Im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger bekennt sich Fernando Carro zu den wichtigsten Spielern und dem Anspruch, trotz der Krise zu den Top Vier des deutschen Fußballs zu gehören.
Bayer 04Klubchef Fernando Carro plant langfristig mit Florian Wirtz
Herr Carro, das Jahr 2022 hat Bayer 04 Leverkusen mit Extremen konfrontiert, die auch im Profi-Fußball selten sind. Ende Mai haben sie sich für die Champions League qualifiziert. Vier Monate später lag gefühlt alles in Trümmern. Aus im Pokal, Platz 17 in der Liga, Trennung von Cheftrainer Gerardo Seoane. Haben Sie inzwischen verstanden, was da genau passiert ist?
Im Fußball ist nicht alles vorhersehbar, aber selbstverständlich haben wir das aufgearbeitet. Ich habe auch für mich selbst eine Analyse gemacht und denke, dass ich für die Zukunft ein wenig mehr sensibilisiert dafür bin, im Moment des vermeintlichen Erfolges noch achtsamer zu sein. Es geht um Nuancen, Kleinigkeiten, die eine Dynamik entwickeln können. Danach ist jeder schlauer. Ich hatte schon den Eindruck, dass wir uns in Elversberg ein bisschen zu selbstsicher gefühlt haben.
In Elversberg ereignete sich die Niederlage in der ersten Runde des DFB-Pokals, von der sich Bayer 04 monatelang nicht erholt hat. Gab es dafür in den Wochen zuvor keine Warnsignale?
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In der Vorbereitung lief alles rund. Jeder von uns war voller Zuversicht. Und nach Elversberg kamen die Spiele gegen Dortmund und Augsburg, die wir hätten gewinnen können oder sogar müssen. Da war das Spielglück nicht auf unserer Seite. Die Abwärtsspirale begann danach, und wir konnten sie nicht mehr aufhalten.
Die Trennung von Trainer Gerardo Seoane kam nach dem zwölften Saisonspiel, der 0:2-Niederlage in der Champions League gegen Porto. Obwohl die Saison da noch sehr jung war, hat es sich so angefühlt, als hätten sie sehr lang an Gerardo Seoane festgehalten.
Wir waren von ihm überzeugt. Wir waren davon überzeugt, dass er ein guter Trainer ist, und das sind wir heute noch. Aber irgendwann hatten wir den Eindruck, dass wir in einer Sackgasse stecken und dringend einen neuen Impuls von außen brauchen.
Hat sie diese Krise, die keiner kommen sah, etwas gelehrt?
Man hätte schon vor Saisonbeginn eine gewisse Anspannung, einen gewissen Druck, ein gewisse Wachsamkeit noch stärker forcieren müssen. Man darf auch nach Siegen nie auch nur minimal loslassen, man muss immer für Disziplin und Professionalität auf allerhöchstem Niveau sorgen. Das ist leicht gesagt, aber es gelingt im Fußball eben nicht immer.
Konnten Sie die Champions League, deren Erreichen nach dem Sieg in Hoffenheim wie eine kleine Meisterschaft gefeiert wurde, angesichts des schlechtesten Ligastarts seit Jahrzehnten überhaupt genießen?
Natürlich konnten wir die Champions League nicht wirklich genießen. Ich kann mich noch erinnern, wie wir nach Brügge gefahren sind im festen Glauben, wir könnten dort die Wende schaffen. Und dann verlieren wir unglücklich 0:1. Das war ein ganz bitterer Abend und für mich ein einschneidendes Erlebnis. Danach sind wir stark ins Grübeln gekommen.
Wie bewerten Sie als als Klub-Chef, die Arbeit von Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes?‘
Ich arbeite sehr gerne mit Simon Rolfes zusammen, wir beide wollen Bayer 04 besser machen und für die Zukunft aufstellen. Das gilt für den Sport genauso wie für die anderen Bereiche der Organisation. Wenn Sie auf die laufende Saison anspielen: Wir haben seinerzeit gemeinsam darauf gesetzt, die Verträge mit entscheidenden Spielern zu verlängern. Mit Patrick Schick und Florian Wirtz, mit denen wir weiterhin langfristig planen. Und wir wurden dafür sehr gelobt. Aber in der Realität war Florian Wirtz langzeitverletzt und Patrik Schick – auch wegen einer Verletzungsproblematik – nicht so erfolgreich wie vergangene Saison. In 2023 müssen wir wieder Transfererträge erzielen. Besonders abhängig davon, ob wir international spielen oder nicht.
Der Unterschied zwischen dem Erreichen eines internationalen Wettbewerbs und dem Verpassen sind viele Millionen Euro. Würden Sie eine Prognose wagen, ob Sie das als aktuell Tabellenzwölfter mit sieben Punkten Rückstand auf Platz sechs und neun Punkten Rückstand auf Platz vier noch schaffen können?
Wir kämpfen dafür. Aber als seriös wirtschaftender Manager müssen wir finanziell erst einmal so planen, als ob wir das nicht schaffen würden. Dazu sind wir verpflichtet, damit wir nachher nicht überrascht werden. Dennoch müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen, damit wir im Sommer einen wettbewerbsfähigen Kader haben, dem die Qualifikation für den Europapokal gelingt. Wir wollen weiterhin zu den Top vier der Bundesliga gehören. Das ist unser Anspruch. Und der hat sich nicht geändert. Er wird sich auch nicht ändern, wenn wir unsere Ziele in dieser Saison verfehlen sollten. Das heißt: Wir haben 2023 eine große Aufgabe vor uns. Und dem Druck stellen wir uns auch.
Um Transfererlöse zu erzielen, die sie für neue Investitionen brauchen, werden Sie Spieler mit einem gewissen Wert verkaufen müssen.
Diese Frage geht mir zu sehr ins Detail, die sollten Sie mit unserem Sport-Geschäftsführer besprechen.
Sie haben nach dem achten Bundesliga-Spieltag den früheren spanischen Starspieler Xabi Alonso als Trainer verpflichtet. Dürfte man Ihnen als Spanier unterstellen, dass sie emotional mit dieser Entscheidung besonders viel zu tun hatten?
Das Trainer-Scouting ist die Aufgabe von Simon Rolfes. Er ist derjenige, der Namen auf den Tisch bringt, über die man sich unterhält. Die tägliche Zusammenarbeit findet schließlich zwischen Sport-Geschäftsführer und Trainer statt. Simon Rolfes muss als erster davon überzeugt sein. Aber natürlich wird eine solch wichtige Thematik zusammen mit dem Vorsitzenden des Gesellschafterausschusses, Werner Wenning, und mir diskutiert und am Ende gemeinsam entschieden. Xabi Alonso war ein Musterprofi, der als Spieler alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt.
Als Trainer hat er aber nur in der zweiten und dritten spanischen Liga gearbeitet. Welchen Eindruck haben Sie von ihm?
Xabi Alonso hat eine sehr klare Vorstellung davon, was er von seinen Spielern erwartet: Extrem viel Professionalität, Respekt und Disziplin. Die Basics. Er ist ein Vorbild, aber trotzdem nahbar, er weiß, wie Teambuilding funktioniert und wie man eine Beziehung zu den Spielern herstellt. Er fordert diese fundamentale Einstellung zum Beruf Fußball-Profi ein. So wie sie bei Bayer 04 früher ein Simon Rolfes, Stefan Kießling und die Bender-Brüder vorgelebt haben.
In der DFL hat es eine spektakuläre Neuordnung gegeben. Donata Hopfen ist als Vorsitzende der Geschäftsführung nach weniger als einem Jahr im Amt abgelöst worden. Wie kam es aus Ihrer Sicht dazu?
Ich bin weder im Präsidium noch im Aufsichtsrat der DFL, dennoch wird ja oft davon gesprochen, dass besonders ich kritisch war gegenüber Frau Hopfen, vor allem in Bezug auf die schwache Auslandsvermarktung der Bundesliga. Die Wahrheit ist: Die Erlössteigerung der ausländischen TV-Verträge wird Jahre brauchen, das konnte sie in der kurzen Zeit gar nicht leisten. Daran lag es also nicht. Die Deutsche Fußball Liga ist kein normales Unternehmen. Die DFL hat 36 Eigentümer. Als Geschäftsführerin oder Geschäftsführer musst du alle mitnehmen. Hier hatte Frau Hopfen eigene Vorstellungen, ihre Herangehensweise war eine andere, die letztlich nicht in Einklang zu bringen war mit den Vorstellungen der Klubs.
Die DFL wird nun interimsmäßig von Axel Hellmann und Oliver Leki geführt, die im Bundesligaalltag für Eintracht Frankfurt und den SC Freiburg verantwortlich sind.
Beide sind erfahren und sehr lange dabei und werden von allen respektiert. Ich vertraue ihnen. Die große Aufgabe wird sein, eine Konstellation zu finden, die nach dieser Interimslösung ab dem Sommer 2023 die spannenden Aufgaben und großen Herausforderungen für die Bundesliga angeht.
Das Kartellamt verlangt von der DFL immer noch eine Lösung für die Ausnahmen, die der deutsche Fußball für Bayer 04, Wolfsburg und Hoffenheim macht, weil sie als nicht von Mitgliedern geführte Klubs der 50+1-Regel nicht entsprechen. Auch wegen dieses Prozesses, der offenbar langsam vorangeht, gab es Kritik an Donata Hopfen.
Bayer 04 ist ein Traditionsverein. Nur der FC Bayern und der BVB spielen länger ununterbrochen in der Bundesliga. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass die derzeitige Regelung in Ordnung ist. Wir arbeiten trotzdem an einer Lösung. An diesem Prozess hat Frau Hopfen ihren Anteil, jetzt ist die Sache bei Oliver Leki in guten Händen. Ich hoffe, dass wir mit dem Kartellamt, der DFL und den betroffenen Klubs eine Lösung finden, die allen gerecht wird und einem Verein wie Bayer 04 Leverkusen seine Existenz absichert.