgt das auf jeden Fall für das Gefühl eines Neuanfangs.
Schmerzt es, wenn die Gruppe sich derart verändert?
Wenn ich zähle, mit wie vielen Leuten ich in den vergangenen elf Jahren gespielt habe… Es ist eben so in diesem Geschäft, das weiß jeder, der sich in den Profifußball wagt. Natürlich ist es schade, wenn Mitspieler wie Simon Terodde oder Marcel Risse gehen. Aber momentan stehen alle Vereine vor finanziellen Herausforderungen. Da ist es ganz normal, dass sich die Kader verändern.
Sie wirken sehr stabil. Ist die Rolle des Ruhepols dann auch eine, die Ihnen im Kader automatisch zufällt?
Es ist mein drittes Jahr beim FC und mein zweites in der Bundesliga. Unabhängig davon bin ich ein Spieler, der Verantwortung übernehmen will. Das verlangt der Trainer von mir, das verlangt meine Position. Und das verlangt auch das neue Spielsystem, in dem wir sehr aktiv verteidigen und deutlich höher stehen wollen, um den Gegner unter Druck zu setzen. Da braucht es Führung aus der letzten Reihe, dafür stehe ich gerne zur Verfügung.
Im neuen System wird es sehr auf die Pässe aus der Abwehrkette ankommen.
Das Aufbauspiel gehört ganz allgemein zu meinen Stärken. Ich bin froh, dass der Trainer das auch so sieht.
Im Februar verletzten Sie sich im Spiel gegen Hertha BSC im Olympiastadion schwer, mussten anschließend an der Wirbelsäule operiert werden. Es war Ihre erste schwere Verletzung. Sind Sie schon vorher im Bewusstsein auf den Platz gegangen, dass ein Spieltag grundsätzlich im Krankenhaus enden kann?
Natürlich nicht. Diesen Gedanken hatte ich nie, und ich habe ihn auch jetzt nicht. Wenn das Spiel läuft, konzentriert man sich ohnehin einfach nur da drauf. Es gibt bestimmt Spieler, die vielleicht einen Kreuzbandriss hatten und anschließend mit einer gewissen Ehrfurcht auf den Platz gehen. Das ist aber nie gut, das habe ich gelernt: Zieh lieber voll durch, dann ist die Chance größer, sich nicht zu verletzen. Nach diesem Motto lebe und spiele ich.
Wie hat sich der Moment angefühlt, als es passierte?
Ich habe direkt gespürt, dass der Zweikampf nicht normal abgelaufen war. Trotzdem habe ich nicht daran gedacht, dass etwas mit meiner Wirbelsäule sein könnte. Erst als unser Physio sagte, ich solle mich nicht bewegen und man mir eine Halskrause anlegte, habe ich gedacht: Okay, das ist jetzt kein gutes Zeichen. Der Schmerz war aber einigermaßen schnell vorbei, daher dachte ich: Gut, du hast jetzt was, hoffentlich ist es nicht so schlimm und du kannst nächste Woche wieder trainieren.
So kurzfristig denkt man in einem solchen Moment?
Ja. Erst, wenn man mit den Ärzten spricht, wenn der Adrenalinspiegel abfällt und man wieder klar im Kopf wird, realisiert man: So toll ist das jetzt zwar nicht, aber es ist jetzt auch nicht der schlimmste Fall, weil ich alles bewegen kann. Daher war der erste Schock rasch überwunden.
Die Nacht verbrachten Sie dann in einem Berliner Krankenhaus.
Zunächst hieß es, ich müsste nicht operiert werden, das hat sich für mich erst mal gut angehört. Es war aber mein Glück, dass die Ärzte in Köln beschlossen haben, doch zu operieren. Sonst weiß ich nicht, ob ich dieses Jahr noch ein Spiel gemacht hätte. Hätten wir es konservativ behandelt, wäre das womöglich eine viel längere Geschichte geworden. So kann ich jetzt sicher sein, dass alles fest ist.
Immerhin können Sie sich nicht vorwerfen, nur halbherzig in den Zweikampf gegangen zu sein. Das Duell mit Berlins Grujic war mit vollem Risiko geführt.
Ja, aber in dem Fall muss ich ehrlich sagen: Es war dämlich von mir, wie ich in den Ball gegangen bin, das werde ich so nicht noch mal machen. Ansonsten werde ich nichts ändern – mir bleibt auch nichts anderes übrig, es gehört einfach zu meinem Spiel, voll reinzugehen.
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Hat Sie die Erfahrung dieser Verletzung gelehrt, sich der Risiken des Sports noch bewusster zu sein?
Es gehört einfach dazu, fürchte ich. Meine Mutter kann kein Spiel von mir zu Ende gucken, ohne nervös auf- und abzugehen. Aber wenn man 500 Spiele macht, ist ja klar, dass irgendwann mal etwas passiert.
Vielleicht haben Sie dann ja jetzt für die nächsten 500 Spiele Ruhe.
(Klopft auf den Holztisch) Na, das wollen wir doch hoffen.