Kaprun/Zell am See – Nach jedem Training im Alois-Latini-Stadion in Zell am See geschieht dieselbe Begegnung. Sardar Azmoun verlässt den Platz und wird erwartet von einer Schar Landsleuten. Der Star aus dem Iran begrüßt sie herzlich, denn sie sind nur wegen ihm einen weiten Weg gekommen. Die meisten aus Deutschland, wo sie leben oder Urlaub machen.
Azmoun lächelt, beantwortet mit ruhiger Stimme in wohlklingendem Farsi alle Fragen, lässt sich mit jedem fotografieren, spricht geduldig mit Kindern und nimmt sie auf den Arm. Dann sind alle glücklich. Auch Sardar Azmoun. „Ich liebe die iranischen Menschen, und ich mag es, dass viele von ihnen meine Fans sind. Ich freue mich darüber und möchte es nicht ändern“, sagt der Profi von Bayer 04 Leverkusen.
Auf den ersten Blick handelt es sich bei Sardar Azmoun um einen 27-jährigen Stürmer mit einem Marktwert von rund 25 Millionen Euro, der im Januar 2022 von Zenit St. Petersburg nach Leverkusen kam und seitdem in neun Bundesliga-Spielen ein Tor erzielt und eines vorbereitet hat. In der Schlussphase der vergangenen Saison hat er die Position des verletzten Florian Wirtz im offensiven Mittelfeld eingenommen und dort entscheidend zur Qualifikation für die Champions League beigetragen. In 60 Länderspielen erzielte er 40 Tore für sein fußballbegeistertes Heimatland, wo sie ihn einst den iranischen Messi nannten.
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Wer ein wenig tiefer forscht, der entdeckt, dass Sardar Azmoun mehr ist als nur Fußball-Profi und Liebling der iranischen Fans. Er ist auch ein erfolgreicher Pferdezüchter, Mäzen, Förderer und Anhänger des iranischen Frauen-Volleyballs. Das wiederum liegt in seinen Genen. Sein Vater Khalil war acht Jahre lang iranischer Volleyball-Nationalspieler, Schwester Solmaz war Volleyball-Nationalspielerin, seine Cousins und Onkel waren und sind aktive Volleyballer. Warum er Fußballer geworden ist? „Keine Ahnung, warum ausgerechnet ich. Vielleicht wollte ich das Blut in meiner Familie ein bisschen verändern.“
Sardar Azmoun verändert aber noch mehr. Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erklärt er: „In Iran kümmert man sich im Sport nicht viel um die Frauen. Aber wir haben viel weibliches Talent für Volleyball. So haben mein Vater und ich in meiner Heimatstadt Gonbad-e Kavus einen Verein gegründet. Er heißt Serik, wie mein Lieblingspferd. Ich bezahle unseren Spielerinnen jeden Monat ein Gehalt. Viele von ihnen sind Nationalspielerinnen. Wir werden eine gute Chance haben, iranischer Meister zu werden. Wenn wir das nicht schaffen, wäre es eine große Enttäuschung für mich.“
"Ich muss die Frauen meines Teams unterstützen"
Im Iran, dessen allmächtige geistliche Führung Frauen dazu zwingt, sich in der Öffentlichkeit zu verschleiern und ihnen regelmäßig den Einlass in Fußball-Stadien untersagt, ist eine solche Haltung außergewöhnlich. Sie als fortschrittlich zu bezeichnen, wäre eine starke Untertreibung. Selbst in Deutschland sind Frauen noch weit davon entfernt, im Sport dieselbe Anerkennung und Bezahlung zu erhalten wie Männer.
Der Iraner Azmoun sagt: „Ich muss die Frauen meines Teams unterstützen. Ich bin ein Sportler und weiß, was sie benötigen. 90 Prozent der Frauen-Klubs bei uns bezahlen ihre Spielerinnen nicht, dabei betreiben sie Sport auf wirklich hohem Niveau. Im Männersport, insbesondere im Fußball, ist das ganz anders. Wir leben im Jahr 2022, wir müssen etwas verändern und können nicht leben wie vor 100 Jahren.“
Volksheld, Fußballer, Volleyball-Mäzen und Kämpfer für Frauenrechte sind aber noch nicht alle Seiten des Sardar Azmoun. Ganz besonders leidenschaftlich ist der Angehörige des Stammes der iranischen Turkmenen aus der Provinz Golestan am kaspischen Meer Pferdezüchter. Seine Selbstbeschreibung lautet so: „Ich habe 52 Pferde, sehr gute Pferde in Australien und im Iran. Mein Lieblingspferd Serik, nach dem auch mein Gestüt benannt ist, hält viele Rekorde. Ich liebe meine Pferde und würde sie niemals in andere Länder verkaufen. In Australien werden meine Pferde von Michelle Payne trainiert.“
Lieblingspferd Serik kostete 500 000 Dollar
Zur Erklärung: Michelle Payne, die Azmoun auf Englisch als „my best friend“ bezeichnet, ist eine lebende Legende des Turf-Sports. Sie hat als Jockey über 700 Rennen gewonnen und als einzige Frau den Melbourne Cup. Der Spieler von Bayer 04 Leverkusen betreibt Vollblutzucht als Unternehmer auf höchstem Niveau. Sein Super-Pferd Serik hat er 2020 in Australien für 500 000 Dollar gekauft.
Als die Leverkusener Sardar Azmoun im Winter wegen seines bei Zenit im Sommer auslaufenden Vertrages gemessen an seinem Marktwert fast zum Nulltarif bekamen, war ihnen nicht ganz bewusst, dass sie einen Multiunternehmer verpflichtet hatten. Der benötigte allerdings, geschwächt von Krankheiten und Verletzungen, einige Monate zur Umstellung. „Der Unterschied zwischen russischem und deutschem Fußball ist: Es wird in der Bundesliga so schnell gespielt, es gibt so viele Talente und so viel Taktik. Aber natürlich wusste ich, dass der deutsche Fußball so ist. Ich bin glücklich, hier zu sein“, erklärt er.
Inzwischen scheint die Umstellung vollzogen. Azmoun wirkt drahtiger, wendiger, hat angeblich fünf Kilo Körpergewicht verloren und ist im System des Trainers Gerardo Seoane vorerst als Stellvertreter des verletzten Florian Wirtz auf der Position hinter Mittelstürmer Patrik Schick vorgesehen. Sardar Azmoun, nach eigenem Selbstverständnis Mittelstürmer, fügt sich dem. „Es ist okay, auf der Zehnerposition zu spielen. Ich spiele, wo immer die Trainer mich hinstellen. Das respektiere ich. Sie wissen es sicherlich besser als ich, denn das ist ihr Job. Und wenn ich auf der Zehn spielen soll, dann spiele ich auf der Zehn. Wie sind hier, um uns gegenseitig zu helfen.“
Sardar Azmoun sagt das, wie alles, was er sagt, mit einem Lächeln. Im Trainingsalltag, der ihm viel abverlangt, erheitert er seine Mitspieler permanent mit Späßen, Scherzen und Umarmungen. Das sei ein elementarer Teil seines Wesens, erklärt der Iraner. „Ich bin der fröhliche Mensch, als der ich nach außen erscheine. Ich kann und will mich nicht verändern. 27 Jahre bin ich jetzt alt, älter als 90 Prozent der Spieler hier. Ich betrachte sie als meine Brüder. Das ist mein Charakter.“