Leverkusen/Frankfurt – Vier Gegentore in nur einer halben Stunde – Bayer 04 Leverkusen ließ in Frankfurt insbesondere in der zweiten Halbzeit alles vermissen, was in der Bundesliga gefragt ist. Der positive Effekt des Trainerwechsels scheint bereits nach wenigen Spielen verpufft.
Das Wichtigste zuerst
Bayer 04 Leverkusen hat das dritte Spiel unter Xabi Alonso mit 1:5 Toren verloren. Das Ergebnis bei Eintracht Frankfurt erscheint deutlich, das Spiel war noch deutlicher. Die Mannschaft spielte in allen Bereichen enttäuschend, ungenügend, ohne Klasse und Haltung.
Die Tore
Nachdem die Eintracht Top-Chancen im Fünf-Minuten-Takt vergeben hatte, schien unmittelbar vor der Halbzeit der Höhepunkt der Verschwendung erreicht. Edmond Tapsoba konnte Lindström, wie alle Gegenspieler an diesem Tag, im direkten Duell nicht stoppen und brachte ihn am eigenen Fünfmeterraum mit einem plumpen Tritt ans Schienbein zu Fall. Hier war keine elektronische Hilfe zum Erkennen nötig. Elfmeter.
Randal Kolo Muani, der sich eine Halbzeit lang als Chancentod hervorgetan hatte, trat an – und scheiterte an Lukas Hradecky. Als die Leverkusener noch damit beschäftigt waren, ihr Glück zu fassen, machte Schiedsrichter Willenborg mitten im Spielfluss das VAR-Zeichen. Hradecky hatte sich zu früh nach vorn bewegt, stand zum Zeitpunkt des Schusses mit dem linken Fuß schon einen Meter im Platz.
Das ist erstens nicht erlaubt und wird zweitens diese Saison strenger geahndet. Also nochmal Elfmeter. Diesmal trat aus guten Gründen Daichi Kamada an. Der Japaner zeigte, wie man das macht. Hart und hoch neben den Pfosten. Diesmal war Hradecky chanenlos (45+5).
Aus dem Garnichts fiel in der 56. Minute der Ausgleich. Kerem Demirbay schlug einen Freistoß von rechts in den Strafraum, Piero Hincapie flog heran und erzielte per Kopf das 1:1. Und als sich alle fragen, wie das sein kann, dass dieses ungleiche Spiel 1:1 steht, hängt Bayer 04 schon wieder in den Seilen. Beim Versuch des Aufbauspiels verliert Edmond Tapsoba den Ball, Götze spielt schnell auf Lenz, dessen Flanke auf dem Kopf des vergessenen Randal Kolo Muani landet, der in der 58. Minute das 2:1 erzielt.
Drei weitere Top-Chancen später endet der Versuch eines Angriffs in einem Konter, Hincapie legt den Ball versehentlich in den Lauf von Jesper Lindström, der aus spitzem Winkel kunstvoll über Lukas Hradecky hinweghebt. In der 74. Minute läuft Kolo-Muani schon wieder auf und davon. Hincapie versucht mit einer Monster-Grätsche alles zu verhindern, auf den ersten Blick scheint es zu gelingen. Aber Schiedsrichter Willenborg bekommt Nachricht vom VAR: Da war viel Fuß dabei. Elfmeter und Gelb-Rot für Hincapie. Kamada tritt wieder an und erzielt das 4:1. Es war der vierte Strafstoß gegen Bayer 04 in 111 Minuten. Schließlich erlebt das Spiel die Pointe, dass der Ex-Leverkusener Lucas Alario als Einwechselspieler in der 86. Minute sein erstes Bundesliga-Tor für die Eintracht erzielen darf.
Das war gut
Bei Bayer 04 außer Torhüter Lukas Hradecky nichts. Und damit ist gemeint: nichts. Nicht einmal der Anhang, der zu Spielbeginn eine riesige Rauchbombe zündete, die eine mehrminütige Spielunterbrechung erforderlich machte.
Das war schlecht
Bei Bayer 04 außer Lukas Hradecky alles. Und damit ist gemeint: alles. Man wusste am Ende überhaupt nicht, wo man hätte anfangen sollen mit der Kritik. Die Werkself versagte mit Ball und ohne Ball. Sie verlor gefühlt alle Zweikämpfe, war weder mutig, noch kreativ. Sie schien noch nicht einmal Interesse an diesem Spiel zu haben. Alle Mannschaftsteile zerfielen beim geringsten Druck in ihre Einzelteile. Und nicht einmal das Wunder des Spielstandes von 1:1 nach knapp einer Stunde weckte Adrenalin in den Körpern der Spieler. Sie schienen vielmehr so erschrocken von dem skandalösen Resultat, dass sie sich innerhalb kürzester Zeit auch im Ergebnis demontieren ließen.
Mann des Spiels
Dieser Titel gebührt dem Japaner Daichi Kamada, der seinem hochtalentierten, aber verschwenderischen jungen Kollegen Randal Kolo Muani vormachte, wie man am Elfmeterpunkt die Nerven behält.
Moment des Spiels
Der Wiederanpfiff nach dem sagenhaft glücklichen 1:1 der Leverkusener durch Piero Hincapie in der 58. Minuten. Er war das Signal zum Untergang der Werkself, die sich in negativer Hinsicht von schlecht zu grauenhaft steigerte und buchstäblich keinen Zweikampf mehr gewann.
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Das sagen die Beteiligten
Kerem Demirbay (Spieler, Bayer 04): „Wir stecken alle ganz tief drin, ganz unten, wir stecken tief in der Scheiße. Jeder von uns muss das begreifen. Wir müssen diesen Verein ganz schnell da unten rausbringen, und jeder einzelne muss alles dafür tun. Was letzte Saison war, das interessiert heute keinen Menschen mehr. Fußball ist ein Tagesgeschäft. Da musst du liefern. Und das tun wir nicht. Unser 4:0-Sieg gegen Schalke, bei allem Respekt für Schalke, ich komme daher, ich liebe diesen Verein, aber sie sind nicht unser Maßstab, sie haben überhaupt nicht die individuelle Qualität, das zählt nicht.“
Xabi Alonso (Trainer, Bayer 04): „Wir haben heute gesehen, dass wir mit uns kämpfen, wir haben von Beginn an gemerkt, dass wir nicht diszipliniert, nicht leidenschaftlich genug gespielt haben. Wir sind die Schuldigen, wir können die Schuld nicht woanders suchen. Nach dem 1:2 haben wir das Selbstvertrauen und die Form verloren. Es liegt in unserer, auch in meiner Verantwortung. Wir müssen nach vorn schauen, wir können es schaffen. Es liegt nur an uns.“
Oliver Glasner (Trainer, Eintracht Frankfurt): „Was mich beeindruckt hat, war unsere mentale Stärke nach dem 1:1. Wir hatten viele Chancen und einen Elfmeter vergeben, dann fällt aus dem Nichts das Gegentor. Und danach sind wir noch stärker geworden, haben die Entscheidung gesucht. Und das schönste Tor war für mich das 5:1.“
Das sagen wir
Ein Spiel wie das in Frankfurt ist normalerweise das Spiel vor einer Trainerentlassung. Es war allerdings das dritte Spiel nach der Entlassung von Gerardo Seoane und dem Einstieg von Xabi Alonso. Das war das Erschreckendste an diesem Nachmittag in Frankfurt. Alles, was schlecht war, ist noch schlechter geworden. Wo ein Rest Zuversicht war, scheinen nur noch Zweifel. Bayer 04 kann als Tabellensechzehnter nach zehn Spieltagen an nichts anderes mehr denken als an den Abstiegskampf.